Eine wahre Historie


Die Geburt des Schicksals der Menschen- und Götterwelt

Zu einer Zeit, in der noch die alten Götter herrschten und die alten Sitten und Bräuche gepflegt wurden, da erfüllte sich ein folgenschweres Schicksal, was die ganze Welt über Jahrtausende hinweg beeinflussen sollte…

Endlich, nach drei schier endlosen Jahren ging der Fimbulwinter vorbei. Drei lange Jahre, voller Hungersnöte, Mord und Totschlag, die die Welt der Menschen geprägt hatte.
Die Erde bebte, schwarze Gewitterwolken zogen sich zusammen und Blitze zuckten über den, sich verfinsternden Himmel.
Für die Menschen auf der Erde war es lediglich das Zeichen dafür, dass ihre Götter wieder mal erzürnt waren.
Womit sie vermutlich gar nicht mal so falsch lagen, doch war es viel mehr als das!Ragnarök hatte begonnen!

In der Welt der Götter, Riesen und der Hel kündete das Krähen dreier Hähne den Anfang des letzten Gefechts an. Als Heimdall das Heer der Riesen, gemeinsam mit der Horde der Finsternis auf die Bifröstbrücke zumarschieren sah , blies er in sein Gjallarhorn um die Seinen zu warnen. Unter der Last der vielen Tausend Füße geriet die Brücke jedoch ins Wanken und stürzte schließlich in die Tiefe.
An vorderster Front ritt Odin, mit Goldhelm und Brünne gerüstet und Gungnir, seinem treuen Speer in der Rechten auf seinem achtbeinigen Streitross Sleipnir dem Feind entgegen. Dicht gefolgt von seinen Asenbrüdern und Schwestern, den Einherjer und den Valkyren. Doch so viele sie auch waren und aller Kampfeskraft zum Trotz unterlag Odin dem Schicksal und viel im Kapf gegen den Riesenwolf Fenrir. Der stürtzte sich auf den Allvater und verschlang ihn zur Gänze.

 

Von Hass und dem Durst nach Rache getrieben warf sich sein Sohn Widar dem Ungetüm entgegen. Auch ihn versuchte der Wolf zu verschlingen, was aber nur misslang, weil er der Bestie seinen gewaltigen Eisenschuh ins Maul trat und ihm den Unterkiefer zertümmerte. Den Schock ausnutzend, packte er ihn am Oberkiefer und riss ihm den Rachen entzwei, worauf dieser qualvoll verendet wäre, hätte Widar ihm nicht im Blutrausch noch sein Schwert bis zum Heft ins Herz gerammt.

 

Doch trotz des schnellen Eingreifens war es für seinen Vater bereits zu spät.
Sein Bruder und Donnergott Thor lieferte sich derweil einen erbitterten Kampf mir der Weltenschlange Jörmungand. In einem unachtsamen Augenblich packte sie Thor und wickelte ihn in einen tödlichen Würgegriff, was allerdings ihr Schhicksal besiegelte, denn so konnte sie seinem alles zerschmetterndem Hammer nicht mehr entgehen und starb.Thor hatte zwar gewonnen, wurde aber durch Jörmungands verletzt, sodass auch er nur noch neun Schritte tun konnte, bevor er leblos zu Boden sank.
Der Verräter Loki und Heimdall begegneten sich zum letzten Mal und erschlugen sich gegenseitig, womit auch diese ewige Feindschaft zu Ende ging.
Nachdem denn die Götter besiegt waren, schleuderte Surt, der Schwarze sein Feuer über die ganze Welt, worauf hin sich die Sonne verdunkelte, die Erde im Meer versank und die Sterne der heißen Lohe am Himmelszelt wichen.
Damit hatte das goldene Zeitalter begonnen, alles schien prächtig, doch mit dem Ende der Schlacht, ist eine ungeheure Energie entstanden, die die Kräfte der Gefallenen Götter in sich aufnahm. Diese Energie schloss sich unbemerkt in einem Vulkan auf den nördlichen Inseln ein, wo es sich mit den weltlichen Elementen vereinigte.
Widars Bruder Vali bekam davon jedoch nichts mit, da er unterwegs war, um seinen ermordeten Bruder Balder zu rächen, der durch eine List Lokis ums Leben gekommen war. Als er dann, nachdem er seinen Rachedurst gestillt hatte, wieder zurück in Asgard eintraf, stand er vor Trümmern und schwelenden Flammen. Seine beiden Neffen und Söhne Thors, Thrud und Lorride, die nun beide Waisen waren und mit den beiden Brüdern die einzigen Überlebenden der Götterdämmerung, erzählten ihm, was vorgefallen war. Daraufhin zog er wieder los, um sich für seine gefallenen Freunde und das zerstörte Asenreich zu rächen.
Zur selben Zeit versuchte Widar die Gefallenen Asen wieder zu erwecken. Eines Tages jedoch tauchten Odins Raben, Hugin und Munin wieder auf und berichteten seinem Sohn, dass dies erst möglich sei, wenn die jeweilige Seele wieder frei wäre. Diese Seelen, so erfuhr er weiter, waren mit der Energie in das Schwert mit eingeschlossen worden waren. Wie vom Schicksal geleitet, spürten sie die unheilvolle Kraft, die sich aus dem schützenden Berg zu befreien suchte um erneut Chaos über die Welten zu bringen. So zog er los, um die Seelen der anderen Asen zu befreien und übertrug Thors Söhnen die Verantwortung, um den Wiederaufbau der Welten und, sobald ihr Werk vollbracht war, die Wiedererweckung der Götter. Auch sollten sie seinen Bruder berichten, was die Raben ihm bereits erzählt hatten und wo hin es ihn nun verschlug. Es dauerte nicht lange und er fand das Schwert, welches das Gleichgewicht der Welt aus den Angeln des Schicksals zu reißen drohte und brachten es nach Stonehenge, wo die Kräfte der Geister mächtig genug waren, um das zornige Schwert im Zaum zu halten, damit es mit Thors Hammer Mjölnir vernichten werden konnte. Widar hatte gerade zum dritten Schlag ausgeholt, als die Waffe den ersten Sprung bekam, worauf hin die ersten Seelen entflohen. Von dem Schauspiel abgelenkt hielt er inne, bis er von Vali, der inzwischen von seiner Bestimmung zurück, an die Seite seines Bruders gekehrt war, wieder klar wurde. Dann übergab Widar ihm Mjölnir, um dem Bösen den letzten Stoß zu versetzen. Vali holte zum vernichtenden Schlag aus und lies die Waffe unter einem Blitzschlag bersten und entließ auch die restlichen Seelen aus ihrem Gefängnis, was selbst der Göttervater persönlich wieder miterleben konnte.

 

Da jedoch die Teile alle noch immer viel der dunklen Energie in sich hatten, beschlossen sie, die Einzelteile zu versiegeln und in allen Himmelsrichtungen zu verteilen, wo sie in die Obhut der hiesigen Götter übergingen. Damit die Aura, die bei der Zerstörung frei wurde, nicht in die Welt hinaustreten und Chaos stiften konnte, schlossen sie diese in verschiedene Gegenstände ein. So lud Odin einen großen Teil in seinen Ring Draupnir ein, ein anderer Teil ging in die versiegelten Schwerter von Vali und Widar. Sowie die Seelen derer, die in der finsteren Horde gekämpft hatten. So wurde die Seele des schwarzen Surt, die, nachdem Vali ihn nachträglich das dunkle Herz aus dem Leibe riss und anschließend ebenfalls vom Schwert aufgesaugt wurde, zusätzlich in sein Schwert eingeschlossen und Widars Schwert bekam die Seele von Fenrir.
So begab es sich, dass die sechs Teile, die in Griff, Klinge, Scheide, Herz, reine und schwarze Seele aufgeteilt waren, von den einzelnen Göttern entgegen genommen wurden und von ihnen persönlich einschlossen, auf dass das Schwert nie wieder zusammengesetzt werden könne.
Als zusätzliche Sicherung legten die weisen Asen noch einen Zauber über die Teile, sodass sie nur dann wieder zu einem Ganzen werden, wenn sie zu einer bestimmten Naturerscheinung an einem besonderen Platz zusammengeführt werden. Und dass auch nur dann, wenn diejenigen auch im Besitzt der Gussform waren.
So dachte die Götterwelt, das Unheil gebannt zu haben, doch griff die Finsternis schon sehr bald nach dieser Macht. Denn schon nach nur einigen hundert Jahren wurden einige der Bestandteile aus ihrem Schlaf gerissen und strebten nun, von neuer Energie beseelt, nach den anderen Teilen und ihrer Wiedervereinigung.
Zum Leidwesen der Götter und auch der Menschenwelt, wurde ihr verschwinden erst bemerkt, als bereits Teile aus ihrem vorbestimmten Platz entwendet worden waren und die finstere Seele entkommen war.
Die Klinge welche in Form der Lanze von Longinus in Italien versteckt war, bis die katholische Kirche sie ausgraben lies und ihre Macht missbraucht hatte, wurde anschließend an den Herrn der Unterwelt im ostasiatischen Raum übergeben. Enma wurde so ebenfalls darauf aufmerksam, als das besagte Artefakt, das er von seinem Gefolge zu seinem Richtschwert hatte schmieden lassen, in Unruhe geriet und der Oberwelt entgegenstrebte. Durch die Klinge geleitet, kam es so, dass Enma die Welt der Sterblichen betrat und die Unterwelt seinen Gehilfen und Handlangern überließ.
Weit oben im Norden zogen Widar, Vali und Loki los, um die Teile zu bergen.
Der zwielichtige Loki setzte sich jedoch allzu bald von den beiden Brüdern ab und verschwand im Süden, während sie weiter gen Osten zogen, hin zum so genannten „heiligen Land“, wo der Griff, in Form des „Heiligen Grals“ versteckt worden war.
Schließlich, nach einer langen Reise kamen die beiden Asen auf den Ebenen vor Jerusalem an, wo sich derweil eine erbitterte Schlacht zugetragen hatte. Die von den, so genannten Heiden besetzte Stadt war immer wieder Ziel von Eroberungen und Machtkriegen.
So auch jetzt, am dreizehnten Tag des Junis, des Jahres 1099.
Vor den Stadtmauern lagen bereits unzählige Körper, verstümmelt und blutüberströmt dem Tode nahe, während ihre Kameraden weiter auf die Stadt einstürmten. Dieses sinnlose Toben hielt an, bis die, von Gotteswahn gepackten Kreuzritter die Stadt am fünfzehnten Tag des selbigen Monats einnahmen. Doch endete ihr Blutrausch nicht damit. Sie metzelten alle, sich in der Stadt befindenden Bewohner ab. Nicht nur Moslems und Juden. Nein! Auch ihre eigenen Landsleute. So stand dann, nachdem der Rausch abgeklungen war, die Stadt in einem Meer aus Blut, indem die Leichen von Moslems, Juden und Christen gleichermaßen wie kleine Boote umher trieben.
Widar und Vali, die sich das Spektakel tatenlos mit angesehen haben, machten sich nun auf die Suche nach einem, halbwegs intakten Körper, in den sie fahren konnten, um ihrer Aufgabe Habhaft zu werden.
Aus dem Schatten einer demolierten Kirche hörten sie dann ein Röcheln und traten darauf zu.
Dort im Dunkeln lehnten zwei der Kreuzritter an der alten Moschee und hielten sich die blutenden Leiber. Da trat Vali auf die beiden zu. „Krieger des Christentums, ihr seit dem Tode nahe! Wollt ihr uns eure Körper leihen, auf dass ihr in die ewigen Hallen des Ruhmes einkehrt?“ Der in schwarz gekleidete, mit dem roten Kreuze auf der Brust hob nur den Kopf und rief in den von Tod gefüllten Abendhimmel: „Deus le vult!“

 

Der Weiße mit schwarzem Kreuz wandte sich an Widar: „All diese Toten. Das ist wahrlich kein christliches Benehmen. Mein Gott, sie haben alle abgeschlachtet! ... Nun, schlimmer als das hier kann es wohl nicht sein, oder? Sollst du von nun an diesen gottlosen Leib als Hülle haben! Er ist übrigens auch einverstanden.“, sagte der Ritter mit einem Kopfnicken zu seinem Kampfgefährten. Die Beiden Götter lösten sich vor den Augen der beiden auf und zogen in ihre neuen Körper. Bevor die beiden tapferen Ritter in ihren Himmel gingen, hörten sie noch die Stimmen der beiden Heidengötter: „Mögen eure Seelen in ewigem Ruhm bei eurem Gott im Himmel weilen!“

Derweil hatte ach Enma, der Todesgott aus dem Osten die heilige Stadt erreicht und erlöste die, die dem qualvollen Tod ins Auge blickten von ihrem Leiden.
Zu jedem Todgeweihten trat er heran, murmelte ein paar Worte, die der Krieger nicht verstand und lies dann sein Richtschwert hernieder fahren, um die Seele von ihrem irdischen Gefängnis zu befreien und ihr den Weg in das Totenreich zu öffnen.
So führte ihn sein Weg auch automatisch in die Stadt selbst, wo viele Menschen niedergemetzelt waren und nun in ihren Leibern gefangen waren.
Auch ihn führte es an die alte Moschee, in dessen Schatten zwei verkrümmte Ritter, schwer blutend an der Wand lagen. Wie bei all den anderen auch, trat er vor die beiden, sprach ihnen die letzte Worte unter den verwirrten Blicken der Betroffenen und lies auch hier wieder seine Klinge die letzte Arbeit verrichten…
Neressa, die gemeinhin als die Widerspenstige genannt wurde, kniete in einem Zelt, nahe der Stadt und versuchte gerade, eine stark blutende Wunde mit ihren Heilkräften zu schließen, die einem Hauptmann der Kreuzritter im Bauch klaffte. Unter Schmerzensschreien und Gestöhne wand er sich auf der Liege, während draußen weiterhin der Kampf um das gelobte Land tobte. Er wusste, dass er den Tag nicht mehr überleben und die Eroberung der heiligen Stätte nicht mehr miterleben würde und hatte bereits mit allem abgeschlossen. Doch wollte die Widerspenstige nicht aufhören und ging nicht auf sein Bitten und Flehen, ihn doch endlich sterben zu lassen, damit sie sich um die anderen verwundeten Ritter kümmern konnte nicht ein.
Neressa wäre allerdings nicht die geworden, die sie nun ist, wenn sie allzu schnell aufgegeben hätte und so trat der unwahrscheinliche Fall ein, dass dieser Mann die ganzen Kreuzzüge überlebte und schließlich erst in einem stolzen Alter von 67 Jahren friedlich starb. Was ist jedoch eine andere Geschichte.

Neressa, die nun alle Hände voll zu tun hatte, bemerkte die zwei seltsamen Gestalten, wie all die anderen Krieger nicht, die am Rande standen und nur beobachteten.
Erst als die Schlacht unter schrecklich vielen Verlusten gewonnen und das Blutbad in der Stadt geendet hatte, betrat auch sie Jerusalem mit einem entsetzten Blick. Sie konnte den ganzen Tod und das Blut nicht fassen und brauchte eine Weile, bis sie an den Bergen von Leichen und dem ganzen Blut vorbeigekommen war. Ihr Weg in das Stadtzentrum war mit Verletzten gesäumt und sie tat ihr Möglichstes, um ihre Wunden zu versorgen und die Schmerzen zu lindern. Doch war ihre Kraft arg geschwächt, durch den Tod, der noch frisch in der Luft hing und so konnte sie meist nicht mehr tun, als ihren Segen auszusprechen. Als sie dann an einer alten Moschee vorbeikommt, muss sie stutzen. Dort, im Schatten der Kuppel stand eine sonderlich gekleidete Gestalt, von der sie nicht sagen konnte, ob es nun ein Mann, oder eine Frau war. Sie war komplett in Schwarz gekleidet und trug eine sonderbare Rüstung, die sie bisher nur aus alten Büchern kannte. Sie schien mit zwei verletzten Rittern zu sprechen, die vor ihr an der Wand lagen, das jedoch in einer Sprache, die sie nicht verstand. „Muss wohl ein Sarazene oder etwas Dergleichen sein!“, dachte sie und wandte sich zum Gehen. Als dieser jedoch dann sein Krummschwert hob und es auf die beiden wehrlosen Krieger hernieder sausen lies, stockte ihr der Atem.

 

Die Klinge fuhr herab und der Sergeant, der dem Fremden am nächsten war, stoppte die Klinge mit den Händen und starrte diesem ins Gesicht.
„Sag mal. Was denkst du, tust du da? Wie siehst du überhaupt aus?“
Der ließ sich jedoch nichts anmerken und steckte sein Schwert mit einer fließenden Bewegung in die Scheide zurück. Da der dunkle Mann keine Anstalten machte, auf das eben Gesagte einzugehen, sprach der Ritter weiter. „Ich weiß zwar nicht, wer du bist, oder was du hier willst, aber du gehst mir auf die Nerven!“
Von ihrem Schock erholt, trat Neressa nun dazu und machte auf sich aufmerksam. Sie sah dem ausländischen Krieger ins Gesicht und versuchte seine Augen zu sehen, die im Schatten der Kapuze lagen. Dieser starrte dem Anschein nach zurück und sprach dann auf Latein: „Du kannst mich sehen?“
Nun meldete sich der andere Ritter zu Wort, sodass das unangenehme Schweigen gebrochen wurde und sich die Fremden mit verwirrten Blicken zu den beiden, vermeintlich schwer verwundeten Ritter wandten, die nun aufgestanden waren. „Ich will euer, sicherlich sehr wichtiges Plauderstündchen ja nur sehr ungern unterbrechen, aber wir sind hier doch mehr als auffällig! Ich denke, wir sollten uns an einen etwas ruhigeren Ort zurückziehen, an dem wir fern ab der störenden Blicke der Kreuzfahrer miteinander reden können.“ Dabei fiel sein Blick auf das baufällige Gemäuer, das hinter ihnen in den Himmel ragte.
Einige Minuten später standen die vier seltsamen Gestalten im Allerheiligsten der Moschee, vom Licht der untergehenden Sonne erhellt, welches durch ein kleines Fenster am Ende des Raumes, hoch oben eingelassen war.
Vali machte es sich gerade auf einer der Gebetsbänke gemütlich und Neressa lies sich auf einer andern nieder, als ein gleißendes Licht durch den Dachstuhl schien. Sie alle hielten sich die Arme schützend vor die Augen und konnten daher nur eine schimmernde Silhouette erkennen. Als das Licht wieder verschwunden war, sahen sie Loki vor sich stehen, der in Begleitung eines Engels war. Allerdings einer, der seine Heiligkeit verloren zu haben schien.
Doch hatte sie dafür etwas anderes, reines bei sich, das die anderen Anwesenden sofort spürten. Eine mächtige Kraft; die der reinen Seele, des Schicksalsschwertes!
So erzählte der, nun gefallene Engel auf das Drängen der beiden Asen hin, was geschehen war.

Die reine Seele war sicher im Himmelsreich aufgebahrt, außer Reichweite von törichter Menschen Hände. Und über viele Jahrhunderte verhielten sich beide Seelen ruhig in ihrem Bannschlaf. Doch irgendwann erwachte die reine Seele wieder und wurde unruhig. Nach einigen Monden gelang es ihr dann, einen der Himmelsbewohner dazu zu bringen, sie aus ihrem Gefängnis zu befreien und sie in die Menschenwelt zu bringen. Auf diesen Frevel hin, wurde sie dann vom Herrn persönlich des Himmelsreichs verbannt und wurde seitdem Seraphine, die Gefallene genannt. Da sie nun kein Heim mehr hatte, zog sie rastlos umher, die reine Seele an sie gebunden, bis der verschlagene Loki auftaucht und ihr verspricht, ihr bei ihrem Problem zu helfen. So versiegelt er die Seele zuerst an einen Kristall, auf das sie sich nicht aus eigener Kraft aus dem Staub mache, aber immer noch genügend Eigenwillen ausstrahlen konnte, um ihnen den Weg zu den anderen Fragmenten zeigen.
Daraufhin folgten sie der Führung des leuchtenden Steins und kamen so auch in Jerusalem an.

Dann meldete sich auch Loki zu Wort und berichtete, was er unterwegs in Erfahrung bringen konnte, bevor er auf Seraphine gestoßen war.

Nachdem sich Loki aufgrund einer Vorahnung von den beiden Asenbrüdern abgesetzt hatte, zog weiter gen Süden. Auf seinem Weg konnte er durch seine Verschlagenheit und seinen Scharm einiges über die begehrten Artefakte erfahren. Auf eine dieser Informationen gestützt zog er weiter nach Ägypten. Es gab viele Gerüchte von Flüchen und seltsamen Todesfällen und die Legende um die sagenumwobene Bundeslade. Nach allem, was er hörte, schloss er daraus, dass sich in jener Kiste die finstere Seele verborgen hielt. Als er dann in Ägypten, im Grab der Könige ankam, merkte er, dass es bereits zu spät war. Es gab viele Grabräuber und Abenteurer, die auf der Suche nach Reichtum und Ruhm in die alten Grabkammern eingedrungen waren, aber dort nur den Tod fanden. Doch einer musste es geschafft haben, an den Flüchen und Fallen vorbeizukommen und das Siegel der Lade zu brechen.
Eben diese Lade fand Loki in den Bergen um das Grab herum, geöffnet und leer, ohne einen Hinweis darauf, wo der neue Besitzer, und noch viel wichtiger, die böse Seele abgeblieben war.
Da er nun in eine Sackgasse gelaufen war, tat er das, was er am liebsten tat: Schabernack treiben. So nahm er die Lade, brachte sie wieder an ihren angestammten Platz, verschloss sie und legte einen kleinen Fluch hinein, der denjenigen treffe, der es wagen würde, die Truhe erneut zu öffnen.
Von dem Fehlschlag enttäuscht, machte sich Loki wieder auf den Weg gen Osten, um sich den beiden Asen wieder anzuschließen. Unterwegs jedoch spürte er eine Welle der Macht auf sich zukommen. Sie war von reinster Natur und er konnte nicht anders und lies sich von ihrer Aura anziehen. Auf einem Feld, das von Wäldern umgeben war, kniete ein Engel, mit zerfledderten Flügeln, einer zerrissenen Toga und einer Kugel aus reiner Energie in den Armen. Ab da hatte er den Endschluss gefasst, sich ab sofort um diesen Seraph zu kümmern und zu schützen.

Enma, der bisher noch kein weiteres Wort gesagt hatte, seitdem sie in der Moschee waren, nahm Seraphine beiseite und redete eindringlich und besorgt auf sie ein. Über das Gespräch erfuhren die anderen, dass sich die beiden schon von jeher kannten, als der, damals noch reine Engel im Auftrag ihres Herrn in die Welt hinausgeschickt wurde um im asiatischen Reich ihre Arbeit zu tun. Dort traf sie dann den Herrn der Unterwelt als sie in seiner Welt eine Seele zu besuchen hatte. Enma bemerkte bei dem ersten Zusammentreffen gleich, dass sie kein gewöhnlicher Engel war und empfand sogleich Sympathie für sie. Daraufhin gestatte er ihr, die Seele des Verfluchten, die sie auf das Drängen ihres Herrn hin aufsuchen sollte, mit in ihr Himmelsreich zu nehmen.

 

Als sie geendet hatten, verfiel Enma in seine alte Ruhe zurück und starrte in der Runde umher. Vali, der nun zusehends ungeduldiger wurde, richtete sich wieder auf und schnaubte laut auf. „Das wird mir langsam zu voll hier! ... Na los, jetzt will ich endlich hören, was du hier zu suchen hast, schwarzer Mann!“ Auch die andern schienen sich das gefragt zu haben, denn sie alle sahen Enma nun fragend an, der immer noch stumm dastand.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit atmete er lang aus, nahm die Kapuze ab und senkte seinen Blick auf sein Schwert, das er die ganze Zeit umklammert hielt.
Dann zog er es langsam ein Stück weit aus der Scheide, sodass der magische Glanz heraustrat. Sofort spürten sie die unheilige Aura, die davon ausging und anscheinend von einem Bannfluch der Scheide im Zaum gehalten wurde. „Ich verstehe. Du bist also auch dem Ruf des Schwertes gefolgt.“, sagte Widar mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Dann wandte er sich zu Neressa, die immer noch schweigend auf der Bank saß und die anderen musterte. „Aber ich verstehe noch nicht, was sie hier macht, oder warum sie das „dritte Auge“ besitzt.“ Als sie merkte, dass von ihr die Rede war, schreckte sie hoch und schaute in die Runde. „Drittes Auge? Was meint Ihr damit?“
„Du kannst mich sehen!? Kein Mensch kann mich sehen, wenn ich es nicht auch so will, also was bist du?“ Enma festigte den Griff um sein Schwert und trat eine Schritt auf sie zu.
Auch Valis finstere Miene flog in ihre Richtung. „Sie ist ein Dämon in Menschengestalt, der versucht an die Artefakte zu kommen, um die ultimative Macht zu erhalten!“ Auch er legte seine Hand an den Schwertgriff. Neressa wich eingeschüchtert einen weiteren Schritt zurück und umklammerte ihr Kreuz, das sie um den Hals trug. Nun, da auch alle anderen auf sie eindrangen und sie immer weiter zurückwich, löste sie eine Kraft aus, die in ihrem Kreuz verborgen lag und blendete damit die umstehenden.
Geblendet und unfähig sich zu bewegen standen die mysteriösen Gestalten vor ihr, die bis eben noch auf sie losgehen wollten.
Seraphine war die erste, die sich wieder bewegen konnte und kam auf Neressa zu, umfasste ihr Kreuz und sprach sehr leise, dass die anderen es gerade noch hören konnten: „Du besitzt auch eins der magischen Artefakte!?“

 

 

 

Ungefähr zur gleichen Zeit, an einem völlig anderen Ort saß der Zauberer Merlin in seinem Kerker, wo er nun schon seit etlicher Zeit von seinen ehemaligen Freunden festgehalten wurde. Nach Ewigkeiten beschloss er dann doch, sein altes Leben hinter sich zu lassen und jene, die ihn hintergingen. Die alte Zeit war längst vergangen und die Gefechte, die er gemeinsam mit Artus ausgetragen hatte, waren bereits fast vergessen. So verschwand er aus dem Kerker und hinterließ nur gähnende Leere und Ratlosigkeit für die Kerkerwächter.
Auf der Suche nach neuem Wissen, reiste er nach Alexandria, um dort in der Bibliothek zu stöbern. Doch wurde sein Vorhaben unterbrochen. Eine Energie, die seine bei weitem übertraf, schien sich in dieser Welt zu materialisieren. Daraufhin zog er zu dieser Macht, in der Versuchung sich diese anzueignen und schon nach einer Weile erreichte er den Ort, an dem die Energie aufstieg. Aus den Ruhestätten der Pharaonen, im Grab der Könige. Als er die alten Katakomben betrat, stach ihm nicht, wie erwartet der stickige alte Grabesduft in die Nase, sodass es den Schluss zuließ, dass die Tore bereits vor kurzer Zeit schon einmal geöffnet wurden. Nach Stunden des Herumirren erreichte er dann den Hauptraum, dessen Tore gewaltsam aufgebrochen waren. Da hinter erstreckte sich eine riesige Kammer in der gewaltige Schätze aufbewahrt wurden, die aber völlig unberührt schienen.
Schon seit einiger Zeit spürte Merlin, dass die Macht zwar an Stärke zunahm, sich aber auch gleichzeitig zu entfernen schien. In der Furcht, diese Kraft zu verlieren, beschleunigte er seinen Schritt und übersah so die Wächter, die in der Grabkammer wachten, welche nun bei dem unerwünschten Eindringling zum Leben erwachten. In dem Glauben, die verzauberten Statuen mit einem einfachen Zauber aufzuhalten, wandte er sich um und schleuderte seine Flüche seinen Verfolgern entgegen. Diese jedoch zeigten sich wenig beeindruckt und drangen weiter auf ihn ein. Machtlos setzte er zur Flucht in den Tunnel an, weiter der Macht hinterher.
Um die Statuen loszuwerden, lies er dann die Gänge hinter sich zum Einsturz bringen und flüchtete weiter, den Gang hinunter. Nach einer weiteren halben Stunde in Dunkelheit erreichte er eine weitere Kammer. Als er eingetreten war, schloss sich die Tür, die dann mit der Wand hinter ihm verschmolz. Der etwa 10 Meter hohe Raum wurde von Fackeln erhellt, war von Statuen mit Hundeköpfen gesäumt und auf dem Boden schlängelten sich etliche der verschiedensten Schlangenarten. Am Ende der Kammer war ein Podest, auf dem zweifelsohne einmal ein heiliges Relikt stand. Direkt in der Mitte der Decke war ein quadratisches Loch eingelassen, durch das ein Seil bis zum Boden reichte. Er sah gerade noch die Beine, bevor der Dieb durch die Luke verschwunden war. Eilig kletterte er hinterher.
Oben angekommen, sah er den Dieb in die hügeligen Ebenen des Tals flüchten, in Begleitung zweier zwielichtiger gestalten und einer großen, goldenen Kiste. Die Flüchtlinge mussten ihn bereits bemerkt haben, denn sie rannten, als wäre der Teufel höchst selbst hinter ihnen her.
Da sich die Grabräuber hier in der Wüste gut auszukennen schienen, war es nicht verwunderlich, dass sie den gealterten Zauberer schon nach kurzer Zeit abgehängt hatten.
Außer Atem und von der heißen Mittagssonne geschwächt, erreichte Merlin nach gut einer Stunde eine kleine Anhöhe wo die Lade abgestellt worden war. Bevor er jedoch den Hügel erklimmen konnte, erschien eine andere Gestalt an der Seite der Kiste. Der Mann, der erst mit einem siegessicheren Lächeln herangetreten war, ließ nun, da er ins Leere starrte, seinen Missmut freien Lauf. Merlin beobachtete die seltsame Gestalt weiter, nicht wissend, ob Freund oder Feind und beschloss den Dieb erst einmal ziehen zu lassen, da er ihn allein eh nicht würde schnappen können. Da der Fremde auch an dem Inhalt der Lade interessiert schien, beschloss er, ihm unauffällig zu folgen. Dem nordischen Mann, von dem er nun wusste, dass sein Name Loki war, führte ihn immer weiter gen Osten und es erwies sich als Glücksfall, das er beschlossen hatte, ihm zu folgen. Nach einigen Tagesmärschen nämlich, spürte er wieder diese gewaltige Energie. Diese Kraft kam mit einem Engel hernieder geschwebt und schloss den norischen Gott an.
So führte sie die Kraft nach Jerusalem, wo noch mehr starke Energien zu schlummern schienen.

 

Der geschuppte Riese, der seit einigen Zeiten im eins eingefroren wurde, war nun, da das Eis durch die Energien langsam schmolz, wieder zu neuem Leben erwacht. Die weiße Drachin, die seit jeher den Namen Hakuryu trug, entfaltete ihre gewaltigen Schwingen und lies es Eiszapfen vom Himmel regnen. Nun, da sie wach war, hörte sie die Stimmen ihrer Ahnen, die sie einst in diese Eissarg sperrten, doch konnte sie sie nicht verstehen. So machte sie sich auf um wieder die klare, frische Luft zu riechen und sich den Wind um die Schuppen wehen zu lassen. Die Eisschicht, die den Höhleneingang versperrte, war nach ein paar kräftigen Flügelschlägen schnell geborsten und die weiße Riesenechse trat hinaus auf das freie Feld, das sie in ihrer Kindheit so oft gesehen und darauf gespielt hatte. Doch hatte es sich verändert.
Nichts sah mehr so aus, wie damals, als sie noch mit all ihren Artgenossen die zeit verbracht hatte. Die damals gefrorenen Flächen waren nun frische, grüne Wiesen und aufgewühlter Erdboden. In weiter Ferne, wo einst ein stattlicher Wald gestanden hatte, waren jetzt nur noch Stümpfe. Und auch die Himmel waren nun anders. Keine Gestalt mehr in der Luft, die ihren gewaltigen Schatten auf den Boden warf, nur noch die wenigen, kleinen bunten Vögel, die sie nicht kannte. Auch roch es ganz anders, als in ihrer Erinnerung. Die salzige Meerluft war den Geruch von Feuer und Tod gewichen. Von der Sehnsucht, ihre Familie wieder zu sehen, begab sie sich auf die Suche nach anderen Drachen und dem Grund der ganzen Veränderungen. Sie suchte lange, doch fand sie nichts, außer den vielen Ansammlungen, kleiner Holzgebilde, in denen zierliche, nackte Wesen zu leben schienen, die sich mit den Fellen und Häuten anderer Tiere behängten. Während der vielen Jahre, in denen sie auf der Suche war, hatte sie die Wesen, die sich selber als Menschen bezeichneten beobachtet und viel über sie und auch von ihnen gelernt. So erschuf sie sich bald eine eigene, menschliche Gestalt, sodass sie unter sie treten konnte, um noch mehr zu erfahren. In deren Stand war sie eine junge, weibliche Jägerin, die am Rande des Waldes eine kleine spärliche Hütte bezog. Über die Jahre vernachlässigte sie immer mehr ihre Suche, freundete sich mit den Menschen an und wurde schon fast eine von ihnen. Schon bald verließ sie mit anderen die Insel, um mit ihnen, welch Ironie, auf Drachenbooten die umliegenden Inseln anliefen, um dort zu morden und plündern. Auf einer dieser Reisen hörte sie abermals die Stimmer der Ahnen, die einen mahnenden Ton hatten, aber für sie immer noch unverständlich waren.
So verbrachte sie weiter ihr Leben, bis eine Himmelserscheinung ihr altes Ich wieder hervor holte. Sie saß, in Erinnerungen schwelgend auf dem Wipfel einer großen Fichte und starrte in den eisigen Nordhimmel. Als plötzlich ein weißes Licht von Himmel viel und weit in den Süden flog. Sie spürte die Energie, die es besaß und erinnerte sich wieder an die anderen Drachen. „Sie sind wieder da!“ Sie sprang auf, verwandelte sich in ihre ursprüngliche Gestalt zurück und stieg den Himmel empor. Elegant glitt der weiße Wasserdrache durch die Wolkendecke, hinterher. Sie flog lange und sie war bereits sehr müde. Der starke Wind und die Kälte, die nachts herrschte zerrten ebenfalls an ihren Kräften und ließen ihre Glieder schwer werden und so sackte sie immer tiefer, bis sie unter die Wolkendecke tauchte. Doch wollte sie nicht aufgeben, durfte das Licht nicht verlieren. Nun, da keine Wolken mehr ihre Sicht nach unten verdeckten, sah sie die Landschaft, die sich stark verändert hatte. Keine grünen Flächen und Wälder, sondern Sand bedeckten nun weit und breit das Land. Und vermutlich hätte sie den Mut verloren und aufgegeben, wenn sie nicht am Horizont das weiße Strahlen gesehen hätte, das sich nun auch nicht mehr weiterzubewegen schien. So gönnte sie sich ebenfalls eine Ruhepause und legte sich in einer Oase ins kühle, schützende Nass.
Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Wasseroberfläche stachen, erwachte sie sogleich und der weiße Drache erhob sich aus dem See. Gleich darauf setzte sie ihre Verfolgung nach ihrer Familie fort. Diese endete, als sie an einer großen Stadt ankam, welche rundherum und auch innerhalb mit Tod und Blut bedeckt war. Inzwischen war es wieder Abend geworden und die Sonne versank bald hinter dem Horizont, als das Leuchten in einem seltsam aussehenden Gebäude verschwand, welches eine große Kuppel und mehrere dünne Türme aufwies. Im Schatten der Dunkelheit setzte sie sich auf einen der Türme, umschlang ihn und wartete.
Wartete auf die Finsternis, um ebenfalls dort hinein zu steigen. Doch während sie das tat, hörte sie abermals die Stimmen ihrer Familie. Diesmal lauter, klarer, doch für ihren Verstand noch immer unverständlich. So verließ sie die Geduld, stieg herab, verwandelte sich in ihre menschliche Gestalt und trat als Jägerin getarnt in das Gebäude ein.

 

 

 

Unbemerkt von den Jägern des verlorenen Schwertes zog der Hüter der Zeit, Astaroth durch das weite Land, in Begleitung seines Freundes und Mitstreiters. Man hat ihm bereits viele Namen gegeben, doch nennen wir ihn erst mal Kaigo.
Aufgescheucht durch die vergangenen Ereignisse, dessen Verschulden das Wiedererwachen der finsteren Seele ist, ziehen sie durchs Land, um der Ursache Nachzugehen. Als Beherrscher der Zeit konnte er es nicht dulden, eine zweite Macht neben sich zu haben, die Kraft hatte, das mächtigste, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beeinflussen. So führte es auch die beiden seltsamen Gestalten über Umwege nach Jerusalem. Nach den ersten Auswirkungen, die der Wandel herbei gerufen hat, machten sie Pilgerfahrten zu all den, ihnen bekannten Orten, an denen diese Krafthandlungen möglich war. Doch stießen sie immer nur auf alte und verfallene Ruinen, die vor etlichen Jahrhunderten sicher mal blühende Metropolen gewesen sein mussten. Nachdem sie die eisigen Wüsten der Arktis und den schwarzen Kontinent bereisten, wurden sie dann auch auf die heilige Stätte aufmerksam. Sie trafen in Ägypten auf einen Pilger, der ihnen von den Kreuzzügen erzählte und um die unglaubliche Macht, welche die Stadt auf die verfeindeten Religionen bedeutete. Geführt von einer alten Karte, welche sie einem alten Krämer tauschten machten sie sich auf den Weg. Nach einer ereignislosen Reise kamen sie nach einigen Wochen, mitten in der Nacht im heiligen Land an. Der Kampf war bereits vorbei, denn die Aasfresser beherrschten nun das Feld und genossen das Büfett. Was die Aufmerksamkeit der beiden auf sich zog waren aber nicht das unappetitliche dahinsiechen der, ehemals so prachtvollen Krieger, sondern ein gewaltiger Schatten, der sich vor den Mond und den Sternenhimmel stellte. Die Gestalt befand sich mitten in der Stadt und thronte über einer gewaltigen Kuppel. Was auch immer diese mystische Gestalt herbeigelockt hatte, konnte auch für die beiden Zeitreisenden aufschlussreich sein. Leise und unbemerkt schlichen sich die beiden an den Wachen vorbei in die Stadt, wo sich ebenfalls noch der Leichengeruch und der Duft von Blut in der Luft hielten. Nach ein paar Minuten hatten sie die Besagte Kuppel erreicht, aber das Wesen war nicht mehr da. So folgten sie abermals ihrem Instinkt und traten durch eine kleine Seitentür in das Gebäude ein.

 

 

 

Während sich nun die Schicksalsritter in der alten Moschee, innerhalb der heiligen Stadt Jerusalem befanden, beobachtete eine andere Gestalt das Geschehen um ihn herum. Ungesehen von allen verweilte er nun schon seit einigen Tagen auf einer kleinen Anhöhe und betrachtete das Gemetzel mit Genugtuung. Allerdings kämpfte er auf einer dritten Seite und seine waren Moslems wie Christen. Dieser Kampf beruhte auf einem alten Hass, der entstand, als Jahwe, dem Gott der Christen und Allah, dem Gott der Mauren ewige Rache schwor, nachdem beide seine Stürzungsversuche vereitelten. Allerdings war es mehr ein passiver Kampf, den Mænorõudt führte, denn die meiste Arbeit lies er sie selbst erledigen. Wenn er dann allerdings eingriff, um wieder ein bisschen Spannung hineinzubringen und seinem Rachedurst genüge zu tun, preschte er hinein und schlachtete Zahllose Krieger beider Seiten nieder, die dem Rasen hilf - und schutzlos ausgeliefert waren. Es sollten so viele wie möglich den Tod finden und in die Unterwelt hinabgezogen werden, auf das sie dort schmoren mögen.

 

Dann, als die Schlacht nach endlosen Verlusten beendet war, die Christen die Stadt erobert hatten und tausende von christlichen und mohammedanischen Seelen in den Händen der unterweltlichen Mächte befanden, wurde Mænorõudts Blick wieder klar und öffnete sich wieder für andere Geschehnisse. So erblickte der Begründer zweier Völker zwei Gestalten, die nicht in das Bild passten. Sie stachen geradezu heraus, sowohl fürs Auge sichtbar, als auch durch ihre Aura. Sie waren im Gegensatz zu den Christen, die in feine Stoffe und Metall gehüllt waren, vornehmlich mit Fell und Häuten bekleidet und waren auch wesentlich größer. Mænorõudt erkannte sofort, dass es sich hierbei nur um Götter handeln konnte. Da er jedoch keinerlei Ahnung hatte, woher sie kamen, oder was sie mit ihrem Erscheinen bezweckten, beschloss er erst einmal, die beiden lediglich zu beobachten. Dann, von der Stadtmauer aus, sah er zu, wie sich die beiden zweier schwer verletzter Kreuzritter ermächtigten. Da er nun für sich sein Tagwerk für vollbracht ansah, entschied er sich, der Szenerie weiter beizuwohnen, denn es konnte sich ja noch als unterhaltsam erweisen. Im ersten Moment hatte er sich zwar gedacht, dass er den beiden Geistergestalten auf den Zahn hätte fühlen können, indem er die beiden wehrlosen Sterblichen mit einem Streich ins Jenseits befördert hätte, doch riet ihm sein Gefühl davon ab. So blieb er weiter auf Distanz und sah zu. Er spürte, wie die Geschehnisse immer weiter seine Neugier weckten, als dann ein, noch weit aus fremder wirkender, aber ebenfalls göttliche Gestalt zu der Szenerie gesellte. Die Ereignisse um ihn herum weiter verfolgend, beobachtete er deren weitere Taten, um in Erfahrung zu bringen, was sie weiter planten und, viel wichtiger, was sie hier her geführt hatte.
Mænorõudt suchte sich ein bequemes und ruhiges Plätzchen, von dem er alles weiter gut im Blick hatte und sah, wie immer mehr Individuen erschienen, die einfach nicht hier her passten. So hielt er weiterhin die Ohren auf und belauschte sie, sodass er den Grund erfuhr, warum sich der bunt gemischte Haufen hier zusammenfand. Jetzt, wo er ihre Absichten durchschaut hatte, waren es derweil zehn an der Zahl, die aus allen Himmelsrichtungen angereist waren, durch eine höhere Macht geleitet und durch selbige verbunden. Sie alle hatten sich auf eine höhere Sache eingeschworen, aufopfernd und selbstlos für die Erde. Da entschloss er sich, seinen Kampf gegen die verhassten Götter zunächst zurückzustellen, sich ihnen anzunähern und sich mit ihnen zusammenzuschließen. Als der Rebell gegen die Obrigkeit den Entschluss gefasst hatte, sprang er von der Mauer und lief im Schatten der Nacht, in Gestalt eines magyarischen Kriegers zu den anderen in die Moschee.

 

 

 

Noch bevor Neressa die Möglichkeit bekam, zu antworten, ehe die anderen was unternehmen konnten, als sie die magische Kraft spürten, flog das große Tor, welches zuvor von den ihnen mit einer magischen Barriere versiegelt wurde, aus den Angeln und schlug mit einem gedämpften Knall auf dem Boden auf. Alle Augen waren auf das große Loch gerichtet, das nun entstanden war und warteten darauf, dass sich die Wolke aus Staub und Sand lichtete. Bevor diese jedoch verschwunden war, löste sich ein Schatten heraus. Vali zog sogleich sein Schwert und war schon fast im begriff, vorzustürmen und dem Störenfried einen Kopf kürzer zu machen, hätte ich sein Bruder Widar nicht zurück gehalten. „Du musst nicht gleich jedem den Schädel einschlagen, der durch seine grobmotorische Art ein bisschen Lärm macht. Warten wir erst einmal ab, was er will. Danach kannst du ihn auseinander nehmen.“

 

Alle anwesenden befolgen seinen Rat, doch legten sie ausnahmslos alle die Hand ihrer Waffen. Der Fremde war nun bis zur hintersten Säulenreihen vorgetreten und klopfte sich den Staub von den Schultern. „Ganz schön trocken, die Luft hier!“ Dann lies er mit einem Wink seines linken Armes die Türen wieder an ihren ursprünglichen Platz schweben.

 

Die Schritte des Mannes schallten ungewöhnlich laut von den Wänden wieder, während er zur Mitte des Raumes ging. Seine Opponenten betrachteten ihn lediglich weiter, ohne sich zu rühren oder etwas zu sagen, bis er schließlich vor ihnen stand. „Wer bist du, was willst du und was soll dieses großspurige Auftreten?“, blaffte Vali den Neuen an. Ohne ihn jedoch eines Blickes zu würdigen sah er sich in der Runde um und sein Blick blieb auf Seraphine liegen. Dann platzte Vali der Kragen und zog sein Schwert. „Du verdammter….“ Seine Klinge blieb auf halber Strecke in der Scheide stecken und bekam seine Antwort: „Ihr könnt mich Merlin nennen und ich bin lediglich diesen beiden gefolgt und ihrer magischen Energie.“, sagte er auf Loki und Seraphine gewandt. „ Und warum bist du….los Vali, jetzt kannst du, dieser Bastard ist hinter dem Schwert her!“ Das ließ er sich nicht zweimal sagen und stürzte los. Seinem ersten Hieb wich Merlin jedoch gekonnt aus und wandte sich an Widar, nachdem er Valis Klinge durch magische Kraft am Boden hielt und ihm unfeine Worte entlocken ließ. „Schwert? Was für ein Schwert? Ich bin nur auf der Suche nach neuer Zauberkraft den beiden hinterher gezogen.“….Dann erzählte er in der Runde, was in Ägypten passiert war.

 

„Dann war irgend so ein gammliger Mensch schneller als ich?“, regte sich Loki auf. „Das ist schlecht. Wenn der böse Teil in die falschen Hände kommt und diese ihre Macht entfesseln, dann haben wir ein gewaltiges Problem! So wie es sich anhört hat der böse Geist bereits einige seiner Fesseln selbst gesprengt und die schwachen Seelen der Menschen soweit unter Kontrolle kriegen können, dass sie sie befreien.“, sagte wieder und blickte durch ein Fenster gen Himmel. „Verstehe, also sollten wir keine Zeit verlieren, wenn wir keine weiter Schreckensherrschaft haben wollen!?“, resignierte Merlin.

 

„Ruhig! Ich spüre was!“ Vali schloss die Augen und schärfte seine Sinne. „ ich rieche ein Kaltblut und Reptilienschuppen!“ Vali hatte das Wort noch nicht ganz ausgesprochen und die Augen geöffnet, da trat eine junge Jägerin aus dem Schatten einer Säule. „Was zum….“

 

Wie bist du hier rein gekommen? Das Tor war die ganze Zeit geschlossen!“ Die junge Frau blickte entschuldigend in die Runde.“ Ich habe die Hintertür genommen.“

 

Vali schlug sich mit der linken ins Gesicht. „Die Hintertür, sagt sie. Sie ist durch die Hintertür hereingekommen! Magie ist doch zu nichts zu gebrauchen!“, schnaubte er und stampfte mit dem Fuß auf. Die Jägerin beachtete seine Gefühlsschwankungen jedoch ebenfalls nicht und blickte sich, wie zuvor Merlin um. „Wo ist er nur hin?“, sprach sie leise zu sich selbst, dass man sie kaum verstand. „Was? Wo ist wer hin?“ Frage Widar zurück. „Habt ihr ihn denn nicht gesehen? Er ist hier drin verschwunden. Ihr müsst ihn doch gesehen, oder zumindest gehört haben!“ Was denn? Hier ist niemand, außer uns Acht!“, meldete sich nun auch Enma zu Wort. „Aber das kann doch gar nicht sein! Ich habe ihn doch gesehen, gespürt, dass er da war. Die Aura, das Leuchten, das war er. Das war ein Drache!“ Die junge Frau schien am Ende ihrer Kräfte zu sein, kurz vor dem Zusammenbruch und schien den Verstand verloren zu haben. „Drachen? Es gibt schon seit sehr vielen Jahren keine Drachen mehr. Der letzte wurde von einem Krieger in den Schottischen Highlands getötet! Und das, was du für einen Drachen gehalten hast, steht da.“, sagte Merlin, mit der Hand auf Seraphine deutend. Die Jägerin riss die Augen vor entsetzten auf und Tränen traten hervor. „Nein, das ist unmöglich… Ich bin ganz allein? Die letzte!“ Dann erschallten wieder die Stimmen in ihrem Kopf. Jetzt, wo sie vor Erschöpfung und Enttäuschen fast in Ohnmacht fiel und ihr Geist nicht durch ihre wilde Jagt und ihrem Streben vernebelt war, konnte sie diesmal auch verstehen, was ihre Vorfahren ihr die ganze Zeit zu erzählen versuchten. „Hakuryu, du bist die letzte Drachin, die ihre Schatten auf die Erde wirft. Wir anderen mussten für unseren Hochmut und Machthunger bezahlen und so haben uns die Götter bestraft. Wir vernichteten die Ernten der Menschen mit unseren Flammen, so nahmen sie uns das Feuer. Wir verwüsteten Dörfer und so nahmen sie uns unsere Flügel. Und schließlich wurden wir für unsere Einmischung in das Leben der Menschen und unsere Integration in ihre Gesellschaft, mit Verbannung gestraft. Wir erkannten zu spät, was geschehen war, um es wieder gut zu machen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als die, die reinste von uns, auf deiner Insel einzuschließen, damit du von dem Bann verschont bliebest. Du warst noch jung, du hättest es nicht verstanden, aber jetzt bist du reif….Es muss nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Du hast die Möglichkeit, unsere Art aus dem Exil zu befreien. Wasche den Namen der alt ehrwürdigen Drachenrasse wieder rein und halte dich von den Menschen fern, die uns einst so verblendet hatten. Pass auf, denn ihr Wesen färbt leicht auf dich ab! Vollbringe Gutes und unterstütze die Götter dabei, diese Welt zu beschützen. Das ist der einzige Weg!“

 

„Hey!“ Vali wedelte vor Hakuryus Gesicht rum. „Zauberer, was hast du gemacht. Du hast sie umgehauen!“, sagte er und ließ die Hand wieder sinken. „Ich hab nichts dazu beigesteuert!“, entgegnete der Magier entrüstet.

 

Dann erwachte sie auf einmal wieder zum Leben, mit neuer Energie und einem gestärkten Herz. Sie hatte wieder etwas, das sie ausfüllte und sie antrieb, nicht aufzugeben.

 

„ Ich habe so den leisen Verdacht, dass wir es hier mit dem letzten, noch lebenden Drachen zu tun haben.“, durchbrach Enma das schweigen. „Was wirst du jetzt machen, wo du weißt, dass es außer dir keine anderen Drachen mehr gibt?“, fragte Seraphine bedrückt. Hakuryu sah sie Freude strahlend an und entgegnete: „Ich werde mit euch ziehen und euch helfen, das Chaos zu vertreiben und diesem Planeten seine alte Kraft wieder zu geben.“ Verwirrtes Schweigen erfüllte den Raum.

 

… „Ich hab zwar keinen Schimmer, woher du das hast, aber willkommen in unserer kleinen Gemeinschaft!“, sagte Widar nach einer Weile und streckte Hakuryu die Hand hin, die sie danken annahm. Bevor die anderen die Möglichkeit bekamen, auch etwas dazu zu sagen, wurden sie von einem Geräusch gestört. Es kam wieder aus dem hinteren Teil, von wo Hakuryu zuvorgekommen war. Ein leises Scheppern und ein Schmerzensschrei. „Pass doch auf, du Idiot, die hören uns sonst noch.“, kam es aus dem Gang.

 

„Zu spät!“ Schallte Lokis Stimme durch den Saal. Einige Sekunden später erschienen zwei seltsam gekleidete junge Männer. Sie trugen beide schwarz und waren geschminkt.

 

„Was in Odins Namen…? Wo kommt ihr….Hintertür?“, stotterte Vali verwirrt von dem Anblick der beiden. Die sahen sich ebenfalls verwirrt an, bis der längere antwortete: „Hintertür.“ „Natürlich! Wie sollte es auch anders sein. Wer oder was seid ihr?“

 

Der Längere antwortete wieder: „Ich bin Astaroth und der hier ist mein Kamerad, den ich unterwegs aufgegabelt hab. Er redet nicht viel. Ich bin einer Macht hierher gefolgt, die mir nicht passt. Die Beherrschung der Zeit gehört ganz allein mir! Also wer erdreistet sich, mir meine Macht streitig zu machen?“

 

Keiner in der Runde konnte ihn wirklich erst nehmen und so schwiegen sie eine Weile, da auch niemand sich angesprochen fühlte.

 

„Ah, ich habe schon von dir gehört, als ich noch oben im Himmelsreich war.“, begann Seraphine. „ Du warst bei den Herren da oben nicht besonders beliebt. Erst in den Kerker gestoßen, dann aus dem Reich verbannt und zur Stummheit verdammt. Und um deine Frage zu beantworten: Keiner von uns hat die Macht, die Zeit zu beeinflussen!“, fuhr sie fort.

 

Doch damit schien sich Astaroth nicht zufrieden zu stellen. Haltet ihr mich für bescheuert?“

 

„Natürlich tun wir das!“, antworteten Loki und Vali wie aus einem Mund.

 

Astaroth fuhr unbehelligt fort, als wäre er nicht unterbrochen worden: „In diesem Gebäude befindet sich eine Macht, die die Zeit beeinflusst, das spüre ich genau. Also, wer hat sie?“ Er blickte weiter in die Runde und wartete ab, dass sich jemand rührt.

 

„Selbst wenn wir diese Macht besäßen, was sollten wir dann machen? Sie dir aushändigen? Wohl kaum!“, blaffte Enma ihn an.

 

„Das einzige, das dazu im Stande wäre, ist die da.“, überlegte Widar und deutete auf Neressa. „Natürlich, das muss es sein, hinter dem diese beiden Wichte her sind.“, gab Vali dazu. Astaroth horchte auf. „Was, dieser Mensch soll die Macht haben? Unmöglich!“

 

„Nein, nicht sie, du Idiot, sondern ihre Kette. Der Stein, der in dem Kreuz eingelassen ist. Deshalb ist diese Waffe auch so gefährlich. Je mehr Macht sie sammeln kann, desto verheerender sind die Auswirkungen und die damit verbundenen Zerstörungen.“, setzte Vali dazu. Astaroth war entzückt. Damit hatte er nicht gerechnet. Wenn er diese Waffe in die Hände bekommen könnte, würde er nicht nur der alleinige und unangefochtene Herrscher über die Zeit, sondern hätte auch noch großen Einfluss auf das Schicksal der Erde.

 

„ Ich hab jetzt echt die Schnauze voll. Ich geh jetzt erst einmal diese verfluchte Hintertür dicht machen. Wir sind ja keine Auffangstation für Herrenlose.“, sagte Vali, als er sich schon auf den Weg gemacht hatte. Die anderen sahen ihm nach, bis er in den Schatten verschwand. „Nun, was machen wir jetzt mit denen hier?“, raunte Widar Enma zu, auf Astaroth und Kaigo deutend. „Ich werde mit euch mitziehen.“, warf Astaroth ein, der es offenbar gehört hatte. Vali war nicht der einzige, der damit ein Problem hatte. Auch Enma, Widar und auch Loki und Seraphine konnten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, da dieser wohl viel mehr nur an den Artefakten interessiert war, als an allem anderen. Entweder das, oder er hatte einen Narren an Neressa gefunden, denn er starrte sie dauerhaft an. Es war natürlich auch beides möglich. Doch noch bevor sie ihre Diskussion weiterführen konnten, wurden sie von Vali aufgeschreckt. Der stieß einen Ruf der Überraschung aus, nachdem er die Tür nach Draußen geöffnet hatte. Er wollte nur sicherheitshalber einen Blick hinaus werfen und schauen, wie sich die Lage in der Stadt inzwischen entwickelt hatte. Zu seiner Überraschung stand jedoch direkt vor der Tür ein Krieger, der die Hand noch erhoben hatte, um die Klinge herunter zu drücken und einzutreten. Es war jedoch weder ein christlicher Kreuzritter, noch ein moslemischer Wüstenkrieger. Es war unverkennbar ein Europäer, aber Vali konnte nicht sagen, aus welcher Ecke. „Du auch?“, war das einzige, was er dem Neuankömmling entgegen brachte. Der Krieger trat an ihm vorbei, ein Kopfnicken andeutend als Begrüßung und klopfte sich den Sand aus den Kleidern. „Verdammt staubig die Luft in der Wüste. Nicht so frisch und feucht wie daheim.“ Er und Vali, der inzwischen die Tür geschlossen und verbarrikadiert hatte, traten wieder ins Licht. „Ein Magyar!“, stieß Widar hervor, als er den Fremden erblickte. „Der frühere Besitzer dieses Körpers hatte schon einmal mit ihnen zu tun gehabt. Sie sind verdammt zäh.“, fügte er hinzu, als ihn alle verwundert ansahen.

 

„Ich nehme mal nicht an, dass du dich hier zufällig hin verirrt hast!?“, fragte Vali.

 

Der Magyar schaute in die Runde, ohne zu antworten und mit prüfender Miene streifte er durch die Reihen und setzte sich schließlich auf einen Schemel. „Ich habe euch beobachtet, eine ganze Weile lang.“

 

„Und mit wem haben wir das Vergnügen?“, fragte Loki misstrauisch, dem Seraphines düstere Miene nicht entgangen war. Der Fremde schien verwirrt. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass man ihn nicht kennen würde. Er erhob sich, räusperte sich und machte eine leichte Verbeugung. „Verzeiht meine Unaufmerksamkeit! Man kennt mich unter dem Namen Mænorõudt.“ „Schön! Und warum bist du hier? Bist du auch dem Ruf des Schwertes gefolgt?“, fragte nun Enma. „Nein.“, rief Seraphine dazwischen, noch bevor Mænorõudt auch nur den Mund aufmachen konnte. „Er ist wegen diesem Krieg hier, oder viel mehr ist der Krieg wegen ihm hier!“ Mænorõudt musste unverzüglich grinsen. „Ja, das stimmt. Viel der Toten gehen auf mein Gewissen. Ich bin nicht irgendeinem Ruf gefolgt, außer vielleicht dem nach Vergeltung. Ich habe den Göttern den Krieg erklärt und das, was ihr da draußen unschwer übersehen haben könnt ist das Resultat. Sie sollten für ihren Übermut bezahlen!“ Diese letzten Worte sprach er mit einer Miene der Genugtuung und Bitterkeit in der Stimme aus. „Und du bist jetzt hier, weil…?“, erkundigte sich nun Neressa vorsichtig. Der Magyar stellte demonstrativ einen Fuß auf den Schemel und sprach: „Meine Rachegelüste sind fürs erste gestillt. Ich habe zugehört und verstanden. Ich war mir erst nicht sicher, ob ihr mir sympathisch gesinnt wart, oder ob ich euch ebenfalls hassen sollte…“

 

Darauf hin stellte sich die Gruppe etwas näher gerückt um ihn auf und Enma sprach mit tiefer, leiser Stimme, während er seinen Griff um sein Schwert verstärkte: „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“

 

Mænorõudt verschränkte die Arme vor der  Brust und lächelte in die Runde. „Ich habe den selbstgefälligen Göttern den Krieg angesagt, nicht aber dieser Welt! Ich will diesen Planeten und seine Geschöpfe ebenso bewahren, wie ihr. Ich denke, dass wir gemeinsam wesentlich mehr erreichen können, denkt ihr nicht auch so?“

 

So kam es dann schließlich, dass sich diese elf, so verschieden Gestalten zusammengefunden hatten um die Verantwortung für das Schicksal der Welt auf ihren Schultern zu tragen. Doch sollte das nicht so lange bleiben, denn es waren schon die Kreaturen der dunklen Seele auf dem Weg, um die Hüter aufzuhalten.

 

Die Elf schlossen einem engen Kreis um ein Ritual abzuhalten, was sie alle auf astraler Ebene miteinander verbinden sollte. Doch wurden sie mittendrin unterbrochen, als Haupt- und Hintertür barsten. Durch sie strömte eine Scharr von vermummten Kriegern hinein. Unter ihnen war ein Mann, der wie ein Priester gekleidet war. Dieser trat mit seinem Stab durch die Reihen, die sich in einem geschlossenen Kreis um die Hüter positioniert hatten. „Ketzer! Übergebt mir die göttliche Gabe und ergebt euch widerstandslos, oder sterbt auf diesem heiligen Boden eines blutigen Todes!“

 

Die Elf stellten sich zum Kampf bereit, die Menschen und Weiber in die Mitte, die anderen darum. „Das ist er.“, beschuldigte Merlin den Priester. „Loki verstand sofort, als auch er ihn erkannt hatte. „Er hat das Siegel gebrochen, die böse Macht freigelassen.“

 

Daraufhin brach der Beschuldigte in hämisches Gelächter aus. „Ihr Narren, kniet nieder!“

 

„Er ist kein Mensch mehr. Das Böse kontrolliert jetzt seinen Geist und die der anderen und lenkt sie wie Marionetten!“, sagte Seraphine, die von der dunklen Aura geschüttelt wurde.

 

„Muhahahahahaha! Ihr habt Recht, ihr seid schlau, doch wird euch das jetzt auch nichts mehr nützen! Nichts kann mich aufhalten, auch nicht ihr! ... STERBT!!“

 

Augenblicklich sprangen die Schattenkrieger auf die Hüter zu und wirbelten ihre Krummsäbel durch die Luft. „Alalalalala!“ Der Kampfesschrei der vielen hundert Krieger schallte durch den kleinen Raum und ließ das Trommelfell erzittern.

 

Als Antwort schrie Vali einen markerschütternden Schrei aus und preschte mit gebleckten Zähnen und gezückter Klinge auf seine Feinde zu. Auch Widar zückte zwei Schwerter und machte sich zum Schlachten bereit. Derweil feuerte Merlin mit all seinen Zauberkünsten auf die anrollende Gefahr und auch Loki ließ seine spezielle Magie wirken. Enma hingegen stand weiter reglos, etwas außerhalb des Kreisen gekrümmt da. Die Linke an der Saya, die Rechte umklammerte den Griff seines, mit Macht und Wut erfüllten Katanas, bereit, seine Gegenüber die Leiber aufzuschlitzen.

 

Mænorõudt war seinerseits nicht mehr zu sehen. Er war bereits in der Menge untergegangen und hatte seinen Spaß daran, seelenlose Marionetten zu vernichten.

 

Während nun außerhalb ein Gemetzel stattfand, drängten sich die übergebliebenen zusammen. Neressa klammerte sich am Arm des Engels fest, der nicht am Amulett hing, welches durch die Seele bebte. Der unbewaffnete Astaroth und sein Begleiter standen machtlos da und konnten nur zusehen. Die Drachin war indes bewegungsunfähig durch ihre

 

Verwirrung. War es nun richtig, diese Menschen zu töten, oder würde das den Zorn der Obrigkeit erwecken? So beschloss sie lediglich da zustehen und die Wehrlosen mit ihren schützenden Schwingen zu beschützen.

 

Es war gleich zu erkennen, dass es die Krieger hauptsächlich auf die Artefakte abgesehen hatten und auf deren Besitzer zustürmten, während sie den anderen auszuweichen suchten.

 

Dadurch ging Valis erster brachialer Schlag ins Leere und bohrte sich tief in den steinernen Boden, nachdem einer sich in letzter Sekunde zur Seite rollte und über sein Haupt hinweg sprang. Sein Ziel war Enma, was er auch erreichte. Er kam den Artefakt vermutlich näher, als er gehofft hatte, denn selbiges tauchte tief in seinen ungepanzerten Leib ein und machte aus ihm zwei Hälften, die im Blutschauer auf dem Boden aufschlugen. Zwei weitere entgingen den Schwertern von Widar, indem sie ihn mit Schemeln und anderen Möbeln blockierten. Rasch huschten sie an ihm vorbei und sprangen mit erhobenen Säbeln auf Neressa und Seraphine zu. Als sie jedoch nur drei Meter von ihrem Ziel entfernt waren, wurden sie von einer gewaltigen unsichtbaren macht zurückgeschleudert und schlugen rücklings gegen die Säulen, an denen Ihre Wirbelsäulen barsten. Andere wurden von Hakuryus mächtigen Schwingen davon geschlagen oder von Loki niedergestreckt. Einer jedoch brach durch alle Versuche, sie von den Artefakten fern zu halten. Er hatte eine der Säulen erklommen und war von dort direkt hinter die beiden Frauen gesprungen. „Astaroth, unternehme was!“, schrie Enma, der es bemerkt hatte, aber wie alle anderen auch, sich nicht von der Stelle rühren konnte. Besagter rührte sich jedoch nicht, starrte nur den vermummten Mann an, der seine Waffe zum Streich erhoben hatte. Unaufhaltsam sirrte die Klinge auf Neressas  Hals zu und als sie schon den Lufthauch spüren konnte, erschallte ein Klingen von Metall auf Metall. Der Attentäter flog nach hinten, das Säbel aus der Hand geschlagen und einem Schert, dass ihm zu Hälfte im Kopf steckte. Widar hatte seinen Kontrahenten den Rücken gekehrt und seine Waffe auf den Eindringling geschleudert. Die Blöße, die er dafür seinen Gegnern hatte bieten müssen, nutzen sie sogleich aus. Mehrere Stiche und Schnitte musste er dafür in Kauf nehmen, was er ihnen jedoch gleich vergolten hatte. Er streckte noch einen weiteren nieder, dann rief er zu Astaroth hinüber. „Na los. Jetzt nimm dir schon die verdammte Waffe und sieh zu, dass du dich nützlich machst!“ Der schien wie aus einer Trance zu erwachen, packte das Schwert fest am Griff und zog es mit einem heftigen Ruck aus dem Schädel des Gefällten. Auch Hakuryu hatte nicht gezögert und ergriff die freigewordene Waffe, mit der sie nun weiter die Angriffe abwehrte.

 

Schreie und Metallklirren erfüllte die Moschee und hallte tausende Male von den Wänden wider, aber kein Laut drang durch den, durch Magie versiegelten Raum.

 

Schon nach wenigen Minuten war das, vorher so filigran sauber gehaltene Heiligtum verwüstet. Rubinrot leuchtete das Licht der Kerzen, welches sich im Blut der Gefallenen widerspiegelte und grausige Schatten tanzten am Boden und an den Wänden.

 

Immer wieder stürmten weitere Schatten in den Saal, wie aus einer unerschöpflichen Quelle.

 

„Das nimmt ja gar kein Ende. Wo kommen die denn nur alle her?“, fragte sich Widar laut. „Zauberer! Kannst du nicht die Eingänge dicht machen?“, rief Vali ihm zu. „Das habe ich bereits versucht. Es ist schwarze Magie, die das Portal aufrecht erhält. Solange diese wirkt, lässt sich das Portal nicht schließen!“, entgegnete Merlin zwischen seinen Zaubersprüchen. „Schwarze Magie? …Aber wer…, verschwinde du Zombie!“ Widar musste einen Seitenschritt um einer Axt zu entgehen, die auf seinen Kopf zielte. Dessen Besitzer geriet ins Taumeln, als das Gewicht ins Leere rauschte und bezahlte das mit seinem Leben, was ihm Widar nahm, indem er sein Schwert bis zum Schaft in die Brust rammte. „Natürlich!“, setze er seine Überlegungen fort. „Dieser Priesterwicht. Wo steckt er nur? ... Bruder, kannst du ihn sehen?“ Vali war derweil von drei Feinden umringt und konnte sie nur mit Mühe zurückhalten. „Nein, meine Sicht ist gerade ein wenig eingeschränkt!“, rief er über einen Feind hinweg, den er zuvor von seiner Last auf den Schultern befreit hatte. „Er steht direkt vor dem großen Portal!“, rief Enma, der gerade mit sieben Kämpfern gleichzeitig zu ringen hatte und Schwierigkeiten hatte, zwischen den Bergen von Leichen noch auszuweichen. Widar sah zu den Frauen zurück, als er gerade Luft hatte. Bitter musste er zusehen, wie die Schatten wie ein wütender Bienenschwarm auf sie eindrangen. So konnte auch Hakuryu nicht zu ihm herüber gleiten, da sie auch schon kaum noch aufrecht stehen konnte. Merlin war ebenfalls nutzlos, da sich der Feind hinter der Barriere befand.

 

Die Lage schien ziemlich aussichtslos. Hilfesuchend blickte sich Widar in dem gewaltigen Raum um, nach einer Lösung suchend, während er immer wieder Angriffen ausweichen, Schläge parieren und Leiber aufschlitzen musste. Die Verletzungen, die er zum Schutze Neressas auf sich genommen hatte, machten sich nun langsam in dem geschundenen Körper bemerkbar und machten es ihm immer schwerer, den Kampf aufrecht zu erhalten. „Mænorõudt!“ Der war jedoch noch immer in der Flut der Feinde und war nicht auszumachen. Nur ein kleiner Trichter in der Masse ließ erahnen, dass er noch am Leben war.

 

Er war dem Priester bei weitem am nächsten, was allerdings nicht unbedingt bedeutete, dass er auch am einfachsten zu ihm durchdringen konnte. Wie alle anderen, hatte er es mit Unzahlen von zukünftigen Leichen zu tun. „Merlin, kannst du ihm einen Weg bahnen? Sie irgendwie abhalten, dass er durchdringen kann?“ Zack! Der eingewickelte Kopf eines besonders unachtsamen Kriegers segelte von seinem Körper getrennt durch die Luft und schlug einige Sekunden später einige Meter weiter auf dem Boden auf, wo er dann noch ein Stück weiter rollte, bis er schließlich hinter  Vali zu erliegen kam. Dort sollte er jedoch nicht lange verweilen, denn schon Sekundenbruchteile später schmetterte der Kriegshammer eines jenen auf ihn hernieder, der versuchte, Valis Knochen zu pulverisieren. Das Knacken und das matschige Geräusch von zerquetschten Organismen gingen in dem gewaltigen Kampfeslärm komplett unter. Blut, Gehirnfetzen und Knochensplitter stoben in alle Richtungen davon und nahmen ihm und einem weiteren Gegner das Lebenslicht, indem sich die Splitter in deren Augäpfel schossen und sich tief in ihre Gehirne bohrten. Sogleich spritze der rote Lebenssaft aus den entstandenen Löchern und sie sackten beide augenblicklich zu Boden. Der eine jedoch nicht, ohne einem Kameraden noch seine schwere Axt in seinen Rücken zu jagen.

 

„Ich werde es versuchen. Aber ich kann höchstens bis zur Barriere wirken, da hinter muss er sehen, wie er durchkommt!“, ließ Merlin verlauten. „Gut, das sollte reichen.“, rief Mænorõudt aus einem Knäuel Gegner, der durch die Schreie und den Lärm offensichtlich hindurch gehört hatte. Merlin schoss noch einmal einen Blitz ab, der fünf Gegner, die zu nah aneinander standen grillte und in Asche verwandelte. Dann wirkte er mit den erschöpften Kräften eine Walze, die sich durch die Feinde pflügte und zugleich einen magischen Tunnel schaffte, der bis zur Barriere vordrang und dort in einer gewaltigen Druckwelle auseinander stob. Mit den Kräften am Ende sackte er zu Boden und wurde sogleich von Seraphine in den Schutz der Schwingen Hakuryus gezogen, wo sich sogleich Neressa seinen Zustand besah.

 

Mænorõudt wartete, bis die Vernichtung an ihm vorbeizog, dann hängte er sich gleich darauf an sie dran. Er war so nah, dass er die zerstörerische Magie auf der Haut spüren konnte, doch es kümmerte ihn nicht. So rannte er den freigewordenen Korridor entlang, bis er die Barriere erreichte, wo er von der Druckwelle zurückgeschleudert wurde. Sofort sprang er wieder auf und hetzte durch die Bannmauer auf den Priester zu. Der war dermaßen erschrocken, dass er nicht in der Lage war, irgendetwas zu unternehmen. Auch seine Wachen waren überrascht, schafften es allerdings noch rechtzeitig, sich Mænorõudt entgegen zu werfen, was sie jedoch gleich mit ihren Leben bezahlen mussten, denn seine Klingen waren bereits im Schwung. Noch ehe die beiden Leibwachen zu Boden gestürzt waren, flog Mænorõudt über dem Priester in der Luft, das Schwert zum finalen Streich erhoben.

 

Der Todgeweihte riss in letzter Verzweiflung seinen Ölbaumstecken in die Höhe, um den Kopf spaltenden Schlag abzuhalten. Als das Schwert dann hernieder schlug und auf den Stab traf, entfesselte dieser eine magische Explosion, was Mænorõudt abermals zurück warf. Dieses Ereignis hatte allerdings zur Folge, dass das hintere Portal zusammenbrach und auch der Strom aus dem Haupttor drastisch zurückging. Diese Chance nutzend bahnte Enma sich und den anderen gleich einen Weg zum Hinterausgang. Derweil ergriffen Vali und Widar die Initiative und walzten sich durch die Horden nach vorne, um Mænorõudt zu unterstützen. So erstreckte sich nach kurzer zeit ein roter Teppich von der Mitte aus in beide Richtungen. Enma verschwand dann mit den seinen im Schatten des Ganges und die beiden Asenbrüder hinter der Barriere. Während Enma Hakuryu und Astaroth es nun wesentlich leichter haben sollte, die Schutzbedürftigen hinter sich vor den angreifenden Gegnern zu verteidigen, standen Vali und Widar nun an Mænorõudts Seite und löschten den kläglichen Rest von Widerstand aus, der sich noch in letzter Verzweiflung auf sie warf um dem Priester sein Leben zu erhalten. „Nein! Ketzer! Das ist unmöglich!“, schrie er in Todesangst und fuchtelte mit seinem Stecken sinnlos durch die Luft. „Es ist aus, Unwürdiger.“, sprach Widar mit ruhiger Stimme als er sich ihm mit geschultertem Schwert Schritt für Schritt näherte. „Sprich dein Gebet, du Wurm“, sagte Mænorõudt, der Widars Beispiel folgte. Vali zertrümmerte einem Gegner noch mit dem Knauf seines Schwertes einem Gegner das Nasenbein, der dann blutend und stöhnend in seine gefällten Kameraden stürzte. „Ich hab genug von deiner weinerlichen Stimme! Es wird zeit dir ein bisschen Last von den Schultern zu nehmen.“

 

In Panik und von Erschöpfung befallen wand sich die Gestalt und suchte fieberhaft nach einem Ausweg, doch es gab kein Zurück mehr. Für ihn war es hier zu Ende. Wie im Wahn begann er dann zu wimmern, schnaufen und fluchen uns stieß immer wieder das Wort „Ketzer“ und „Abschaum“ aus. „Du redest zu viel, es wird Zeit für dich zu schweigen!“, grölte Widar und schlug ihm mit einem Hieb den Kopf ab.

 

Ein Schwall Blut, sowie eine Welle schwarzer Magie schossen aus der entstandenen Öffnung heraus und lösten sich in der, von Tod geschwängerten Luft auf. Der enthauptete Körper fiel auf die Knie, zuckte ein letztes Mal und schlug mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf, wo sich sein restliches Blut vergoss, in die Ritzen zwischen den Steinen floss und sich mit dem Blut hunderter Anderer, Schweiß und Dreck vermengte. „Das sollte es dann gewesen sein!“, sagte Vali mit Genugtuung, nachdem er vor dem Leichnam den Boden spuckte.

 

Gleich nachdem der die schwarze Magie vergangen und der Feind seinen letzten Atemzug getan hatte, flohen die restlichen Überlebenden führungslos durch das, sich rasch schließende Portal. Keiner von ihnen kümmerte sich mehr um die Schlächter ihrer Kameraden und Führers, die an beiden Enden blutüberströmt und verdreckt standen.

 

„Fürs erste, ja. Über lang oder kurz werden wir sie jedoch wieder sehen.“

 

Seraphine war, jetzt wo der Feind verschwunden war, nach vorne getreten und betrachtete den Toten. „Wie kommst du da drauf?“, fragte Neressa, die ebenfalls gefolgt war. „Dieser arme Wicht war auch nur eine Marionette der schwarzen Seele. Er wurde zwar von ihr gelenkt, sie hat ihn aber nicht besessen.“, erklärte Mænorõudt.

 

„Er hat Recht!“ Es wird immer welche geben, die versuchen werden an diese macht zu kommen und das Böse wird immer Wege finden diese für seine Zwecke einzuspannen.“, sprach Enma, der langsam die große Halle durchschritt.

 

 

 

Einige Zeit verstrich und die Stille brach über das den Todesort herein. Der Gestank des Todes verbreitete sich rasch und das Blut begann bereits zu gerinnen.

 

Der Boden war über und über gesät mit Leichen, Körperteilen und Waffen. Bänke, Altar, Schemel, moslemische Relikte, sowie Fenster und Mauerwerk sind auch stark in Mitleidenschaft geraten. So sahen sich dann die Hüter ihr Meisterwerk der Zerstörung an.

 

„Sieht ja gar nicht mal so gut aus.“, sagte Vali, als er den schiefen Leuchter an der Decke betrachtete, an dem noch ein Schattenkrieger hing. „Wie ist der denn da drauf gekommen?“, fragte Mænorõudt, der ebenfalls hinauf sah. „Ich habe keinen Schimmer!“, sagte Vali und kratze sich am Kinn. „Muss wohl einmal zu heftig zugeschlagen haben.“, fügte er hinzu und zuckte mit den Schultern. „Ach, ist doch gar nicht so schlimm wie es aussieht. Nichts, was man nicht mit Pinsel und Farbe wieder hinbekommen könnte.“, gab Widar trocken seinen Kommentar dazu. „Aber was machen wir mit dem ganzen Abfall?“, stellte Loki die alles entscheidende Frage. „Wer ein Gelage feiert, muss auch hinterher aufräumen!“, sagte Widar. „Und wie soll das von Statten gehen?“, fragte Neressa. Vali und Widar grinsten sich an. Ein kleines Feuerchen wird unsere Probleme ich Rauch verwandeln!“, lachte Vali schelmisch. Neressa riss erschrocken die Augen auf. „Das könnt ihr doch nicht machen. Ihr werdet das ganze Gebäude zerstören!“ Vali lachte erneut. „Ja, dessen sind wir uns durchaus bewusst. Keine Sorge, das schieben wir einfach auf die Christen. Das wird gar nicht auffallen! Eine Moschee mehr oder weniger, wen kümmert das schon?“

 

Mit einem lauten krachen krachte der Leuchter von der Decke und schlug nur einen halben Meter neben Astaroth auf, der erschrocken zu Seite sprang. „Achtung, der Leuchter könnte runter fallen, er sieht nicht sehr sicher aus!“, sagte Seraphine an ihn gewandt und grinste höhnisch. 

 

Darauf erhielt sie nur einen verbitterten Blick, einen Kommentar abgeben wollte er jedoch nicht.

 

Widar sah sich ein letztes Mal um, dann wandte er sich an die Umstehenden. „Ja, überlasst das mal ruhig uns Christen. Geht ihr schon einmal nach Draußen und ruht euch an der frischen Luft aus. Ich habe gehört, dass es hier nachts besonders schön sein soll, wenn hier nicht gerade ein Blutbad abgehalten wird!“ Noch etwas zögerlich machten sich die neun in Richtung Hinterausgang auf, was ein sehr schwieriges Unterfangen war. Man konnte keinen sicheren Schritt tun, keine Möglichkeit, auf festen Untergrund zu treten. Widar blickte Vali an. „Na los, Bruder. Lass uns ein kleines Feuerchen machen!“

 

 

 

Einige Zeit später dann, die Nacht hatte ihre dunkelste Stelle erreicht, standen neun schemenhafte Gestalten in der kühlen Wüstenluft auf einer ausgestorbenen Straße, wo die Zeichen des Todes und der Kämpfe noch zu sehen waren. Es vergingen noch ein paar Minuten, dann erschien ein kleines, orange leuchtendes Rechteck in dem großen unförmigen Schatten, welcher die Moschee war. Einige Liedschläge später, nachdem die Tür geschlossen und der Lichtfleck verschwunden waren, begann es im oberen Teil zu flackern an. Das Flackern wurde von Mal zu mal stärker, wütender und heller. Das Feuer im Inneren fraß sich die Wände hoch, verschlang organisches, wie eine Meute ausgehungerter Hunde ein verwundetes Tier. Augenblicke später krachten die Bernsteinfenster und Flammenzungen schossen heraus. Gleich darauf erschallten Rufe und Schreie in der Stadt. Alle Leute schreckten aus dem Schlaf hoch, rannten auf die Straßen um zu sehen, was geschah. Das Flammenmeer, welches sich bereits über das gesamte Dach zog, erhellte nun die ganze Stadt, schaffte sich und warf dämonische Schatten. Gebannt von dem Anblick standen Vali und Widar nur etwas zwanzig Meter von dem Bauwerk entfernt, die erst jetzt im goldenen Schein zu erkennen waren. Weiter drinnen, am Marktplatz standen Ritter, Bürger und Lumpenpack gleichermaßen in Schlafzeug und starrten voller Schrecken der Vernichtung zu. Die Rufe nach Rettung des Heiligtums blieben allesamt unbeantwortet, denn den christlichen Rittern war es auch nur Recht. Niemand von ihnen sollte die Zerstörung betrauern.

 

„Ein fantastisches Feuerwerk!“, hörte man Vali durch die Nacht und im knistern des Feuers rufen. „Jetzt bedarf es nur noch eines Humpen Mets und einem fetttriefenden Schwein, um den Tag perfekt zu machen!“, erschallte es aus dem selbigen Munde nach. „Ihr habt absolut Recht, Bruder. Met, Fleisch und ein pralles Weib! Was kann es schöneres geben?“, lachte Widar in das Tosen des Flammenmeeres hinein.

 

„Diese bösen Christen!“, lachte Vali, als sich die beiden Asenbrüder von dem Spektakel abwandten. „Brennen die einfach ein Gotteshaus nieder. Da hätte doch noch wer drinnen sein können.“, setzte Widar hinzu, während sie auf die kleine Gruppe zumarschierten, die gut fünfzig Meter hinter ihnen, im Schatten einer Hütte standen. Noch während sie sich näherten fingen sie noch mal an zu lachen. „Wie die Hühner!“, hörte man nur Valis Stimme schallen.

 

Als sie dann nur noch ein paar Meter entfernt waren, konnten sie im flackernden Feuerschein deren Gesichter sehen, welche ganz unterschiedliche Stimmungen widerspiegelten. Bestürzung, Gleichgültigkeit, Genugtuung und ungezügelte Freude waren darin klar zu lesen. „Das Beste behaltet ihr immer euch vor, was?“, rief Loki mit gespielt beleidigtem Ton den Zweien zu entgegen. Sie stellten sich zu ihnen und grinsten breit.

 

„So, wie fahren wir jetzt weiter fort?“; fragte Vali und warf noch ein letztes Mal einen sehnsüchtigen Blick zu den Flammen hinüber. „Nun, erst einmal sollten wir hier verschwinden und uns ein neues, unbewohntes Dach suchen, unter dem wir unterkommen können. Hier würde ich ungern unsere weiteren Schritte beraten, zu viele Augen und Ohren in der Nacht! Und diesmal, fackelt es bitte nicht gleich ab, nur weil es ein bisschen unordentlich ist, ja?! Das verursacht nur wider Chaos und Verwirrung hier in der Stadt.“, sagte Mænorõudt, die Brüder anstarrend, die sich immer noch an ihrem Meisterwerk erfreuten.

 

„Das ist ein guter Vorschlag.“, sagte Enma, der ebenfalls noch mit seinen Blicken an den lodernden Flammen hing.

 

„Dann sollten wir uns sputen! Wir sollten hier nicht länger als unbedingt nötig verweilen.“, gab Widar zu bedenken. So setzte sich das Grüppchen schnell in Bewegung und verschwand rasch aus dem Wirkungsradius der aufgebrachten Bevölkerung und des Feuers, verschluckt von der Dunkelheit der Schatten, innerhalb der engen Gassen der malerischen Stadt. Dann, nach einigem Suchen fanden sie in einem abgelegenen Teil der Stadt, in einer engen Seitengasse eine kleine, unbewohnte Lehmkate. Offenbar war diese Behausung erst vor kurzem frei geworden. Zumindest sah sie noch recht benutzt aus, nur der Gestank wies darauf hin, dass sein Vorbesitzer wohl das Zeitliche gesegnet haben musste.

 

 

 

Einer nach dem andern verschwand in der viel zu kleinen Hütte und es wurde rasch sehr eng, was die ganze Situation nicht erträglicher machte.

 

„Hier sollten wir jetzt eine Weile ungestört sein.“, sagte Merlin, der, nachdem der letzte eingetreten war, einen Bankreis gezogen hatte.

 

„Wie sieht denn nun der Plan aus, werte Herren?“, stellte Loki erneut die Frage. Stille erfüllte die Kate. Es bedurfte einige Zeit, bis sich eine Lösung fand. „So wie die Situation momentan ist, wäre es zu riskant, jetzt weiter zu reisen.“, begann Seraphine. „Nein! Wir müssen sofort weiter. Ihr habt es doch selbst gesagt: Sie werden wiederkommen!“, rief Astaroth bestürzt. „Nun mach dir deswegen mal nicht gleich ins Kettenhemd! Natürlich werden sie wiederkommen. Und wenn wir sie tausende von Malen töten, vernichten, abmetzeln oder abfackeln. Sie werden erst dann aufhören, wenn sie haben, was sie wollen! Und das sind nun einmal die Bruchstücke.“, fuhr er ihn an. „Dir ist der Aufruhr da draußen doch nicht entgangen, oder? Dir sollte doch klar sein, dass wir uns jetzt erst einmal bedeckt halten müssen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Ansonsten haben wir gleich die ganze christliche Prozession am Arsch!“, führte Widar seines Bruder Erläuterungen fort.

 

„Und deshalb werden wir fürs erste innerhalb dieser Mauern bleiben. Wir sollten lieber die Zeit hier nutzen und ein paar Wirtshäuser auf den Kopf stellen, anstatt in heilloser Panik hier abzuhauen, nur weil ein paar verrückte uns ans Leder wollen!“, fuhr Loki fort.

 

„Wir können, und dürfen kein Risiko eingehen. Einigen der Leute hier könnten etwas undankbar für unsere geleistete Arbeit sein. Ganz abgesehen von den ganzen Verwundungen!“, setzte Seraphine hinzu. „Und deshalb werden wir uns auch hier trennen!“, sagte Enma bestimmt. „Was?“ „Du hast schon richtig gehört.“ Enma besah sich seine Wunden und die der anderen. Auch, dass Hakuryu nicht ohne Blessuren aus dem Kampf gekommen war und immer noch, trotz Erschöpfung aufrecht stand und aufmerksam zu- sah und hörte, hatte er nicht vergessen. „Wir können es nicht zulassen, dass es wieder zu solch einer Situation kommt. Ihr setzt nur euer kurzes Leben aufs Spiel, oder die unseren in Gefahr bringt, damit wir euch beschützen. Wenn ihr weiter mit uns zieht, bringt ihr nicht nur euch, sondern auch uns in Gefahr!“ Neressa senkte den Blick vor Scham und auch Astaroths Miene veränderte sich in die Richtung, nachdem Enma mit seinen Erläuterungen fortfuhr. „Seht euch nur die arme Hakuryu an! Als sie hier eintraf, war sie bereits am Ende ihrer Kräfte, doch sie hat mit uns gekämpft und euch nebenbei die Angreifer mit ihren Schwingen vom Leibe gehalten. Und Widar…“ Sie sahen ihn an. „Er wurde schwer getroffen, um dir“, er sah zu Neressa rüber. „das Leben zu retten, weil du“; sein finsterer Blick traf Astaroth. „nicht im Stande warst, irgendetwas zu unternehmen!“ Verletzt, den Blick unten haltend schwiegen sie.

 

Mænorõudt deutete auf Neressa und Kaigo. „Ihr werdet gehen! Ihr seid nur schwache Menschen, die nicht in der Lage sind, ihr Leben, geschweige denn, das anderer zu beschützen.

 

Es ist besser so für euch.“ Stillschweigend akzeptierten sie ihr Schicksal. „Astaroth, du wirst mit ihnen gehen, sie begleiten und schützen!“, sprach Seraphine in bestimmendem Ton.

 

Der sah auf, einen Hoffnungsschimmer in ihm aufkeimend. Sein Plan würde doch noch aufgehen. So dachte er zumindest.

 

„Ihr solltet nun gehen, bevor der Morgen graut. Sucht euch eine Herberge und kommt dort für eine Weile unter. Wartet, bis sich die Aufregung gelegt hat, bevor ihr wieder unter die Leute tretet.“, riet Widar ihnen.

 

Astaroth stimmte zu und wollte schon, mit seinen beiden Schützlingen im Schlepptau aus der Kate treten. Doch noch bevor er halb aus dem Eingangsloch getreten war, erschallte hinter ihm Lokis Stimme: „Geht, aber das bleibt bei uns!“ Seraphine trat wortlos auf Neressa zu und nahm ihr die Kette ab. Sie ließ es wortlos über sich ergehen, doch Astaroth wollte protestieren. „Es wird euch eh nur Schwierigkeiten einbringen. Früher oder später werden sie dann auch hinter euch her sein, weil ihr es noch besitzt. Ohne haben sie keinen Grund, euch zu verfolgen.“, warf Merlin ein und erstickte so die Wiederworte im Keim.

 

„Beschwere dich nicht. Immerhin hast du uns bereits ausführlich gezeigt, dass man dir die Verantwortung nicht anvertrauen kann!“, sagte Widar, der sich zum wiederholten Male seine tiefe Wunde besah. Ein kurzes Zögern, dann verließen die drei ohne ein Wort zu sagen die kleine Kate.

 

Als ihre Schritte dann nicht mehr zu hören waren, fing Widar wieder zu reden an: „Na gut, da wir das Problem jetzt beseitigt hätten, können wir ja nun beginnen.“

 

„Großartig! Jetzt sind wir zwar weniger, aber das Platzproblem hat sich so um das Tausendfache verschlechtert. Lässt sich das hier denn überhaupt noch durchführen?“, fragte Vali, der schon wieder ungeduldig wurde. „Das werden wir dann ja sehen!“, entgegnete Widar mürrisch.

 

Sie stellten sich zu einem Kreis zusammen, sofern es die örtlichen Begebenheiten eben zuließen und setzten fort, wobei sie in der Moschee zuvor unterbrochen worden waren.

 

Göttliche Kraft erfüllte die Kate, sobald das erste Wort gesprochen war. Das Ritual der Verbrüderung nahm viel Zeit in Anspruch und kostete die Ausführenden viel Kraft. Sie alle konnten spüren, wie die Energie sie durchströmte und sie wieder mit neuem Leben erfüllte. Die Lebensgeister erwachten erneut und die Wunden begannen wie durch Zauberhand rasch zu genesen. Als sich dann die Magie legte und das Ritual abgeschlossen war, ging die Sonne bereits wieder weit im Osten auf. Aus den versammelten Acht, bestehend aus Göttern und anderen magischen Wesen, die in der Dunkelheit einschliefen, waren nun mehr als Geschwister in der Dämmerung erwacht. Sie waren gleich, in Geist und Seele miteinander verbunden und von der gleichen Kraft durchströmt. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt und zu Brüdern und Schwestern gemacht. Vereint, als Beschützer der Erde, das Schwert zu finden und es aufzuhalten. Sie wurden Hüter des Schwertes, die Custos Gladii!

 

 

 

 

 

Vom Rückschlag geschwächt und dezimiert versteckte sich das Böse voller Hass und Zorn im Zwielicht, um neue Kraft zu sammeln. So schickte es immer wieder seine restlichen Untergebenen aus, um es mit frischer, kraftvoller Magie zu versorgen, damit es schnell erstarken konnte und in der Lage war, wieder eine neue Armee von Seelen um sich zu scharen. Über den Ländern der Erde verdunkelte sich der Himmel, unmerklich zwar für das sterbliche Auge, dennoch erahnte die Tierwelt das nahende Unheil. Die Barriere zwischen den beiden Welten, der Menschenwelt und der Dämonenwelt wurde immer schwächer. Packte wurden geschlossen, Macht trieb von Ufer zu Ufer und Heerscharen von Dämonen wechselten ihre Herren. Das Böse war im Vormarsch und niemand konnte den nahenden Sturm sehen, der sich in der Ferne zusammenbraute, angetrieben von Hass und Gier.

 

Es hatte nur seine Wiedervereinigung im Blick, doch war da etwas. Etwas Unbedeutendes und kleines, was dem ein Dorn im Auge war. Der Abschaum, der es wagte, sich dessen Bestimmung, die Welt zu verändern, verbessern und zu beherrschen in den Weg zu stellen. Doch es würde seine Rache bekommen. Ja, ganz sicher, egal wie viel dafür geopfert werden musste, egal, wie viele dafür sterben mussten. Es war alles Mittel zum Zweck! Am Ende konnte es nur gewinnen und die Welt würde sein.

 

 

 

Die Sonne ging auf und zog ihre weite Bahn über das Himmelszelt. Sie stand schon hoch am Himmel, als sich die ersten Gestalten in der verlassenen Kate rührten.

 

Nachdem sie ihr Ritual abgehalten hatten, überfiel die Hüter die Müdigkeit und schon nach kürzester Zeit überfiel der Schlaf das kleine Lehmgebäude. Geschützt von dem Bann, der die Hütte noch immer umgab, schliefen sie und kurierten ihre Kräfte für einen neuen, schicksalhaften Tag.

 

Es dauerte nicht lagen, bis die Mittagssonne die kleine Kate aufwärmte und die Kälte der Nacht aus allen Ritzen der Wände vertrieben hatte. Trockener, warmer Wind fegte hinein und brachte den Wüstensand mit sich, den Lärm aus der Ferne.

 

Ein Zotteliger, roter Haarschopf lugte durch den zerschlissenen Vorhang, der die Haustür ersetzen sollte. „Los, komm Bruder, es wird Zeit, sich unser Werk bei Tage zu betrachten!“ Widar zog den Kopf wieder rein und fühlte sogleich den herben Unterschied von der frischen Luft draußen und der muffigen im Inneren. Vali lag noch immer in seinen Umhang gehüllt in der gleichen Position auf einem kaputten Stuhl, wie zu dem Zeitpunkt, wo er sich dort niedergelassen hatte. Er dachte jedoch nicht daran, schon aufzustehen und blieb beharrlich weiter auf seiner Schlafstätte sitzen. „Na schön…“ Widar blickte sich um und betrachtete die anderen Gestalten im Schatten. Sein Blick schweifte umher, betrachtete seine neue Familie und lachte in sich hinein. Sein Blick fiel auf seine Hand, ballte sie zur Faust und besah sich seiner Wunden. „Das wird wohl eine Weile dauern, bis das verheilt ist… An diesen schwachen Menschenkörper sollte ich mich besser schnell gewöhnen…“ Dann trat er wieder nach draußen. „Nicht auszuhalten da drin!“ Inzwischen hatte sich der Wind gedreht und trug nun auch den rauchigen Geruch von Verbranntem herüber. „Ich denke, es ist Zeit, einen Weg zu finden, um hier wegzukommen. Aber es sieht wohl ganz danach aus, als müsste ich mich allein darum kümmern…“ Dann verließ er die leere Gasse und mischte sich unter die Menschenmassen.

 

Erst nach einer ganzen Weile regte sich erst wieder etwas in der Kate, nachdem der rußige Geruch den Weg durch den Vorhang gefunden hatte. „Man, hab ich vielleicht einen Hunger. Ich könnte ein ganzes Pferd verschlingen!“ Vali schlug sich mehrmals auf den Bauch. Enma sah ihn verwundert an. „Ihr habt ziemlich seltsame Essgewohnheiten.“ Ein Schwall Licht kam herein, als Loki den Vorhang zur Seite schob. „Mh, riecht wie daheim.“, sagte er und schob den Kopf nach draußen. „Dann sollten wir uns nach was Essbarem umsehen…Hat einer von euch zufällig Goldmünzen dabei?“, kam Seraphines Stimme von hinten.

 

„Ich denke, das wird nicht nötig sein.“ Widar stand wieder vor der Kate mit einem Bündel unter dem Arm. Sie blickten ihn an. „Hier!“ Widar warf Vali das Bündel zu. „Met hatten sie erwartungsgemäß leider keinen. Nur so ein Gesöff, das sie Wein nennen. Aber wenigsten ist war es umsonst. Die machen da ein großes Fest.“ Vali blickte erst ihn, dann das Bündel an. „Haut rein. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, solange sie in Hochlaune und besoffen sind und von hier verschwinden. Gegen Abend zieht eine Handelskarawane wieder in Richtung Küste. Ich habe uns bereits ein paar Plätze reserviert.“ Die Gesellschaft versammelte sich zu einer Runde und stärkte sich an den kargen Speisen vor ihnen. „Ich war auch so frei, mich an den Vorratskisten zu bedienen. Ich dachte mir, ein bisschen neue Ausrüstung und Waffen könnten nicht schaden.“ Hakuryu sah auf. „Und wo hast du das ganze gelassen? Doch sicher nicht alles unter deinem Umhang?“ Widar lachte auf. „Nein, natürlich nicht. Ich habe alles auf unserem Karren verstaut und den in einem verfallenen Lagerhaus, nahe dem Stadttor versteckt.“ Die weitere Malzeit verging schweigend, bis ein Schatten über sie zog. Eine dunkle Wolkendecke hatte sich vor die Sonne geschoben und schlagartig wurde es kühl in der Stadt. Instinktiv standen sie alle auf und blickten gen Himmel. „Sieht ganz nach Regen aus.“, durchbrach Mænorõudt  das Schweigen. „Das ist kein gewöhnliches Unwetter. Böses liegt noch in der Luft. Wir sollten uns sputen!“ Am, nun schon fast pechschwarzen Himmel krachte und donnerte es und Regen kam herab. Es dauerte nur wenige Sekunden, da war der staubtrockene Sand völlig durchweicht und die teilweise schwer beladenen Gestalten sanken in dem weichen Untergrund ein. „Sie hat recht, aber bei dem Wetter können wir unmöglich jetzt alleine aus der Stadt raus. Wir sollten uns erst einmal eine bequemere Unterkunft als diesen muffigen Erdhügel suchen.“, gab Enma zu bedenken. „Na, dann nichts wie weg hier!“, pflichtete Vali bei. So machten sich die durchnässten Gestalten hastig auf den Weg, auf der Suche nach einem geeigneten Unterstand. Enma und Mænorõudt gingen voran, dahinter die beiden Asenbrüder, die den noch immer bewusstlosen Merlin trugen, gefolgt von Seraphine und Loki. Hakuryu bildete den Schluss. Ungesehen und unbemerkt erreichten sie in der leblos scheinenden Stadt ein großes Haus, was augenscheinlich und nach dem, was man von drinnen zu hören war, ganz eindeutig ein Wirtshaus. Augenblicke später sprang die Tür auf und sieben vermummte Gestalten betraten das belebte Gasthaus. Augenblicklich herrschte Totenstille. Alle Blicke waren mehr oder minder, je nach Grad der Betrunkenheit der Gäste, auf die neuen gerichtet.

 

Die Tür fiel wieder zu und die Hüter verschwanden im Zwielicht. Noch tropfend gingen sie zur Bar und hinterließen einen Fluss hinter sich. Sie hatten sich gerade zum Wirt durchgearbeitet, da stand einer der betrunkenen Gäste auf. „Was seid’n ihr für Gestallt’n?“, lallte der Mann, der sich kaum alleine auf den Beinen halten konnte. Vali drehte sich sogleich zu dem Trunkenbold um und sah ihm in die schielenden Augen. Er hob langsam die geballte Faust in die Höhe, während die anderen Gäste nur schweigend zusahen. Sekunden später dann knallte es und das Bier schwappte in den vollen Krügen. „Eine Runde für alle!“, rief Vali, nachdem er mit der Faust rücklings auf den Tresen geschlagen hatte, um den Wirt auf sich aufmerksam zu machen. Sofort brach ein Jubelgeschrei los und der Argwohn verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in Heiterkeit. Sobald dann jeder seinen Humpen vor sich stehen hatte und sich der Aufruhr etwas gelegt hatte, trat der Wirt erneut auf sie zu. „Kann ich ihnen sonst noch in irgendeiner Weise behilflich sein?“ Widar wandte sich von dem lustigen treiben ab und stellte seinen Humpen vor sich auf den Tresen. „Ja. Wir brauchen ein großen Raum, in dem wir ungestört sind, bis das Unwetter nachgelassen hat.“ Mit Nachdruck ließ er einen kleinen Lederbeutel mit schepperndem Metallinhalt auf die Holzplatte fallen. „Aber gewiss doch, werter Ritter. Ich stelle ihnen gerne mein Lager zur Verfügung. Dort werden sie ganz sicher ungestört sein.“ Die Augen des Wirtes begannen zu leuchten und klebten wie gebannt an dem Beutel. „Menschen sind ja so leicht zu beeinflussen!“, sagte Loki, als sie den Raum verschlossen hatten und sicher waren, dass niemand in Hörweite war.

 

„Haben wir denn schon eine Idee, wo wir als nächstes hingehen?“, fragte Mænorõudt, während er in durch das kleine Fenster in den unheilschwangeren Himmel blickte. Vali indes warf einen Dolch immer wieder mit der Spitze auf den Tisch und zog ihn wieder hinaus. „Man erzählt sich von einem heiligen Gegenstand, der, wenn man aus ihm trinkt, die ewige Jugend erhalten soll. Dieser Heilige Gral, wie ihn die Leute nennen, soll das Blut eines Kerls enthalten…Wie hieß er noch gleich? ...Na, jedenfalls sind die Christen seit Ewigkeiten hinter dem Teil her. Vermutlich befindet es sich hier in der Nähe, warum sonst sollten die Kreuzritter ständig so verbittert um diese Stadt kämpfen?!“ Sein Blick schweifte die Runde und spähte in nachdenkliche Gesichter. Loki war der erste, der wieder zu Wort kam. „Wenn dieser Becher eins der Artefakte ist, wovon ich jetzt einfach mal ausgehe, wo sollen wir nach dem Ding suchen? Die Wüste erstreckt sich in alle Himmelsrichtungen so weit das Auge reicht. Und diese gottverdammte Stadt ist auch nicht gerade mickrig!“ Ein grelles Licht erfüllte für einen Augenblick den Raum und warf schaurige Schatten, die an den Wänden tanzten. Kurz darauf erschallte ein ohrenbetäubender Knall. „Das wird ja immer schlimmer. Hat sich unser Bruder beim schmieden auf den Daumen geschlagen?“, fragte Vali an seinen Bruder mit einem Grinsen gewandt. „Du hast auch keine Ahnung, wo er versteckt sein könnte?“, fragte Enma Seraphine. Die sah ihn nur an und schüttelte bedrückt den Kopf. „Merlin?“ Auch er schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe zwar viel über ihn gehört und einiges darüber gelesen. Aber was Genaueres weiß ich auch nicht. Irgendwo im geheiligten Land, aber das ist ziemlich weitläufig. Vielleicht finden wir ein paar Anhaltspunkte in den örtlichen Bibliotheken?“ Widar schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Das wäre ein Versuch wert. Wenn sich der Sturm etwas gelegt hat, könnt ihr euch ein wenig umsehen.“ Merlin nickte. „Warum quetschen wir die Leute hier nicht einfach aus? Die wissen doch sicher, wo der Ort ist.“ Vali unterbrach seine Tätigkeit. Er war gerade dabei, Runen in die Tischplatte zu ritzen. „Das bringt doch nichts. Der erbärmliche Haufen, der sich Ritter schimpft, hat doch keine Ahnung. Nein, die einzigen, die was wissen könnten, sind die Großmeister. Und an die dranzukommen wäre verdammt schwierig. Wenn, dann sollten wir beide das machen!“, sagte er und deutete dabei auf sich und Widar. „Ihr anderen würdet zu viel aufsehen erregen und vermutlich auch nichts von den Herren gesagt bekommen. Im besten Fall würde man euch lynchen!“, setze Widar fort. „Da habt ihr wohl Recht. Na ja, solange der Sturm tobt, können wir eh nichts unternehmen. Vielleicht sollten wir uns so lange noch ausruhen und neue Kräfte sammeln? Ich denke, dass es ein sehr langer Marsch werden wird…“, gab Hakuryu zu bedenken.

 

Erneut erhellte sich der Himmel und Donnergrollen ertönte in der stürmischen Nacht. Ein lautes Krachen, welches aus unmittelbarer Nähe zu kommen schien, ließ die Hüter zusammenfahren. Ein Blitz war in ein Nachbarhaus eingeschlagen und Flammenzungen stachen hinaus. Schreie und hastiges Fußgetrappel schallten durch die regengepeitschte Luft. Vali und Widar sahen sich an, schielten nach oben und lachten im Chor: „Thor!“ Abermals, wie als Bestätigung, blitzte und donnerte es. „Da ist wohl jemand ärgerlich, dass er nicht gestern zum Grillfest eingeladen wurde“, lachte Vali. „Ja, ja, unser armes Brüderchen“, stimmte Widar ein. Nebenbei, während sich die beiden Asenbrüder amüsierten, starrten die anderen Hüter aus dem Fenster und sahen dem wilden Treiben draußen zu. Noch immer loderte der Brand, wurde aber stetig schwächer. Überall stiegen kleine Dampfsäulen auf, wo der Regen niederschlug. Es sollte nicht lange dauern, bis das Feuer gelöscht war. Doch so lange konnten die Hüter nicht warten. Rasch legte sich der Tumult und die Hüter traten wieder vor den Tisch, auf dem Widar eine Karte ausgerollt hatte. Darauf waren mehrere Städte markiert. Jerusalem, Damaskus, Akkon und Masyaf. Doch bevor sie alle einen genaueren Blick darauf werfen konnten, brach draußen abermals ein Aufruhr los. Die Wolkendecke war aufgerissen und lichtete das Weltendach. Zum Vorschein kam ein blutroter Horizont. Den Hütern blieben nur wenige Augenblicke es zu bestaunen, da gab es einen dumpfen Aufschlag hinter ihnen im Zimmer. Seraphine war auf einen Schemel gesunken und lies den Kopf hängen. „Tot….“ Alle Blicke wandten sich um. „Was? Wer?“ Verwirrt sahen sie alle an. „Sie sind alle tot...Gott, meine Freunde, Erzengel Michael und Gabriel….und meine geliebte Schwester Alexiela…Sie sind alle tot!“ Tränen kullerten aus ihren Augen. Besorgt traten sie auf ihre Schwester zu. Die Zimmertür schwang auf und viel hinter Merlin wieder ins Schloss. Der Zauberer verließ rasch das Gebäude in Richtung der großen Bibliothek. Ihm war bereits klar, dass sie keine Zeit mehr verlieren durften.

 

Seraphines Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen, als ihre Flügel unter den Schulterblättern durch die Haut brachen. Vor ihren Augen begann sich das strahlend weiße Federkleid sogleich grau zu verfärben. Die Flügel schienen zu welken, verkümmerten und begannen schließlich, die Federn zu verlieren. Diese segelten sogleich gen Boden und färbten sich schwarz. Nach wenigen Augenblicken lösten sich ihre Schwingen, fielen d ab und landeten in dem kleinen Aschehäufchen, der einst ihr prächtiges Federkleid war. Entsetzt bestaunten die Umstehenden das Geschehen. Die Geschundene wischte sich kurzerhand die Tränen aus den Augen und hob die Reste ihrer Schwingen auf Augenhöhe. Es gab ein leises Zischen und die letzten schwarzen Federn zerstoben in einer Wolke aus bläulichem Feuer im Nichts. Als es sich wieder gelegt hatte, hielt sie einen pechschwarzen Bogen in Händen. Mit traurigem Blick starrte sie ihn an, bis sie resigniert seufzte. Ohne den Blick von ihrem Schatz zu heben fing sie an zu erzählen. „Vor einiger Zeit, als das Böse wieder erwacht war… Mein Herr hatte es bereits gespürt und einen Rat abgehalten. Es war sofort klar, dass es seine andere Hälfte haben wollte. Es wollte seine gute Seite vernichten und dessen Macht in sich aufnehmen. Kurzerhand beschloss Gott dann, dass die reine Seele in Sicherheit gebracht werden musste.

 

Gabriel und meine Zwillingsschwester Alexiela wollten, dass ich geh. Sie wollten mich in Sicherheit wissen…Sie wussten, dass sie mich nie mehr wieder sehen würden.“ Seraphine hielt kurz inne und schluckte ein paar Tränen hinunter, bevor sie fortfuhr. „Alexiela hat gesagt, sie würde mich immer beschützen…Das ist ihr Bogen. Sie hat ihn nie aus der Hand gegeben…Nun ist es meiner. Jetzt, wo der Himmel gefallen ist…“ Die Umstehenden sahen bedrückt und ratlos drein. Dass der Gott der westlichen Hemisphäre mit seinem Engelsheer gefallen war schockierte sie alle zutiefst. Nur Mænorõudt schien davon unbekümmert.

 

Während nun einige Zeit verstrich, Seraphine auf den Bogen ihrer toten Schwester starrte und die anderen Hüter stumm beieinander standen, durchstöberte Merlin bereits etliche Bücher und alte Schriftrollen in der großen Bibliothek.

 

Widar trat mit versteinertem Gesicht an sie heran. Auch Enma zeigte zum ersten Mal Trauer auf seinem Gesicht, denn er kannte auch Alexiela von früher.

 

Gedrückte Stimmung erfüllte den Raum und die Blicke waren gen Boden gerichtet. Sie alle wussten, das sollte nicht der letzte Fall gewesen sein. Nun war guter Rat teuer. Darksoul würde sicher nicht innehalten, bis er alle seine Gegenspieler schachmatt gesetzt hatte. Die Frage war nur: Wer war als nächstes dran?

 

Seraphine war es dann, die das Schweigen wieder brach. „Es geht mir gut“; sagte sie mit leichtem Zittern in der Stimme, während sie den Bogen fest umklammert hielt und die bedrückten Gesichter ihrer neuen Familie sah. Im gleichen Moment legte sich auch das Unwetter und die Reste der Abendsonne durchstießen die Wolken wie eine Lanze. Hastig rollte Widar die Karte wieder zusammen und verstaute sie sicher in einer Gürteltasche. Kurz darauf öffnete sich die Tür und das Gespann trat zurück in die Taverne, die sich bereits gelichtet hatte. Lediglich der Wirt, sein Weib und eine kleine Gruppe von Leuten, die gerade noch ihre Köpfe über dem Tisch halten konnten waren da. Hastig, mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen trat er auf sie zu. Waren sie zufrieden? Kann ich ihnen noch etwas bringen?“ Die Gruppe ging schweigen an dem Mann vorbei und verließ die Taverne ohne ein Wort zu verlieren. Nur wieder hielt kurz inne. „Es war alles zu unserer Zufriedenheit.“, sagte er, steckte ihm noch eine Münze in die Hand, verabschiedete sich noch höflich von dessen Gattin und verließ dann ebenfalls das Gebäude. Sobald sie draußen waren, hielten sie schützend die Hände vors Gesicht. Die Sonne stach nun von Westen her fast waagerecht auf sie mit ihrem roten Abendlicht. Noch immer strahlte der Himmel blutrot und die Aura des Bösen war zum Greifen nah.

 

Es gab noch ein paar letzte berechnende Blicke, als wollten sie Darksoul eine Warnung aussprechen, dann folgten sie den Fußstapfen Widars.

 

Sieben Stiefelpaare schlugen sich durch den von Regen aufgeweichten Sandboden, spritzten Wasser und Schlamm auf. Die dunklen Gestalten, die allesamt in Umhänge gehüllt waren rannten im Zickzack durch die Stadt. Überall lagen noch Schutthaufen, Überreste und anderes, was das Weiterkommen verhinderte. Es dauerte allerdings nicht lange, da waren sie an ihrem Ziel angekommen. Widar machte eine Geste und deutete auf eine alte, vermoderte Scheune, die im westlichen Stil gehalten war. Vali ging ohne Umschweife auf das große schwere Eichentor zu und trat es auf. Es gab ein lautes Krachen, die Türen flogen auf und wurden durch die Wucht aus den Angeln gerissen. Polternd schlugen sie nieder und wirbelten Staub und Sand auf. Somit eröffnete sich dem Sieben der Blick auf einen Wagen, der mit einer Plane abgedeckt war. Eilig traten sie in das Gemäuer ein, da sie nicht noch mehr Aufmerksamkeit riskieren wollten. „Wir sollten uns erstmal trennen“, sagte Widar, der das Selbe dachte, wie Seraphine. „Wir müssen die anderen warnen. Die Tore zu den anderen Götterwelten müssen geschlossen werden!“ Enma hob eine Augenbraue und sah ihn nachdenklich an. „Ihr meint, es wird auch die überfallen?“ „Davon ist auszugehen“, sagte Seraphine. „Es wird keine starken Mächte, die ihm in sein Handwerk pfuschen könnten dulden. Vielleicht ist es auch davon überzeugt, dass die restlichen Teile sich auch noch dort befinden“, setzte Loki das Wort fort. „Außerdem wird es sicher nach deren Macht streben. So ein wenig Gotteskraft ist für einen fanatischen Geist sicher reizvoll.“, setzte Mænorõudt hinzu. „Vali und ich, wir werden in die nächste Stadt ziehen und sehen, dass wir etwas über diesen Gral in Erfahrung bringen können. Loki, du sorgst dafür, dass die Regenbogenbrücke nach Asgard nicht mehr zu überqueren ist. Enma und Seraphine, ihr kümmert euch im Osten darum. Mænorõudt und Hakuryu, ihr bleibt bei Merlin und schaut, dass ihr noch was herausfinden könnt. Wir treffen uns dann alle beim nächsten Vollmond in der Stadt Masyaf.“

 

Stillschweigend stimmten die anderen zu und verschwanden sogleich in alle Himmelsrichtungen. „Es ist bitter, dass wir uns nicht frei bewegen können. Das könnte viel schneller gehen…“, sagte Vali mehr zu sich selbst. „Du hast Recht Bruder. Aber wir dürfen nicht riskieren, dass Darksoul uns aufspürt und herausfindet, was wir planen. Solange wir im Dunkeln tappen, müssen wir uns bedeckt halten.“ Dann verschlang der Horizont die Sonne und die Dunkelheit brach ein. Just in diesem Moment öffnete sich das Nordtor und eine Prozession aus Wagen und Pferden verließ die Stadt. Am Ende, mit etwas Abstand ratterte eine klapprig wirkende Karre, auf dem zwei, in schwarze Umhänge gehüllte Silhouetten saßen.

 

 

 

 

 

 

 

Alsdann hatten sich die Hüter aufgeteilt und Friede kehrte nun endlich wieder in die heilige Stadt und so vergingen die weiteren Tage und Nächte ohne weitere Vorkommnisse…

 

 

 

Einen Monat später, als der Mond am vollsten war…

 

 

 

Helles weißes Licht viel auf das kleine friedliche Dorf, welches in nächtlicher Ruhe dalag. Einzig das Heulen der Wölfe und das Zirpen der Zikaden waren durch die kühle Luft zu hören. Das Wüstengras wiegte sich leicht im Wind und auch der leichte Sand wurde von selbigen durch die Straßen getragen, sodass es wie ein leichter Nebel wirkte. Vereinzelt brannte hier und dort noch eine kleine Flamme, die sich in der Dunkelheit verloren hatte. Der Mond wanderte weiter und die Schatten, die er warf, gingen mit ihm. Auch der Schatten, den die Festung von Masyaf warf, zog wie ein gewaltiges Ungeheuer über das Dorf hinweg. Es bedeckte große Flächen mit Finsternis und zog unaufhaltsam weiter.

 

Alles war so wie immer. So dachten die ahnungslosen Bewohner dieses Dorfes zumindest.

 

Niemand ahnte was von der nahenden Fremden. Auch, dass sich schon Fremde eingeschlichen hatten, war niemandem gewahr.

 

Zwei einsame Gestalten in dicke Umhänge verhüllt schlichen durch die kühle Nacht. Sich vor Wind und Kälte schützend pressten sie sich ihre Umhänge ganz fest an den Leib. Im Halbschatten verschwindend zogen sie so weiter gen Norden, wo sich der riesige, schwarze Riese, die Festung von Masyaf befand. Immer wieder kamen sie an Gassen vorbei in denen die Schatten umher huschten und glühende Augenpaare den Fremden folgten. Doch es waren nicht nur Tiere, deren Blicke den Beiden folgten. Aus den Schatten heraus würden sie auch von anderen, von weit her gereisten Fremden beobachtet.

 

„Spürst du das?“, kam es unter einer der Kapuzen hervor. Die andere Gestalt machte eine knappe Handbewegung. „Sei still!“, raunte sie. Verfolgt von Schatten und Kreaturen der Nacht schritten sie weiter voran, bis sie an ein großes Haus herantraten, in dem noch Licht brannte. Die Kapuzen hoben sich und gaben den Trägern den Blick auf das Dach frei, wo eine kleine, kaum sichtbare, schwarze Flamme brannte.

 

„Ihr seid spät!“, schallte eine Stimme hinter ihnen aus dem Nichts. Die beiden drehten sich um und eine, ebenfalls vermummte Gestalt trat ins sanfte Licht des Mondes. „Wir haben uns bereits umgesehen“, sagte Widar, der nun die Kapuze zurückzog. Seraphine lächelte. „Ja, ja, erst das Treffen bestimmen und dann als letztes auftauchen“. „Die Anderen warten drinnen?“, fragte Vali, der nun auch die Kapuze wegzog. Seraphine nickte.

 

Sie gingen gemeinsam auf die Tür zu, die sich öffnete, als sie davor standen. Eine große Gestalt trat ihnen mit einer gehörigen Fahne entgegen. Mit ihm kamen die warme Luft und ein Gestank entgegen, der sich aus vielen Duftnoten zusammensetzte, denen die drei nicht weiter nachgehen wollten. Rasch traten sie ein und schlossen die Tür hinter dem angeheiterten Gast. Die Reihen an den Tischen waren wie erwartend bereits sehr gelichtet.

 

Am Tresen stand noch der sehr müde wirkende Wirt, der die neuen Gäste auch nur noch beiläufig grüßte und dann wieder in seinen Halbschlaf versank, während er weiter Krüge auswusch. Am anderen Ende des Raumes, hinter einer kleinen Biegung in einer Nische saß noch eine größere Gruppe, in Leinen verhüllte Gestalten, die dem Anschein nach in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren. Die anderen Gäste blieben ebenfalls bei sich und ihrem Krug. Widar ging zu Wirt. „Sie sind wieder zurück?“, fragte der Wirt müde. Der nickte nur und ließ ein Säckchen auf den Tresen fallen. Hastig lies der Wird das Geld in seiner Tunika verschwinden. „Vielen Dank mein Herr. Hier Ihr Schlüssel.“ Er reichte Widar einen großen bronzenen Schlüssel. Er steckte ihn ein und ging mit Vali und Seraphine zu dem großen Tisch im Halbschatten. Die Mienen derer, die dort saßen waren wie versteinert, zeigten keine Emotionen, während sie die drei von unten heraus ansahen. Der Wirt warf einen letzten Blick auf die seltsamen Fremden, dann verschwand er durch eine Tür, die hinter dem Tresen stand und in seine privaten Gemächer verschwand. Auch die letzten Gäste standen langsam auf und machten sich auf zu ihren Zimmern im Obergeschoss. Es wurde nun totenstill. Selbst das Feuer schien den Atem anzuhalten.

 

 

 

Just in diesem Moment öffnete sich wieder die Tür zum Gemach des Wirtes. Schlaftrunken und im Nachthemd ging er mit einem großen Schlüssel zur Haustür, um diese abzuschließen. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, da öffnete sich auch diese abermals. Es war der große Blonde, der den Dreien zuvor aus dem Gasthaus entgegen gekommen war. Offensichtlich hatte er draußen erneut Alkohol zu sich genommen, denn er schwankte mehr denn je. Ohne den Wirt, oder einen der anderen zu beachten, ging er schnurstracks zur Treppe, ging sie, sich am Geländer klammernd hinauf und verschwand um eine Biegung.

 

Der Schlüssel kratze im Schloss und der Riegel schob sich vor. Ein leichtes Klacken, dann war auch der Wirt wieder verschwunden.

 

„Nun…“ Widar wurde immer noch von der Runde angestarrt. Dann machte sich ein Lächeln auf seinem verstaubten Gesicht breit. „Es freut mich euch alle wieder zu sehen.“

 

Nacheinander lichteten sich die Gesichter und sie lächelten ihrem Bruder entgegen.

 

Es war ein herzliches Wiedersehen und die Stimmung war trotz der späten Stunde noch immer heiter. Obwohl es ihnen allen so vorkam, als wären nur ein paar Tage vergangen, fühlte es sich so an, als wäre bereits eine Ewigkeit verstrichen, seit dem sie sich das letzte Mal gesehen hatten.

 

„Nun denn, Brüder und Schwestern. Lasst uns nach oben gehen, in unsere Gemächer wo es deutlich angenehmer und besser beheizt ist“, sagte Widar, wobei er Seraphine beäugte.

 

Hastig löschten sie noch die letzten Lichter, dann verschwanden auch sie, die Treppe hinauf in den schmalen Korridor. Von der obersten Treppenstufe waren es nur wenige Schritte, bis zu der Tür ihres Zimmers. Widar steckte den großen Schlüssel in das Schloss und drehte ihn, bis es leise knackte. Schnell fanden sie den Weg hinein und suchten sich einen Platz aus, auf denen sie sich niederließen. Im Inneren prasselte bereits das Feuer im Kamin, das allerdings schon gefährlich klein geworden war. Eilends trat Vali, nachdem er sein Gepäck und den Umhang unachtsam in eine Ecke geworfen hatte auf den Stapel mit den Holzscheiten zu und legte davon ein paar in die Feuerstelle. Rasch fraßen sich dann die Flammen daran hoch und es wurde schnell wieder warm und hell im ganzen Raum.

 

Dann erst begannen sie, sich abzulegen. Kutten würden abwickelt, Rüstungsteile abgeschnallt und Kettenhemden unter Verrenkungen ausgezogen. Erst nach etlichen Anstrengungen und einer Unmenge an Zeit waren die unbequemen, verdreckten Kleider abgelegt und zur Seite geräumt. Erst jetzt konnten sich die Hüter entspannen und ungehemmt durchatmen.

 

Auf Betten, Schemeln und auf Kisten hatten sie sich niedergelassen und ließen nun erst einmal Krug und Horn in der Runde kreisen, um die verstaubten Kehlen zu befeuchten. So trat Schluck für Schluck die Röte ins Gesicht der Trinker. Es wurde immer wieder nachgefüllt und weitergereicht, bis die etlichen Flaschen auf dem Boden leer und die Anwesenden voll waren.

 

Heiterkeit, Frohsinn und Gelassenheit kehrten in die Hüter ein und schon bald sanken die ersten Gestalten in einen tiefen Schlaf.

 

 

 

 

 

Der nächste Tag brach an und mit dem ersten Sonnenstrahlen, die über die Wipfel traten, erwachte das verschlafene Nest zu neuem Leben. Es dauerte auch nicht lange, da hatte die Sonne auch schon alles mit ihrem warmen Licht aufgeheizt und die Luft begann zu flirren.

 

Auf den Märkten begann bereits das allmorgendliche Treiben der Händler und Karawanenführer und rasch wurde aus der morgendlichen Ruhe der Lärm des Alltags, der auch rasch durch die Fenster in die umliegenden Gebäude drang.

 

Ebenso verhielt sich das mit dem Zimmer in dem ein Großteil der Hüter noch nächtigte. Doch das sollte nicht mehr lange so bleiben. Das grelle Sonnenlicht stach wie Speere in den Raum, als die Fensterläden aufgerissen wurden. Rascheln, Grunzen und Stöhnen waren die ersten Antworten auf das unsanfte Erwachen. Kurz darauf folgte das Poltern und Klirren der Flaschen, die nach dem unbekannten Ruhestörer geworfen wurden, jedoch ohne Erfolg.

 

Kopfschüttelnd trat die einzige, in dem Raum stehende Person an die Zimmertür, öffnete und verließ die Stätte des Untoten.

 

 

 

Noch schlaftrunken und mit einem nicht unbeträchtlichen Kater kam Widar langsam die Treppe hinunter. Er musste schmunzeln, als er auch aus den Räumen, hinter den anderen Türen noch lautes Schnarchen und Grunzen vernahm.

 

Unten angekommen erblickte er als Erstes gleich den Wirt, der ihm, trotz ebenso verquollenen Augen und Müdigkeit höflich zunickte und grüßte. Wie erwartet sah er allerdings außer ihm niemand weiteren, was auch nicht unbedingt weiter verwunderlich war.

 

Langsam führten ihn seine Schritte zur Eingangstür, an den Tischen und Stühlen vorbei.

 

Dort angekommen riss er selbige auf und versenkte seinen Kopf in dem großen Wasserfass, welches an der Ecke des Hauses stand.

 

Kurze Zeit später stand er dann wieder mit klarem Kopf oben bei den anderen, die immer noch genauso dalagen, wie vorher, als er den Raum verließ.

 

„Was für ein trauriger Anblick. Stolze Krieger, gefällt in der Blüte ihres Lebens…“

 

 

 

Da seine Brüder und Schwestern nicht dazu zu bewegen waren, jetzt aufzustehen, nahm sich Widar einen Schemel, setzte sich damit ans Fenster und betrachtete die Festung von Masyaf.

 

So verging eine ganze Weile, während die Sonne langsam am Himmel ihre Bahn zog.

 

Erst, als sie hoch am Himmel stand, die Glocken zum all mittäglichen Gebet riefen und die Gläubigen aus ihren Häusern zur Moschee gingen, regte sich auch der müde Haufen im Raum.

 

So schälten sich die Hüter schließlich aus den etlichen Lagen von Decken, Mänteln und Laken und waren schon nach einer unglaublichen halben Stunde in einem halbwegs aufnahmefähigen Zustand. „Schön, dass ihr auch mal aufsteht.“, begrüßte sie ihr Bruder und ging dann wieder zur Tür. „Ich warte dann unten in der Gaststube auf euch.“ Mit den Worten fiel die Tür schließlich nach einigem Zögern zu und rüttelte auch die letzten Geister zur Gänze auf.

 

 

 

Widar war gerade im Begriff die Tür zu schließen, da ging ein paar Schritte weiter eine andere Tür quietschend auf und der blonde, hünenhafte Mann von letzter Nacht trat auf den Flur hinaus. Auch er schien noch nicht ausgeschlafen zu haben, zumindest war seinem Gesicht abzulesen, dass er nicht bester Laune war. „Gott zum Gruße“, begrüßte Widar den Fremden. Der Angesprochene schreckte ganz offensichtlich aus seinen Gedanken hoch, in denen er jemanden, oder etwas zu verfluchen schien. Als er realisierte, dass er nicht alleine war, hellte sich seine Miene rasch auf und erwiderte den Gruß. „Verfluchte Inzucht!“, murmelte er dann kurz vor sich hin und knallte seine Tür mit etwas zu viel Elan zu. „Wie meinen?“, entgegnete Widar höflich? Mit einer abwinkenden Geste sagte er nur: „Ach, ich habe nur mit mir selbst geredet. Da bezahlt man schon so viel Gold…sie haben mir das beste Zimmer versprochen und das nennt sich dann saubere Unterkunft. Pah!“ Wütend Spuckte er auf den Boden. Er trat ein paar Schritte auf Widar zu, dann sagte er in ruhigerem Ton: „Ich hoffe, euch haben sie nicht auch so eine dreckige Unterkunft angedreht?“ Peinlich berührt schlug Widar sogleich die Tür zu ihrem Gemach zu. „Ach, nicht der Rede wert. Ziemlich eng und nicht im besten Zustand.“, log er mit trockener Kehle. „Aber was will man auch von so einem primitiven Wüstenvölkchen erwarten?“, setzte er hinzu, um vom Thema abzulenken.

 

„Da habt ihr Recht. Sagt, seid ihr auch gerade auf dem Weg in den Schankraum?“ Widar nickte nur knapp. „Kommt, ich lade euch ein.“

 

 

 

Als die ersten Füße die Treppe hinunter schlurften, standen Brot, Fleisch und Wurst, Käse und Kaffee bereits auf einer langen Tafel bereit und verbreiteten einen Speichelfluss anregenden Duft im Raum. Mit dem Ausruf: „Kaffee!“, stürzte sich Seraphine sogleich auf die Kanne mit dem bräunlich schwappenden Inhalt und kippte sich selbigen in einen Becher. So schnell wie sich jener füllte, leerte er sich auch wieder. So ging die Kanne eine Runde, bis sie bis auf den letzten Tropfen geleert und der Inhalt in den Mägen der Umstehenden verschwunden war.

 

Auf ebenso schnelle und grausame Weise wurden die Speisen vernichtet und in eine feuchte, klebrige und unkenntlich gemachte Masse verwandelt, um dem Kaffee Gesellschaft zu leisten.

 

 

 

Da nun alles Essbare von Tisch verschwunden war, öffnete sich das Bewusstsein der breiten Masse und  so nahmen die Wohlgenährten die anderen beiden Personen wahr, die das Fressschauspiel mit ungläubigen Blicken beobachtet hatten. Doch erst, als der Hüne Widar etwas geschockt fragte: „Das sind deine Kameraden?“, wurden sie ihm erst richtig gewahr.

 

„So ist es. Aber sie sind zum Glück nicht immer so.“

 

Die Besagten starrten weiterhin den Blonden an, als wäre er ein Geist.

 

 

 

„Es ist mir ein Vergnügen euch kennen zu lernen…aber ich habe noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Wir können uns diesen Abend ja noch mal unterhalten, dann gebe ich euch einen Gerstensaft aus.“ Kaum war die Rede von Alkoholika, spitzen sich die Ohren und die Mienen hellten sich auf, verdunkelten sich aber rasch wieder, als sie merkten, dass es erstmal keinen geben würde. Der Blonde stand auf, bedankte sich kurz und schritt dann zur Treppe, hoch zu seinem Zimmer.

 

 

 

Sobald die Tür mit einem dumpfen Knall zugefallen, Friedhelm somit außer Hörweite und sie ungestört waren, begann Widar zu erzählen, was sie in Erfahrung gebracht hatten…

 

 

 

Vali und Widar standen vor einer gewaltigen Felswand, aus der mächtige Säulen und Statuen gehauen waren. Das musste die besagte Gruft sein, die die Tempelherren beschrieben hatten.

 

Obwohl das Bauwerk so groß und im Grunde kaum zu übersehen war, war es doch erstaunlich gut versteckt, lag es doch in den Schatten weiterer, ebenso riesiger Felsbrocken, die so eng beieinander standen, dass man zwischen einigen nur im Seitenschritt durchgehen konnte. Der Eingang jedoch befand sich in einer etwa zwanzig Meter breiten Kluft, die nach Außen hin enger wurde. Im Notfall ein perfekt zu verteidigender Ort!

 

Ohne lange die Meisterarbeit zu bestaunen, traten die beiden Brüder durch das Tor und kamen in eine große Halle. Auch hier waren viele Muster und Figuren in die Wände gehauen worden und reichlich mit Edelsteinen verziert. An der hinteren Mauer, an der der heilige Gral scheinbar dargestellt war, waren auch Symbole eingraviert. Eine Warnung.

 

Wer den Gral sein Eigen nennen wollte, musste drei Prüfungen bestehen, aus denen nur ein Mensch mit reinem Herzen und einem klaren Verstand lebend durchkommen konnte.

 

„Sieht ganz nach Spannung aus.“, sagte Vali, nachdem er den Text überflogen hatte und ging raschen Schrittes durch das nächste Eingangsloch. „Wohl war“. Widar warf einen letzten Blick auf die Abbildung des Grals und folgte seinem Bruder.

 

Der nächste Abschnitt verlief sich in einem, schier endlos erscheinenden Korridor, auf dessen Boden sich bereits eine dicke Staubschicht gebildet hatte und jetzt, wo wieder Bewegung in die Luft geriet, der feine Sand, wie eine Nebelwelle zu fließen begann.

 

Auch hier waren wieder ein paar Zeilen in die Wand geritzt worden und gewahrten den Ankömmlingen Buße zu tun.

 

„Fast schon ein bisschen Ehrfurcht erweckend, wie, Bruder?“, lachte Vali, nachdem er die Zeilen gelesen hatte.

 

 

 

Sein Bruder ging allerdings nicht darauf ein und ging an ihm vorbei. Nur einige Schritte weiter vor ihnen lag ein Skelett, bei dem der Schädel fehlte. „Sieht ganz so aus, als müssten wie die Köpfe einziehen.“, überlegte Widar laut, schritt dann jedoch ungerührt weiter.

 

Links und rechts in den Wänden, von Staubschleier und Vorhängen aus Spinnweben verdeckt, sahen sie dann etwas glitzern und traten näher. Mit einem ausladenden Schwung seines Schwertes legte Widar den Blick auf viele, in Mauereinschlüssen versteckten Schwenkbeile frei, an denen der Zahn der Zeit schon seine Spuren hinterlassen hatte. Doch neben den Rostflecken war noch etwas anderes, das stark ins Auge viel. Es hatte den Anschein, als läge ein leichter Frostfilm auf den Fallen und dem Fels drum herum. „Sehr seltsam.“, sagte Vali, als er über die glitzernde Oberfläche strich. „Das kann nichts Gutes bedeuten. Wir sollten uns sputen!“ Kaum ausgesprochen, eilten die beiden auch schon durch den Gang zum nächsten Raum.

 

Auch hier war es, wie schon in der Eingangshalle überproportional groß und von Gravuren gesäumt. Ebenso begrüßte sie eine in Stein gehauene Botschaft, die da lautete: „Wandle auf Gottes Wegen, wenn du nicht in den Abgrund gezogen werden willst.“

 

 

 

„Hm…“, Widar verschränkte die Arme vor der Brust. „Der direkte Weg?“ Sein Bruder sah in Stirn runzelnd an. „Wohl eher nicht.“, entgegnete sein Bruder, als die erste, mit einem Buchstaben versehene Platte bei leichtem Druck unter seinem Fuß zerbrach und ein gähnend schwarzes Loch preisgab. „Klettern?“ „Klettern!“

 

Kurz darauf hingen die beiden Gestalten an der Wand und hangelten sich den langen, beschwerlichen Weg an ihr zum Ausgang entlang.

 

Ohne sich noch groß aufzuhalten marschierten sie in den nächsten Raum und sahen sich einer Schlucht gegenüberstehen. An einer Steinsäule standen die Worte geschrieben: „Der Glaube wird deine Schritte sicher ans andere Ufer bringen.“

 

Etwas verwirrt, nichts sagend und nur auf die Säule starrend standen die Asenbrüder untätig da, bis Widar dann aus der haut fuhr. „So ein Stuss!“ Mit voller Wucht trat er gegen die Säule, die sofort auseinander barst und in Bruchstücken dem Abgrund entgegen flog.

 

Erstaunlicherweise fanden nicht alle Brocken den Weg nach unten in den Endlosen Schlund sondern schlugen mit lautem Gepolter in der Luft auf, rollten noch ein Stück und blieben dann schließlich mitten in der Luft stehen. „Was in Odins Namen…netter Trick.“

 

Auf einmal war ein klarer Weg zu erkennen, da Steine und Sand klar ersichtlich machten, wo man sicher hintreten konnte.

 

Gesagt getan, waren sie auch schon über die Brücke hinweg durch das kleine Loch in der Wand verschwunden.

 

 

 

„Das sollte es nun eigentlich gewesen sein…“, sprach Widar. „Wenn nicht noch irgendwas Unvorhergesehenes geschieht.“, warf Vali bedenkend ein und sie traten aus dem Dunkel des Ganges in den letzten Raum.

 

Der Saal vor ihnen war im Gegensatz du den Vorigen sehr niedrig gehalten. Vielleicht gerade mal drei Meter hoch. Seine Form war scheinbar kreisrund, ohne Nischen oder Erker. Auf etlichen Vorsprüngen, die um einen, in der Mitte stehenden Brunnen herum aus den Wänden ragten, standen Schalen, in denen Feuer brannten und so ein feuchtwarmes Klima schafften, welches jedem, der aus der Kühlen Gruftluft kam, den Schweiß auf die Stirn trieb.

 

Erst auf den zweiten Blick war dann die lange Tafel am Ende des Raumes zu erkennen, auf der zahllose Gefäße von unterschiedlicher Größe, Form und Material waren. Vor dieser Tafel waren zu beiden Seiten Sitze aus dem Fels gehauen, auf denen zwei Gestalten kauerten, die Blicke nach unten gewandt.

 

Jedoch schnellten ihre Köpfe nach oben, als die beiden Fremden den Gralraum betraten.

 

Sogleich erhob sich der größere der beiden Wächter, zog sein Schwert und trat auf die unerwünschten Gäste zu, die ungerührt weitergingen.

 

„Eindrucksvolle Architektur.“, sagte Vali mit gespielter Begeisterung, trat einen Schritt nach rechts und ließ den jungen Tempelritter mit seinem Schlag ins Leere fallen, ohne ihn weiter zu beachten. Von dieser offensichtlichen Schmähung seiner Autorität als Gralwächter ins tiefste gekränkt, hob er erneut seinen Zweihänder und zielte nun auf den Kopf. Doch auch dieser Schlag schnitt nichts anderes als Luft und brachte den Tölpel aus dem Gleichgewicht. Dem folgten ein dumpfer Aufschlag und metallisches Klirren. „Huch“, entfuhr es Vali nun, als hätte er den jungen Recken erst jetzt bemerkt und tat ganz überrascht, was den zur Weißglut trieb. „Schluss! Es ist genug.“, kam es nun von weiter hinten.

 

Der zweite Templer war aufgestanden und schritt zu seinem Waffenbruder.

 

Dieser Ritter war um einiges Älter als der Große. Man sah ihm die Schlachten, die er bestritt und die Erfahrungen, die er dabei gesammelt hatte, genau an. Wachsam wanderte sein Blick von einem zum anderen, bereit, jederzeit seine Klinge zu ziehen.

 

Als er dann zu dem Endschluss gekommen war, das von den beiden Neuen keine Gefahr auszugehen schien, packte er seinen Kameraden am Arm und zog ihn zurück auf die Beine.

 

Ohne weiter ein Wort verloren zu haben schritten Vali und Widar den beiden Templern nach, die zu ihren Plätzen zurückgingen. Erst jetzt sahen die beiden Brüder, über was die Ritter gekauert hatten. Vor den Felsthronen lag ein weiterer Tempelritter…Er war tot. Das rote Kreuz auf seinem Wappenrock war nur noch zu erahnen, der er von seinem eigenen Blut komplett rot eingefärbt war. „Ich fürchte, wir sind zu spät.“, hörten sie Widar murmeln.

 

Vali verstand sofort. Jemand war ihnen zuvorgekommen. „Sagt, werter Ritter. Was ist hier geschehen?“ Der ältere Blickte auf und sah zu Vali auf. Sein Blick verlor auf einmal seinen stolzen Glanz. „Jemand ist gekommen…gekommen, um den Gral mitzunehmen. Unsere Aufgabe war es auf den Gral zu wachen und vor den falschen Händen zu schützen. Sie hat unseren Bruder bezwungen und somit den Gral als ihr Eigen genannt.“ Betrübten Blicken sah er erneut auf seinen Gefallenen Kameraden. „Sie? Es war eine Frau?“, fragte Widar erstaunt.

 

„Ja und nein.“, übernahm nun der junge das Reden. „Es war kein Mensch…sondern ein Engel!“

 

„Eine Engel?“ Die Augen der beiden weiteten sich vor erstaunen. „Kannst du uns beschreiben, wie aussah?“ Nun war der Ritter seinerseits verdutzt, doch gab er ihnen nach kurzem Zögern eine Beschreibung des Engels.

 

„Nachdem sie unseren Meister niedergestreckt hatte, sagte sie, sie würde den Gral bald wieder zurückbringen, wenn sie ihre Aufgabe zu Ende geführt habe.“, schilderte er weiter, während die Asenbrüder grübelten. „Sie murmelte etwas von einer verborgenen Grabkammer, in den zerklüfteten Wüsten. Irgendwo zwischen Akkon und Masyaf.“ „Masyaf?!“ Die beiden schossen hoch. „Hervorragend…Sag, wie lange ist es her, dass er Engel verschwunden ist?“

 

Der junge überlegte kurz, dann sprach der ältere: „ Sie kam einen halben Tag vor euch hier an.“

 

„Wir müssen aufbrechen. Wenn wir uns beeilen, dann können wir den Engel noch einholen.“ Vali und Widar schnallten sich ihre Schwertgürtel wieder um und machten sich zum Aufbruch fertig. Die beiden Gralwächter riefen ihnen noch viel Erfolg nach, doch dann waren sie schon verschwunden.

 

Jetzt galt es nur noch so schnell wie möglich wieder nach Masyaf zu kommen, sich mit den anderen zu treffen und sich anschließend diesen dreisten Engel vorzuknöpfen.

 

 

 

 

 

Widar hatte den letzten Satz noch nicht ganz beendet, da schepperte erneut eine Tür im Obergeschoss und der Hüne kam mit schweren Schritten die Treppe hinunter.

 

Er trug einen recht abgewetzten, schwarzen Lederschuppenharnisch, der aussah, als wäre er damit durch das Fegefeuer gelaufen und einen langen schwarzen, mit Brandlöchern gespickten Umhang, welcher hinter ihm über die Stufen strich. An seiner Seite baumelte ein Schwert, das bei ihm lediglich wie ein Zahnstocher wirkte.

 

Als er bemerkte, dass die Hüter noch immer an dem Tisch saßen, vollführte er mit dem Arm eine verabschiedende Geste, lächelte und trat durch die Außentür nach draußen.

 

„Wie sieht der denn aus?“, fragte Mænorõudt verdutzt, als er nicht mehr zu sehen war.

 

Auch die anderen hatten etwas misstrauisch geschaut, als sie den Zustand des Kriegers gesehen hatten. „Was immer es auch ist, was er tut…Es geht sicher heiß her.“, beantwortete Loki die Frage.

 

„Wie dem auch sei. Wir sollten uns jetzt auch fertig machen, denn wir haben noch Einiges vor uns und unsere Zeit ist knapp bemessen.“, sprach Widar, erhob sich von der Tafel und trank den Rest aus seinem Humpen aus, bevor er sich zur Treppe bewegte.

 

Nach einem Sekundenbruchteil taten es ihm seine Geschwister gleich und sie stiegen dicht an dicht die Stufen nach oben auf. Nacheinander traten sie in ihr Zimmer und begannen gleich, sich zu rüsten. Angesichts der Entfernung, den Wetterverhältnissen und der ungewissen Terrainlage ihres Zieles beschlossen sie, nur das nötigste mit zu nehmen und wählten nur leichte Rüstung. Unter Scheppern und Kettengerassel waren sie dann schon nach einer Viertelstunde abmarschbereit. Rüstung und Waffen, die nicht mitgenommen werden konnten, wurden unter den Betten, in den wenigen Truhen und auf Schränken versteckt. Als sich die Hüter dann sicher waren, alles sicher verwart zu haben, verließen sie ihr Zimmer, schlossen es ab und verließen das Gasthaus in Richtung der Ställe, wo sie sich Pferde besorgen mussten.

 

 

 

Eine halbe Stunde später hatten sie schließlich die Mauern der Stadt passiert und ritten zu der, von dem Kelchwächter beschriebenen Ort, welchen sie auch auf einigen Karten verzeichnet gefunden hatten. Den Darstellungen nach war es eine Siegelkammer, in der man vor etlichen Jahrhunderten einst die Dämonen des Landes gesperrt hatte, die in der Umgebung immer wieder Verwüstungen angerichtet, und Menschen geschlachtet hatten.

 

„Wenn die Geschichte wirklich der Wahrheit entsprechen sollte und der Engel tatsächlich zu besagter Kammer unterwegs ist, dann kann das ziemlich unschöne Folgen haben.“, überlegte Enma laut, der drei Sekunden hinter Widar auf einem Rappen rechts außen ritt.

 

„Da habt Ihr vermutlich Recht.“, sagte Hakuryu hinter ihm auf ihrem Schimmel. „Verständlich. Wenn ich für ein paar Jahrhunderte versiegelt wäre, dann würde ich auch etwas grantig werden.“, gab Vali hinzu und gab seinem Rappen die Sporen.

 

So ritten die Hüter mit grimmiger Miene in einer großen Staubwolke dem Sonnenuntergang entgegen. Nach wenigen Stunden konnten sie die zerklüfteten Felsen der Gruft von einer höheren Düne sehen. In etwa hundert Metern vom Eingang entfernt sahen sie allerdings noch etwas. Aus dem Sand erhoben sich gut ein Dutzend beigefarbene Pickel, die kreisförmig angeordnet waren. Zwischen diesen Erhöhungen tummelten sich viele kleine Gestalten, die aus dieser Entfernung wie wuselnde Ameisen aussahen. „Ob die zufällig hier zelten?“, fragte Hakuryu. „Sehr unwahrscheinlich.“, meinte Enma. Von den Kampierenden noch unbemerkt verweilten die Hüter auf ihren Reittieren noch auf der Düne und prüften die Lage. So entdeckte Vali rasch die Bogenschützen, die sich in den Felsen verbargen. „Es hat ganz den Anschein, als würden wir bereits erwartet.“, sagte er dann auf die Späher deutend.

 

„Na, dann wollen wir sie mal nicht weiter warten lassen!“, rief Enma und trabte im Galopp auf das Lager zu. „Ja, lasst es uns angehen und keine Zeit verschwenden.“, ertönte nun auch Mænorõudts Stimme und ein weiteres Paar Hufe setzte sich in Bewegung.

 

„Na gut. Nehmen wir sie in die Zange. Vali, du nimmst dir die verschanzten Krieger vor. Hakuryu und Seraphine, ihr stutzt das Lager zurecht. Loki und ich werden ebenfalls zum Frontalangriff übergehen.“ Kaum hatte Widar die Anweisungen ausgesprochen, schlugen auch die übrigen Hufe den Sand in die Luft.

 

Sie hatten erst ein Drittel der Strecke zurückgelegt, da hatte Enma die Anhöhe, auf der das Lager aufgeschlagen war, erreicht. Sie hatten ihn bereits aus der Ferne ausgemacht, da das Hufschlagen und sein Kampfgeschrei nicht zu überhören war. Sofort hatten sie sich gerüstet und sich aufgestellt, um ihn abzufangen. Doch rannte Enma zwei von ihnen einfach um, ritt noch ein paar Meter, stieg dann von seinem Rappen und zog seine Klinge. Denn kaum war Enma in ihre Reihen gebrochen, stürmte ein Dutzend der Wüstenkrieger bereits auf ihn zu.

 

Als sogleich der erste Feind seine Klinge zu spüren bekam, brach nun auch Mænorõudt durch die Verteidigungslinie und würde sogleich von einem Pfeilhagel begrüßt. Nachdem er ein wenig Abstand von den Angreifern hatte, sprang auch er ab, zog sein Kurzschwert und gab seinem Pferd einen Klaps, auf dass es das Weite suchte.

 

Inzwischen hatte Vali die Felsen erreicht und war abgesprungen. Mit nur wenigen Schritten hatte er die vordersten Brocken erklommen, zog mit einem Handgriff seinen Bogen vom Rücken und tötete eilends die ersten sich bereits in Schussweite befindlichen Feinde.

 

Zur gleichen Zeit hatten nun auch Hakuryu und Seraphine die äußersten Zelte erreicht. So wie die Anderen sattelten auch sie ab, zogen die Bögen und schossen auf alles, was ihnen vor die Augen kam.

 

Dann, als gerade eine weitere Welle auf Enma und Mænorõudt eindrangen, erreichten Loki und Widar die beiden um sie zu unterstützen. Rasch formierten sie sich neu, stellten sich Rücken an Rücken und rückten langsam zum Eingang vor.

 

Es brauchte nicht lange, dass dir Hüter merkten, dass es eine gute Entscheidung war, die schwere Ausrüstung in der Stadt zu lassen. Die trockene Luft, die brennende Sonne und das hitzige Gefecht trieben ihnen allen schnell den Schweiß auf die Stirn und machten das Atmen zur Qual. Sie mussten so schnell es ging in die Gruft!

 

In einigen Metern Entfernung sahen die vier Krieger ihre Schwestern bereits eine Schneise durch die Zelte brennen. „Los jetzt, ab in die Gruft!“, rief Widar seinen Brüdern zu. Sofort lösten sie ihre Formation auf und preschten auf das Loch in der Felswand zu. Sie hatten Glück, denn an einigen der Feinde schien das heiße Klima auch nicht so wirkungslos vorbeizugehen und so war es den Vieren möglich, ohne große Mühen durch die Wälle durchzubrechen. Kurz bevor sie den Eingang jedoch erreichten, kamen aus selbigen drei weitere Gestalten raus. Ein massiger, muskelbepackter Hüne, der gerade so durch eine Tür passen konnte und zwei Zweihandäxte trug, als wögen sie nichts. Ein äußerst kleiner, der in einer Schweren Plattenrüstung steckte, unter dessen Helm noch der lange krause Bart hervorlugte und führte sowohl eine Streitaxt, als auch ein Kurzschwert. Und der letzte Widersacher war lang, schlaksig und hatte zwei Krummsäbel vor der Brust verschränkt.

 

„Verdammt!“ Der Ansturm der vier Hüter kam zum Stillstand und sie stellten sich erneut zu einer defensiven Formation auf.

 

Es blieb ihnen keine andere Wahl, als sich erst die Schwachen vorzuknöpfen und dann im Anschluss, sich der Drei gemeinsam anzunehmen.

 

Kurze Zeit später waren die beiden Frauen bis auf Schussweite herangekommen und feuerten bereits Pfeile auf die neue Bedrohung. Allerdings erreichte keiner der Geschosse ihr Ziel. Blitzartig war der Lange hervorgeschnellt und holte die Pfeile mit seinen Schwertern vom Himmel. „Langsam ist was Anderes“, sprach Loki mit großen Augen, als er das Spektakel nebenbei sah.

 

Plötzlich passierte dann aber etwas, mit dem keiner gerechnet hatte. Ohne merklichen Grund ging der Säbelrassler auf einmal leblos zu Boden und erst, als sich der Staub legte, war zu erkennen, warum. In seinem Rückgrat steckte ein einzelner Pfeil.

 

Noch bevor irgendjemand auf die neue Situation Reagieren konnte, kam ein Schatten von oben herab und stürzte sich mit einem Schrei auf den Hünen und rammte ihm das Schwert in die Schulter. Es war Vali. Jedoch zeigte sich der angegriffenen recht unbeeindruckt von dem Angriff. Er wirkte lediglich etwas überrascht, überwand dies aber rasch, packte Vali wie ein Spielzeug und warf ihn davon. Nach drei Sekunden Flug landete er dann schmerzhaft auf Loki und Widar. „Alles in Ordnung mit euch?“, frage Seraphine besorgt, die nun mit Hakuryu neben ihren Brüdern zum stehen gekommen war.

 

„Alles in Ordnung. Aber ich fürchte, mit roher Gewalt werden wir die beiden nicht bezwingen können.“, gab Widar bedächtig zu. „Wir sollten auch nicht zu viel Zeit mit ihnen verschwenden. Aber einfach so einfach werden wir auch nicht an ihnen vorbei kommen.“, entgegnete Seraphine.

 

Vali und Widar sahen sich kurz an, dann machte Vali auf Widars Wink hin einen Satz nach vorn. Im gleichen Moment sprang Widar auf den Hünen zu und hieb mit seinem Schwer nach dessen Kopf. Reflexartig riss der eine Axt nach oben um den Angriff zu parieren und holte gleichzeitig mit der anderen Nach Widar. Diesen Moment nutzte Vali aus, schlüpfte unter der offenen Deckung durch und huschte in die Gruft. Dort zog er sogleich seinen Bogen und einen Pfeil aus seinem Köcher. Kaum hatte er das Geschoss losgeschickt, kam ihm auch schon der Zwerg entgegen.

 

Vor dem Eingang  schlug sich Widar noch immer mit dem Giganten herum und suchte eine Lücke in dessen Deckung. Doch stattdessen geriet er nur in die Not, sich vor den tödlichen Äxten wegzuducken. Erst als sich Valis Pfeil in sein Ziel bohrte, kam er aus der Fassung. Diesen unachtsamen Moment ausnutzend schlug er die Axt beiseite, verpasste seinem Gegner einen tiefen Schnitt im Unterarm und eilte seinem Bruder nach. Widar merkte gleich als er die Schwelle überschritt, dass etwas nicht stimmte. Eine unheimliche Aura erfüllte die Gruft und lief ihm kalt den Rücken runter. Das Böse war bereits erwacht!

 

Was das allerdings für Auswirkungen hatte, sollten sie noch früh genug erfahren.

 

 

 

Plötzlich schallte ein lauter Schlag durch den Flur, dicht gefolgt von einem gellenden Schrei. Sogleich fuhr Vali aus seiner Deckung hoch, als er seine Geschwister in Schwierigkeiten hörte. Just in diesem Moment stieß der Zwerg mit dem Schwert zu und bohrte die Klinge in Valis Oberschenkel. Im gleichen Moment, die offene Deckung des Feindes ausnutzend schlug er ebenso zu und trieb sein Schwert in dessen Brustpanzer. Allerdings schien das den Krieger nicht sonderlich zu stören. Im Gegenteil. Sein Oberkörper zitterte, als er anfing zu Lachen.

 

„Narr! Hier könnt ihr uns nicht besiegen. Ihr seid zu schwach Ungläubige!“ rief er und hob seine Kriegsaxt. „Nicht so hastig zu Wurm!“, erschallte es hinter ihm und Widars Schwert sirrte von rechts heran auf seinen Hals zu.

 

Mit Leichtigkeit durchtrennte es das ungeschützte Fleisch zwischen Helm und Panzerkragen und kappte so dessen Lebensfaden. Blut spritze aus dem Stumpf und bedeckte Wände, Decke und Boden mit roter, klebriger Flüssigkeit. Kurz darauf fiel der noch immer behelmte Kopf mit einem lauten „Klonk“ zu Boden und auch der Torso folgte ihm nur Sekunden später zuckend. Angewidert zog Vali nun das Schwert aus seinem Bein, warf es zu Boden und starrte auf seine Wunde. Während er nun noch dort verharrte, stürmte sein Bruder wieder zu ihren Geschwistern zurück. Der Eingang war noch immer zu mehr als der Hälfte vom Rücken des Hünen bedeckt und gab nur wenig vom Befinden der anderen Preis.

 

Lediglich Enma war zu sehen, der versuchte, durch die Deckung zu brechen und dem Feind einen tödlichen Hieb zu versetzen, doch vergebens. Der Riese führte sein schweres Mordwerkzeug mit solch einer Leichtigkeit und Eleganz, als würde es sich um Federn handeln. So kam es, das Enma seinerseits in Bedrängnis geriet und selbst allzu bald nur noch zum Parieren kam. Diese Ablenkung nutzte Widar, um dem Feind in den Rücken zu fallen. Allerdings misslang dies, da der Hüne ihn bereits kommen hörte und sich, kurz bevor Widar ihm seine Klinge in den Rücken treiben konnte drehte, um ihm einen kräftige Breitseite verpasste, sodass dieser den Flur wieder zurückflog und mit einem heftigen Schlag rücklings gegen eine Säule prallte.

 

„Ah, verdammt!“, stöhnte Widar laut und hielt sich die Seite. Als er auf einmal etwas Warmes fühlte und herabblickte, starrte er entgeistert auf seine, von Blut, rot gefärbte Hand. Mit Schrecke musste er dann feststellen, dass die Wunden, die der Körper durch den Kampf in Jerusalem erhalten hatte, wieder aufgegangen waren und auch nicht wieder verheilen wollten. Dann sah er zu seinem Bruder rüber, der immer noch an gleicher Stelle kniete und ebenfalls dasselbe Schicksal plagte. Ihnen war zwar nicht klar, warum das auf einmal geschah, aber sie wussten genau, dass sie, wenn die Wunden nicht verheilten schnell verbluten und somit aus den Körpern gerissen werden würden. So nahmen sie ihre letzte Kraft zusammen und schleppten sich unter Stöhnen zum Ausgang, an dem unaufhörlich der Kampf weiter tobte.

 

Als die Anderen sahen, in welchem Zustand sich ihre Brüder befanden stockte ihnen der Atem. Kurz darauf änderten sie ihre Taktik und versuchten nun den Koloss vom Eingang wegzulocken, auf dass die beiden gefahrlos aus der Krypta kommen konnten. Es gelang ihnen, wenn auch langsam. Zumindest schafften sie es, seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem sie nacheinander angriffen und zurückwichen. Das wiederholten sie so lange, bis Widar und Vali hinaus waren und außer reichweite des Feindes. Blutgetränkt und schwer atmend schleppten sie sich noch ein Stück die Felsen entlang und sackten schließlich an einer Mauer zu Boden.

 

Mit unklaren Blicken sahen zu zum Kampfgeschehen und erblickten auch sogleich eine Gestalt auf sich zu hasten. Es war Seraphine. Mit nur wenigen Schritten hatte sie die beiden Verwundeten erreicht und kniete neben ihnen nieder. „Um Himmelswillen, was ist mit euch beiden geschehen?“ Entsetzt in deren Gesichter. Nach einigen Sekunden des Schweigens spuckte Vali eine Ladung Blut aus und gab dann trocken zurück: „Nichts besonderes. Sind doch nur Kratzer…“ Seiner Schwester entfuhr ein spöttisches Lachen. „Nur Kratzer? Mach dich nicht lächerlich. Ihr seht aus, als würdet ihr im nächsten Moment auseinander fallen!“ „Kein Grund zur Sorge, Schwester.“, brachte nun Widar unter Mühe hervor. „Es ist wirklich nichts Ernstes und es wird schnell wieder heilen.“ Plötzlich bekam er einen heftigen Hustenanfall und spuckte Blut. Noch bevor Seraphine erneut was entgegnen konnte, sprach er stockend weiter. „Der Gral, ihr müsst ihn finden. Beeilt euch, denn ich fürchte, wir sind schon fast zu spät. Er ist der Grund, warum unser Befinden nicht das Beste ist. Er hat nicht nur die Kraft, Leben zu schenken, Krankheiten und Wunden zu sondern auch das Gegenteil verursachen.“ Seraphines Augen weiteten sich. „Aber was ist mit euch?“ Vali richtete sich auf und stützte sich auf seines Bruders Schulter. „Wir bleiben hier und kümmern uns um das Riesenbaby… und mach dir keine Sorgen. Er ist kein Gegner für uns.“ Ungläubig betrachtete sie Vali, während hinter ihnen noch immer der Kampfeslärm erschallte.

 

Nun erhob sich auch Widar, wischte sich das Blut ab und griff in seinen Beutel. Daraus holte er eine kopfgroße Glasflasche heraus, die mit einer goldenen Flüssigkeit gefüllt war. Nachdem Widar sie einmal kräftig geschüttelt hatte, sirrten Pflanzenpartikel durch das Gefäß. „Ein kleines Geschenk aus Wallhall. Eirs heilender Kräutermet.“, erklärte er mit einem Lächeln und zog den Korken heraus. Sogleich klarte sich sein Blick und er nahm eine Nase von dem herrlichen Duft, besann sich dann aber rasch aufgrund der brisanten Situation. Daraufhin nahm er einen tiefen Schluck aus der Flasche und gab sie an seinen Bruder weiter, der auch gierig seine Kehlen benetzte.

 

Kaum hatten sie das Göttliche Gebräu getrunken, begann es auch schon zu wirken. Die Wunden vernarbten fast so schnell, wie sie entstanden waren und die Farbe kehrte ihnen in Gesichter zurück. „Gut Bruder, lass es uns angehen.“, sprach Vali und leckte sich genüsslich über die Lippen.

 

Mit neuer Kraft beseelt stürmten die Asenbrüder sogleich auf ihren Feind zu und ließen Seraphine etwas perplex stehen.

 

Als sie bis auf wenige Meter herangekommen waren, zogen sie ihre Waffen und riefen ihren Kameraden zu, sie sollten sich auf den Weg machen. Im nächsten Augenblick hagelte der Stahl schon auf den Riesen ein und gab den anderen die Möglichkeit, ungehindert an ihnen vorbei in die Krypta zu gelangen. Dicht gefolgt von Seraphine, die noch einen letzten Blick zurück warf, bevor der Ausgang durch die nächste Biegung verdeckt wurde.

 

Die verwinkelten Gänge führten sie immer weiter in die Gruft und brachten sie so tiefer und tiefer unter die Erde. Nicht selten gerieten sie auch in tote Gänge oder eingestürzte Pfade, was ihre Suche neben dem schummrigen Licht noch erschwerte. Ihre einzigen Orientierungspunkte waren die erstarkende dunkle Aura und das Licht, was offenbar von ihm auszugehen schien. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kamen sie aus dem Labyrinth heraus und kamen in einen Abschnitt, der aus vielen, aneinander gelegten Räumen bestand. Sie mussten ganz nah sein, denn sie alle spürten, dass sich jemand in ihrer Nähe befinden musste. Auch nahmen sie alle einen recht Süßlichen Geruch war. Da aber von diesem Raum keine Gefahr auszugehen schien, begaben sie sich zu einer Tür, die am anderen Ende der Kammer in der Wand eingelassen war. Allen voran ging Mænorõudt, der eine Fackel in Händen hielt und öffnete die Tür. Sofort kam ihnen ein Gemisch aus verschiedenen Gerüchen entgegen. Unter den modrigen Mief des Altertums mischten sich der süßliche Duft, sowie der Geruch nach Feuer und verbranntem Fleisch. Vorsichtig ging Mænorõudt einen Schritt nach dem anderen vorwärts, immer in alle Richtungen schauend, bis alle Hüter eingetreten waren.

 

Das schwache Licht, das die Fackel spendete reichte gerade mal aus, um die Wände noch erkennen zu können und man die Skulpturen und Statuen an ihnen geradeso erahnen konnte. An den steinernen Quadern war zu entnehmen, dass es sich bei diesem Raum um eine Grabkammer hielt. Allerdings erweckte es nicht den Anschein, dass alle, die in dieser Kammer hausten auch tot waren. Denn im hinteren Teil, in einer Nische versteckt war ein kleines Lager aufgeschlagen. Ein Schlafplatz und eine kleine Feuerstelle waren aus der Ferne eben so auszumachen. Vom Besitzer dieses schlichten Lagers war hingegen keine Spur auszumachen. Da die Hüter auch hier keine Gefahr erspüren konnten, teilten sie sich auf, um ein Weiterkommen in dem Raum zu finden, was, wie es sich herausstellen sollte, gar nicht so einfach werden sollte. Die Suche ging nur sehr schleichend voran, da sie Stück für Stück abtasten mussten, weil durch die tanzenden Schatten, die die Gravuren warfen auf die Entfernung unmöglich erkennen konnte, ob es sich durch eine Tür handelte oder nicht.

 

Als Hakuryu eine der Säulen erreichte, blieb sie abrupt stehen und sah an ihr hinauf. Dort oben thronte die Statue eines Dämons, der seine Flügel weit von sich streckte und sein Maul zu einem stummen Schrei aufgerissen hatte. „Ein Drache!“, entfuhr es ihr voller Ehrfurcht. Sofort drehten sich alle zu ihr um und starrte sie an.

 

Eine Sekunde später erschallte ein Aufschrei aus einer Ecke der Kammer, gefolgt von einem dumpfen Schlag und einen Schmerzensschrei.

 

Augenblicklich schossen alle Blicke in die Richtung, aus der der Lärm gekommen war, doch konnten sie in der Dunkelheit nichts weiter erkennen, als ein schwaches Glimmen. Eilends rannten sie darauf zu und rasch wurde ihnen klar, dass es Mænorõudt gewesen war, der aufgeschrien haben musste. „Was ist geschehen?“, riefen sie ihm zu, als sie endlich eine Gestalt im Dunkeln erkennen konnten. Jedoch war es nicht ihr Bruder, den sie da stehen sahen, denn der kauerte noch auf dem Boden und hielt sein Kurzschwert schützend nach oben.

 

 

 

Noch immer knallte die Abendsonne gnadenlos auf die beiden Asenbrüder hernieder, während sie in ihrem eigenen Schweiß schwammen. Sie kämpften noch immer erbittert gegen den Hünen, der einfach nicht nachgeben wollte. Egal wie oft sie ihn trafen, was für Schnitte sie ihm zufügten machte er keine Anstalten in die Knie zu gehen. Im Gegenteil schien er dadurch nur noch an Stärke gewinnen. „Beweise ein wenig Anstand und stirb endlich!“, schrie Vali, als er erneut mit voller Wucht auf ihn einschlug. Der jedoch schnaubte nur wie ein bockiges Pferd und parierte den Schlag mit seiner Axt, worauf hin Valis schwer gelittenes Schwert der Wucht nachgab und entzwei brach. Mit den Worten: „Du verfluchter Bastard!“ warf er seine nutzlos gewordene Waffe weg und stürzte sich nun mit bloßen Fäusten auf ihren Feind. Rasch hangelte er sich an ihm hoch, klammerte sich oben fest und schlug wie von Sinnen immer wieder auf sein Gesicht ein.

 

Nun, da er nichts mehr sehen konnte, geriet er vollends in Raserei, schlug mit den Äxten ungezielt in der Luft herum und brüllte wie von Sinnen. Diesen Moment nutzte nun Widar aus und griff an. Sein Ziel war allerdings nicht der Feind selbst, sondern dessen Waffen und schon nach wenigen gezielten Schlägen lockerte sich der Griff um die erste Waffe, die dumpf im Sand landete. Zu der Beiden Unglück klärte legte es die Raserei so weit, das er wieder einigermaßen klar denken konnte und mit seiner freien Hand sogleich nach Vali griff.

 

Kaum gepackt flog er auch schon davon und nur um Haaresbreite verfehlte ihn die zweite Axt.

 

Die Axt hatte kaum den Boden berührt, da warf sich nun Widar auf den Hünen und packte dessen Beine. „Jetzt wird es Zeit für dein längst überfälliges Nickerchen!“, rief er, drückte mit aller Kraft zu und warf sich dann seine Beute rücklings über die Schulter.

 

Mit lautem Donner, der einem Erdbeben gleich kam schlug er mit dem Kopf voran auf.

 

Widar stand schwer atmend über ihm und auch Vali war wieder herbeigeeilt. „Verpassen wir ihm den Gnadenstoß?“ Vali strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Gnade ist wohl das letzte, was der verdient hat, aber pusten wir ihm trotzdem das Licht aus.“

 

Kaum gesprochen kam sein Bruder auch schon mit der riesigen Streitaxt auf der Schulter heran. „Mögest du endlich krepieren und in dieser gottverdammten Wüste verrotten.“, sprach Widar und ließ die Axt auf dessen Kopf niedersausen.

 

 

 

Friedhelm erwachte aus seinem Rausch, als er etwas in der Ferne vernahm. „Schritte? Stimmen?“ Dachte er sich. „Seit wann sprechen die Drachen?“ Langsam, noch immer benebelt vom Alkohol stand er von seiner Schlafstätte auf und sah sich um. Das Feuer, welches er bei seiner einreise entfacht hatte, war inzwischen herunter gebrannt und war nun nichts mehr als ein leichtes Glimmen. „Verfluchte Inzucht! Warum ist es hier nur so Scheiße finster?“, fluchte er leise im Rausch vor sich hin. Abwesend griff er nach einem Ast und stocherte in der Glut herum, um das Feuer wieder in Gang zu bringen, hielt dann aber schnell inne, als eine Tonflasche seine Aufmerksamkeit erweckte. Rasch warf legte er das Holz beiseite und griff nach dem Objekt seiner Begierde. Freudig stellte er fest, dass noch eine Menge flüssiges Gold darin fröhlich umherschwappte und eh man sich versah war auch schon der Korken gezogen und flog davon.

 

Wie in Trance hob der Drachentöter nun die Flasche an den Mund und lies den Inhalt in seinen Rachen fließen, bis der letzte Tropfen versiegt war. „Schon leer? Die Flasche muss wohl kaputt sein.“, sagte er betrübt und warf sie an die Wand.

 

Nun, da sein Durst fürs erste gestillt war, spürte er ein leichtes Hungergefühl und machte sich gleich auf die Futtersuche. Zu seiner Enttäuschung fanden sich allerdings nur ein Laib Brot und ein Stück Käse an. Wehmütig dachte er an das üppige Mahl, dass er zum Frühstück genossen hatte und bedauerte, nicht mehr zugegriffen zu haben. Schließlich war es ja gratis.

 

 

 

Er war fast eingenickt, als er wieder etwas vernahm. „Verdammte Ratten!“, murmelte er jedoch nur und zog sich seinen Umhang über den Kopf. Doch kurz bevor er wieder wegtreten konnte hörte er eine Stimme, die ihn fast wieder nüchtern machte. „Ein Drache!“ Friedhelm schoss sogleich hoch, noch immer etwas schlaftrunken und seine Augen mussten sich erst an die Lichtverhältnisse gewöhnen, aber mit glasklarem Verstand. Als er die Hand an sein Schwert legte, sein Adrenalinspiegel anstieg und das Blut in seinem Kopf rauschte sah er ihn dann. Das rote Ungeheuer, die Flügel angelegt und mit feurigem Atem stapfte es direkt an seinem Lager vorbei. „Perfekt, es hat mich nicht bemerkt!“; dachte er sich, zog sein Schwert und griff mit einem lauten Kampfschrei sein Ziel an, welchem er nun schon so lange aufgelauert hatte.

 

 

 

Vali und Widar sahen dem abgetrennten Kopf noch eine Weile nach, wie er so durch den Wüstensand rollte und eine rote Spur hinterließ.

 

Nebenbei floss aus dem zuckenden Torso der rote Lebenssaft heraus, gemischt mit einem schwarzen Nebel, der sich nach wenigen Sekunden in alle Winde auflöste.

 

Nun wirkte der einst so ehrfürchtige Krieger nur noch wie ein Wasserschlauch, aus dem man den Korken entfernt hatte. Zusehends schrumpfe die Masse der Leiche und bekam schnell für menschliche Verhältnisse, schmächtige Ausmaße an.

 

Nachdem nun der letzte Tropfen versiegt und alles Magische aus der Hülle entwichen war wandten sich die beiden Asen ab. „Ziemlich erbärmlich. Findest du nicht auch?“, fragte Vali seinen Bruder. Der schwieg jedoch, wobei er unversehens auf die Axt in seinen Händen starrte. Erst nach einer Weile erhob er das Wort. „Es gehört nicht viel dazu, seinen Körper und seine Seele an einen Dämon zu verkaufen. Gerade solchen Menschen fehlt es an Kraft, dem zu widerstehen.“ Dabei deutete er auf ihr Opfer. „Aber an solch mächtige Waffen zu kommen ist alles andere als Simpel.“ Sein Bruder sah ihn fragend an. „Mächtige Waffe? Ist das nicht eine gewöhnliche Streitaxt?“ Widar lächelte leicht und reckte das Axtblatt der Abendsonne entgegen. „Das habe ich auch gedacht. Aber als ich sie ergriff, da spürte ich ganz deutlich diese starke Kraft. Das ist definitiv aus Zwergenhand.“, sagte er und deutete dabei auf das Blatt. Vali erkannte sofort, was er meinte.

 

Wenn man es gegen das Licht hielt, sah man es ganz deutlich. Das war schon immer die Handschrift des kleinen Folks gewesen. In das Axtblatt waren Runen eingelassen, die jetzt ganz klar zu erkennen waren. „Das erklärt zumindest, warum er nicht sterben wollte. Nur nicht, wie er an die Zwergenwaffen gekommen ist. Ich bezweifle doch sehr, dass die Zwerge ihre Waffen neuerdings an Dämonen und anderes Gesindel verkaufen.“

 

Widar lies den Arm sinken. „Da stimme ich dir zu, Bruder. Sie würden niemals ihre Ehre verkaufen. Aber wie es wirklich ist werden wir wohl nie erfahren.“

 

Mit dieser offenen Frage gingen sie zurück zum Eingang der Krypta und blickten hinein. „Was machen wir nun? Hinterher zu gehen hat wohl kein Zweck, oder?“, frage Vali und schritt zur Leiche des Zwerges um sich dessen Waffen unter den Nagel zu reißen. Widar, der sich seine neue Axt auf dem Rücken und zum zweiten Exemplar unterwegs war antwortete ihm: „Korrekt. Wir können ihn nicht nach. Aber ich weiß eine andere Art um uns zu helfen.“

 

Nachdem Vali den Gang mit seiner Beute wieder verlassen hatte frage er: „Und was soll das sein?“ Widar warf sich nun die zweite Axt über den Rücken und lachte: „Wir plündern das Lager und nehmen natürlich alles mit was von wert ist. Was glaubst du, wie ich sonst unsere ganzen Ausgaben finanziere?“ Sein Bruder gab dem schweigend nach und so marschierten sie in das brach liegende Zeltlager ein.

 

 

 

Hakuryu erreichte die beiden als erstes, da sie ihnen am nächsten gestanden hatte und starrte musterte die Lage. „Was tut ihr da?“, fragte sie dann argwöhnisch, die Hand am Schwert. „Ich habe ihn für einen Drachen gehalten!“, gab Friedhelm betroffen zu. „Aber zum Glück habe die Fehleinschätzung rechtzeitig bemerkt.“, setzte er stolz hinzu. „Rechtzeitig bemerkt? Ihr meint wohl eher, dass Ihr so betrunken seid, dass Ihr nicht mehr richtig zielen könnt!“, korrigierte der Getroffene spöttisch, der die starke Alkoholfahne deutlich vernahm.

 

„Ach, die ein, zwei Becher…“ Mænorõudt schaute sich um und versuchte die etlichen leeren Flaschen zu zählen. „ Sicher! Und die anderen Flaschen haben sich von allein geleert?“

 

Auf die Beweislage wusste der immer noch stark angeheiterte Drachentöter nichts zu entgegnen, also unterbrach Hakuryu das Gespräch. „Ihr habt ihn mit einem Drachen verwechselt und habt ihn deshalb fast den Schädel gespalten?“, fragte sie mit unterdrückter Wut. „Ja…deshalb bin ich ja auch hergekommen. Das ist meine Aufgabe: Drachen zur Stecke bringen. Ich bin freiberuflicher Drachentöter.“, antwortete Friedhelm mit Stolz in der Stimme und steckte die Brust heraus. „Nicht.“, flüsterte Seraphine der erzürnten Drachin ins Ohr, wobei sie ihre Schwerthand festhielt.

 

„Wie kommt ihr denn auf den Gedanken, hier, in dieser gottverdammten Gruft, in der seit Ewigkeiten keine Seele mehr einen Fuß gesetzt hat einen Drachen zu finden?“, stellte nun Loki die Frage. „Man hat es mir so gesagt und mir den Auftrag erteilt diesen Drachen auszulöschen! ...Allerdings kann ich mich nicht mehr so genau an sein Gesicht erinnern.“, erzählte Friedhelm und starrte dabei Seraphine seltsam an.

 

„Verstehe…“, murmelte Enma und betrachtete dabei die Statue des Dämonen. „Nun…“, setzte er fort. „Dann sollten wir den Drachen mal nicht warten lassen.“ Hakuryu sah Enma mit ungläubigem Blick an und ihr Schwertarm begann zu zittern.

 

„Hervorragend!“, strahlte der Drachentöter nun. „Ich könnte in der Tat ein bisschen Unterstützung gut gebrauchen.“, gab er zu und steckte nun sein Schwert wieder zurück, mit dem er die ganze Zeit ziellos herum gewedelt hatte. Anschließend ging er zu dem noch immer am Boden hockenden Magyaren und half ihm auf die Beine. Der nickte knapp und hielt sich weiter die noch immer stark blutende Augenbraue. „Verdammt, hör endlich auf zu bluten du Sau!“, fluchte Mænorõudt leise vor sich hin und dabei versuchte das Blut zu stoppen, bevor er noch von Kopf bis Fuß rot war. „Wie meinen?“, fragte Friedhelm verwirrt, als er freudig seine neuen Mitstreiter betrachtete. „Ach nichts. Ich meinte nur, dass wenn wir uns beeilen finden wir den Drachen noch, bevor ich verblutet bin.“, sagte er zerknirscht. „Oh, natürlich!“

 

Nachdem Seraphine die Wunde notdürftig verbunden hatte setzten sie ihre Suche gemeinsam fort. Diesmal zog es Mænorõudt weiter hinten zu gehen und so übernahm Enma die Spitze.

 

Auch die nächsten Räume sahen nicht anders aus, wenn man mal von dem Chaos der Flaschen absah. Ab und zu führten die Türen sie zu schmalen Wendeltreppen die sie eine Etage tiefer führten. Mit jedem Schritt, den sie taten schien die Luft dünner zu werden und machte klar, dass die Gemächer hier lediglich für die letzte Ruhe vorgesehen waren.

 

So war es nicht verwunderlich, dass der, inzwischen nüchterne Drachentöter allzu bald schwerer zu atmen begann und bis zum Ende der Prozession zurückfiel. Als er dann noch auf seine Frage, warum es den anderen denn nichts ausmache, dass die Luft knapp wurde keine Antwort erhielt bestärkte sich seine Überzeugung, dass es eine unsagbar dämliche Idee war, den Auftrag anzunehmen. Aber er hätte auch unmöglich ablehnen können, da es um seine Ehre als Drachentöter und eine hohe Belohnung ging. „Wisst ihr, ich glaube, hier gibt es doch keinen Drachen. Vielleicht…“, sprach er, doch Enma unterbrach ihn mit den Worten: „Wir sind da!“

 

 

 

Die Sonne berührte nun schon den Horizont und warf ihr Blutrotes Licht über den unendlichen Sand und die unzähligen Dünen.

 

Auf einer dieser Dünen standen zwei Gestalten, die jeweils vier Pferde an den Zügeln gepackt hatten. Es waren natürlich Vali und Widar. Voll bepackt und vollgefressen mit den Resten, die sie im Zeltlager gefunden hatten sie sich daran gemacht, ihre Pferde zurück zu holen, da ihnen sonst nichts weiter gescheites eingefallen war. Außerdem brauchten sie die Satteltaschen um die beträchtlich große Beute wegzuschaffen.

 

Doch nun, wo sie wirklich alles, was irgendwie wertvoll aussah eingesteckt hatten und schließlich aus Langeweile den Rest des Lagers abgefackelt hatten, gab es nichts mehr, was sie tun konnten.

 

„Es gibt nichts mehr zu tun…Hauen wir uns eine Runde aufs Ohr.“, sagte Vali und gähnte ausgiebig. „Hervorragender Vorschlag! Die anderen werden uns schon wecken, wenn sie mit dem Gral zurück sind.“

 

Nur wenige Minuten später waren die Pferde an einen Fels gebunden und die beiden Asen lagen an selbigen gelehnt und dösten rasch weg.

 

 

 

Unter Ächzen und Knacken schwangen die bis zur Decke reichenden Tore langsam auf ließen Staub und Sand auf die umstehenden nieder rieseln.

 

Auf den ersten Blick wirkte die große Kammer, die ins Dunkel getaucht war völlig leer.

 

Erst, als der erste Fuß die Schwelle übertrat, flackerten an allen Wänden die Fackeln auf und in der Mitte entbrannte schlagartig ein Feuer in großen Messingschalen.

 

„Was für ein einladender Empfang!“, sprach Friedhelm und ging sogleich bin zur ersten Feuerschale hinein, noch bevor irgendjemand ihn zurückhalten konnte.

 

So folgten sie dem Drachentöter  und verteilten sich im vorderen Teil des Raumes. „Ist das wirklich der richtige Raum?“, fragte Loki skeptisch, nachdem er sich umgeschaut hatte. „Hier ist ja mal gar nichts…“ Bevor jedoch jemand auf seine Frage eingehen konnte, erstrahlte im hinteren Teil ein helles Licht. Wie ein Blitz erleuchtete es die gesamte Kammer für einen Augenblick, dann erlosch es wieder. Dabei erloschen gleichzeitig auch die Feuer, als hätte es, was auch immer es war, den Bränden die Energie entzogen. „Was zur Hölle…“, sprach Enma, doch weiter kam er nicht, da plötzlich ein Ruck durch das ganze Gemäuer ging und allesamt zu Boden riss.

 

Ein paar Sekunden später, ehe sich die Hüter wieder aufraffen konnten, leuchtete das seltsame Objekt erneut in einem schwachen Gelb, wurde zusehends dunkler, bis es in einem unheimlichen, schwarzblauen Licht erstrahlte. „Ist das der Gral?“, hörte man Hakuryus Stimme. „Ja, ich fürchte das ist er!“, sprach Seraphine mit besorgter Stimme.

 

„Äh, wie? Gral? Könnte mich jemand mal vielleicht aufklären?“, fragte nun Friedhelm sichtlich verwirrt. „Keine Zeit.“, begann Mænorõudt. „Sehen wir zu das wir uns das verflixte Ding schnappen und dann nichts wie raus hier!“ Die anderen Stimmten ihm stillschweigend zu.

 

Noch immer leuchtete es bläulich, als zwei Feuer vor einer großen steinernen Tafel entfachten. Direkt hinter dieser war ragte die Statue eines geflügelten Dämons bis zur Decke, der ihnen bekannt vorkam.

 

Erneut übernahm Mænorõudt die Initiative, zog sein Schwert und rannte zum Objekt.

 

Bis auf Friedhelm folgten ihm alle zwei Schritte hinter ihm.

 

Sie hatten eben die mittlere Tragesäule passiert, da glaubten sie eine weibliche Stimme flüstern zu hören, konnten aber nicht ausmachen, von wo es kam. Es hatte den Anschein, als würde es von überall kommen.

 

Kaum hatte dann Friedhelm die Mitte passiert, da erschallte dann Enmas Stimme: „Da vorn, neben der Statue steht jemand!“

 

Doch es war zu spät. Ein letztes Mal erglühte der Stein in einem gleißenden Licht, bevor er sich schwarz färbte und erlosch. Dann ging eine heftige Druckwelle von ihm aus, der sie allesamt umwarf. Unsanft auf den Steinplatten aufschlagend vernahmen sie dann eine Explosion und sahen Steinbrocken auf sich zufliegen.

 

Die Statue war zersprungen und damit das Siegel gebrochen.

 

Noch ehe sich die Sicht geklärt hatte war klar, dass der Gral und jener Engel, nicht mehr im Raum waren. Dafür leistete nun ein anderes Wesen ihnen den Hütern Gesellschaft.

 

Jenes Geschöpf, was sicher nicht aus dieser Welt stammte vernahmen die Anwesenden, noch bevor sie es sahen.

 

Wie ein unruhiges Pferd schlug es mit den hufartigen Füßen auf den Boden, schnaubte und erzeugte mit seinen Schwingen ein seltsames Geräusch.

 

Als sich endlich der Sand gelegt hatte und die Feuer wieder konstant brannten, sahen sich die Hüter dem Dämon gegenüber, von dem sie zuvor die Statuen bestaunen konnten.

 

„Verdammter Mist!“, ging es durch die Masse. Lediglich Friedhelm schien sich der Lage nicht bewusst zu sein, denn er zog sogleich seine Klinge und stürmte auf ihn zu. „Endlich zeigst du dich, verdammte Bestie!“

 

Der geflügelte Dämon wurde auf den kleinen Sterblichen aufmerksam und schließlich auch auf die Hüter und lachte, sodass es von den Wänden hallte.

 

Noch ehe Friedhelm seinen Drachen erreichen konnte schlug dieser mit seinen Flügeln, fegte der Truppe eine Menge Sand und kleinere Steine entgegen und hob schließlich ab.

 

Noch ehe einer der Anwesenden was unternehmen konnte, war der Dämon auch schon durch ein großes Loch in der Decke verschwunden. „Dreckiger Feigling!“, schrie ihm der Drachentöter wütend hinterher und schlug mit seinem Schwert eine Feuerschale von ihrer Säule.

 

 

 

Vali schreckte aus seinem Schlaf hoch, als er eine Erschütterung spürte. Auch sein Bruder hatte es bemerkt. „Was war das?“ Vali stand auf ging zum Eingang und sah ihn die unendliche Dunkelheit. Inzwischen war die Sonne nur noch ein schmaler Streifen am Horizont und dementsprechend war die Sicht. „So langsam müssten sie doch durch sein. Es kann doch nicht so lange dauern so einen beschissenen Gral zu finden…“, murmelte Vali vor sich hin und wandte sich von der Gruft ab. Genau in diesem Moment knallte es und in weiterer Entfernung schoss eine Fontäne aus Sand und Steinen in die Luft. Sofort sprang Vali die Felsen hinauf um zu sehen, was geschehen war.

 

Gut zweihundert Meter entfernt, in einer größeren Ansammlung von Geröll und Trümmern klaffte nun ein etwa sieben Meter großes Loch. Noch bevor Widar seinen Bruder fragen konnte, war dieser bereits auf dem Weg dorthin ohne sich weiter um ihn zu kümmern.

 

So musste sich Widar selbst ein Bild von der Situation machen und ebenfalls die Steine erklimmen. Als er oben angekommen war hatte Vali bereits den tiefen Krater erreicht.

 

„Seraphine?“, sprach er ungläubig, als der Engel aus dem Loch kletterte. „Du hast den Gral gefunden? Hervorragend! ... Wo sind denn die anderen? ...Seraphine?“ Der Engel reagierte jedoch nicht gleich. Er zuckte lediglich bei dem Namen zusammen.

 

Erst nach einigen Sekunden drehte sie sich zu Vali um. „Seraphine…“, flüsterte sie nur. Vali verstand jedoch nicht. Noch weniger verstand er, warum er auf einmal am Boden lag. Seine vermeintliche Schwester hatte ihm plötzlich einen unvorhersehbaren Schlag verpasst und war geflohen. Er konnte nichts anderes tun, als ihr verdutzt nachzuschauen, bis Widar ihn an der Grube erreicht hatte. Der sah ihn mit ebenso verwirrtem Blick an, wie er selbst in den Zügen hatte. Bevor jedoch einer der beiden ein Wort äußern konnten schallte aus dem Loch ein leises lachen und schreien. Ein prüfender Blick zeigte ihnen nur Schwärze…Fürs erste.

 

Eine halbe Ewigkeit starrten die Asenbrüder hinunter und lauschten.

 

Als sie Flügelschlagen vernahmen und sich schließlich eine riesige, geflügelte Kreatur auf sich zuschießen sahen, machten sie einen großen Satz zurück und zogen schlagartig ihre Waffen.

 

Der Dämon ignorierte die beiden jedoch und flog, weiter steigend Richtung Osten.

 

„Was haben die denn nun wieder angestellt?“, fragte Widar ungläubig und hing seine Axt wieder ein. „Ich fürchte, das wird noch eine sehr lange Nacht.“, antwortete Vali und steckte seine Waffe ebenfalls zurück.

 

 

 

Nach einer viertel Stunde waren die Ignorierten auf einer schmalen Wendeltreppe die sie langsam zurück an die Oberfläche brachte. „Ich hatte ihn fast.“ und „So ein feiger Hund.“, fluchte Friedhelm unverwehrt vor sich hin, während die anderen ihren Weg schweigend bestritten. Der schwache Schein, den die Fackeln boten, zeigte gerade so den Unterschied zwischen sicheren Weg und dem Tritt in den Tod. So blieb ihnen nichts übrig, als sich nah an der Wand zu halten und sich den Weg langsam entlang zu tasten. Das einzige, was sich an dem Bild veränderte war, dass sich die Sterne, die in der kreisrunden Öffnung zu sehen waren und sich zu drehen schienen. „Wo sind wir hier nur gelandet?“, fragte Hakuryu, die des Treppensteigens langsam überdrüssig wurde. „Im letzten Kaff vor der Hölle.“, gab Loki trocken als Antwort. „Schweigt.“, gebot Mænorõudt zur Ruhe, der von der Oberfläche her Geräusche vernommen hatte. Denn die Freiheit lag nur noch gut fünfzehn Meter über ihren Köpfen und die nächtliche Brise war bereits zu spüren. Endlich wieder frische Luft!

 

 

 

Oben angekommen war schließlich klar, woher die Geräusche gekommen waren. Die Brüder hatten sich mit den Pferden und ihrer Ausrüstung am Loch niedergelassen und vertrieben ihre Zeit mit Würfelspielen. „Scheiße! Es ist viel zu dunkel um vernünftig zu spielen.“, fluchte Vali und kippte sich eine unkenntliche Flüssigkeit in den Rachen. Sein Bruder sparte sich jedoch eines Kommentars und sprach stattdessen: „Brüder, Schwestern, da seid ihr ja endlich!“ Er erhob sich. Vali steckte den Würfelbecher in seine Gürteltasche und tat es ihn nach  Jedoch war er nicht so freudig gestimmt. Im Gegenteil machte er eher ein zerknirschtes Gesicht. Besonders, als er dann Seraphine erblickte. Allerdings konnte sich keiner der Anwesenden einen Reim darauf machen.

 

„Wohin ist er geflohen?“, kam nun Friedhelms Stimme aus der Traube. Vali schnaubte verächtlich. „Das Vögelchen? In die Richtung.“, sagte er und deutete in besagte Richtung.

 

Sofort wollte sich Friedhelm auf sein Pferd schwingen und ihm hinterher reiten, doch wieder versperrte ihm den Weg. „Habt ihr den Gral?“, fragte er die Truppe, der nichts von Valis Begegnung mitbekommen hatte. Die zeigten ihm jedoch nur die leeren Hände.

 

Erneut blickte Vali Seraphine finster an, sagte dazu jedoch nichts und schwang sich auf sein Reittier. „Wir müssen hier lang.“, sagte er nur und ritt ohne auf weiteres zu warten los.

 

Überrumpelt und ahnungslos blieb den anderen Hütern nun nichts anderes übrig, als es ihm gleich zu tun.

 

Die, den ganzen Tag über wie tot daliegende Wüste, lebte jetzt, wo die Nacht eingebrochen war wieder auf. Die kleinen Tiere kamen nun im Schutze der Dunkelheit aus ihren Löchern und gingen nun ihrem üblichen Lebenslauf nach. So passierte es nicht selten, dass mal ein Gecko oder ein anderer Wüstenbewohner zwischen den Hufen der Pferde hindurchflitzten.

 

 

 

Nach langem Ritt erreichten sie dann eine ausgestorbene Siedlung, in dessen Mitte eine Art Plateau gestanden haben musste. Dort konnten sie ganz deutlich das schwarz leuchtende Kristall erkennen, welches sie nun schon so lange verfolgten und sich noch immer im Besitz des mysteriösen Engels.

 

Schnell durchritten sie die verlassenen Gassen in denen noch vereinzelt menschliche Skelette lagen. Vor dem Plateau angekommen sprangen sie noch in der Bewegung von den Pferden ab und hasteten allesamt auf jenen Engel zu.

 

Vali erreichte ihn zu erst, blieb vor ihm stehen und hielt die Fackel über dessen Kopf. Irgendwas stimmte nicht!

 

Als der Engel seine Gesellschaft nicht weiter übersehen konnte, drehte er sich langsam um und blickte Vali mit finsterem Blick ins Gesicht.

 

 

 

„Alexiela!“, schrie Seraphine voller Überraschung plötzlich auf. Sie konnte es nicht fassen, stürmte auf sie zu, stieß Vali zur Seite und schlang die Arme um sie.

 

Die sah genau so überrumpelt drein wie Vali und die anderen Hüter, die im Halbkreis um sie standen. „Kann mir mal jemand erklären, was hier abgeht?“, fragte Vali und sprach damit aus, was der Rest dachte. Auch Seraphine brannte es mehr als alles andere auf der Seele. „Ich dachte, du wärst tot.“, sprach sie mit zittriger Stimme und suchte Blickkontakt. Ihre Zwillingsschwester vermied es jedoch entschieden ihr in die Augen zu blicken. Sie brachte nur ein leises: „Es tut mir so unendlich leid. Ich habe einen schweren Fehler begangen.“, hervor. Seraphine löste ihre Umarmung, trat einen Schritt zurück und blickte sie weiter fragend an. „Was meinst du damit? Was hast du getan?“

 

Alexiela verkrampfte ihren Griff um den Gral. „Es ist nicht so passiert, wie ich es geplant hatte. Ich wollte es abwenden…“

 

 

 

Im nächsten Augenblick sprang ein, in Stoff gehüllter Mensch von einem Vorsprung aus unbemerkt auf die beiden Engel zu und rammte Alexiela einen Dolch von hinten ins Herz, noch bevor Seraphine weiter fragen konnte.

 

Mit einem letzten heiseren Aufschrei sackte der gefällte Engel auf die Knie und fiel in die Arme seiner Schwester. „Alex!“, schrie sie und ihr kamen die Tränen. „Schon gut…“, brachte sie mit letzter Kraft hervor und zwang sich ein Lächeln ab. „Es ist besser so. Mein Leben bereits verwirkt…“ Mit diesen Worten versiegte ihr Lebensstrom und ihre Seele verließ ihren Körper. Kaum war das geschehen, löste sich der Leichnam auch schon in den Armen Seraphines auf. „Nein, geh bitte nicht!“, weinte sie und versuchte den sich auflösenden Körper fest zuhalten, doch half es nichts.

 

Als letztes löste sich ihre Hand auf, die den Gral hielt, der dann mit einem metallischen Scheppern zu Boden fiel.

 

 

 

Die Hüter standen wie versteinert da und konnten nur tatenlos zusehen, was geschah. Niemand hatte den Assassinen wahrgenommen, bevor er den Engel gemeuchelt hatte.

 

So konnten sie auch erst nicht reagieren als sich der Assassine nach dem kleinen Stein bückte und ihn aufhob.

 

„So viel Ärger wegen so einem kleinen Stein…“ Er hob den Blick, drückte die Faust um den Gral fest zusammen und wandte sich an die Umstehenden. „Ich bin nicht euer Feind!“, begann er, als der aus dem aus der Starre erwachte Vali sein Schwert zog. Verächtlich schnaubend machte er einen Schritt auf den Meuchler zu. „Hört zu, bevor ihr vorschnell handelt! Wir kämpfen für dieselbe Sache. Also sollten wir uns nicht gegenseitig bekriegen und stattdessen gemeinsam den befreiten Dämon bekämpfen.“

 

Seraphine und Vali waren in diesem Moment jedoch nicht zugänglich für derlei Vernunftworte. Vali tat einen weiteren Schritt mit ausgefahrener Klinge auf sein Gegenüber zu und Seraphine, der immer noch die Tränen in den Augen standen, spannte ihren Bogen und zielte auf des Assassinen Herz.

 

Die übrigen Hüter waren sich jedoch unschlüssig, zogen nicht ihre Waffen, geboten ihren Geschwistern auch keinen Einhalt. Diese Entscheidung wurde ihnen dann von jemand anderen abgenommen.

 

Ein Schlag ließ den Boden erbeben und im Osten färbte sich der Horizont rot. Die Hölle auf Erden war ausgebrochen.

 

Der gewaltige Stoß warf Vali aus dem Gleichgewicht, woraufhin er auf allen Vieren landete und sein Schwert scheppernd zu Boden ging. Auch Seraphine konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und die befreite Sehne schleuderte den todbringenden Pfeil davon. Nur um Zentimeter verfehlte er Widars Kopf.

 

Es dauerte einige Augenblicke, bis sich das Beben gelegt hatte und die Hüter wieder klaren Verstandes fest auf ihren Füßen standen.

 

 

 

Friedhelm war dann derjenige, der die Initiative ergriff und in Richtung Dorf vom Plateau schritt. „Los Kameraden, lasst uns diesen Drachen zur Strecke bringen.“, rief er voller Enthusiasmus und stach mit seinem Schwert in den schwarzen Nachthimmel.

 

Die Hüter waren sich jedoch noch immer nicht ganz sicher, ob sie den Assassinen nun trauen sollten, oder ihm doch lieber stattdessen den Kopf abschlagen sollten. Besonders Seraphine sah man es an, dass sie noch immer sehr mit dem Gedanken kämpfen musste, ihm nicht den gesamten Inhalt ihres Köchers in den Wanst zu jagen. Die nächste Erschütterung brachte dann jedoch auch noch die letzten Zweifler zur Vernunft und so verließen alle Anwesenden die Ruinen.

 

Es dauerte nicht lange, da erhoben sich auch schon die Bauten des Dorfes, oder zumindest das, was davon übrig geblieben war aus dem feurig roten Horizont.

 

Schreie, Rufe, das dumpfe Poltern der einstürzenden Gebäude und das unaufhörliche Knistern des Feuers schallten ihnen allzu bald ebenso entgegen. Auch die ersten Flüchtlinge ließen nicht lange auf sich warten, die voller Panik, mit nichts außer einem Nachthemd bekleidet waren in alle Richtungen aus dem Dorf und an unseren Helden vorbei stürmten.

 

 

 

„So schlimm die Zerstörung auch ist, die er anrichtet, hat sie doch auch ein gutes. Wir brauchen den Bastard zumindest nicht zu suchen, seine Spur ist ja unübersehbar!“, hörten sie Mænorõudt sagen, während sie dem Weg der Verwüstung folgten. „Er macht es uns sehr einfach. Zumindest versteckt er sich nicht, das finde ich sehr zuvorkommend von ihm. Nach dem Tag habe ich nicht mehr die Geduld für ein Versteckspiel.“, gab Vali seinen Kommentar trocken dazu und lies die Fingerknochen knacken.

 

Der Dämon lies derweil seine, über die Jahrhunderte angesammelten Frust an einem muslimischen Gotteshaus aus und ignorierte dabei die wie aufgescheuchte Hühner umher rennenden und schreienden Menschen völlig.

 

Schnell verringerten die Hüter die Entfernung zwischen sich und dem Dämon und so wurde sich dieser ihnen auch schnell Gewahr.

 

Plötzlich schien der Dämon das Interesse an der Moschee verloren zu haben und warf den Turm, den er zuvor abgebrochen hatte auf die Neuankömmlinge. Die Überreste sausten über die Reste der Häuser und schlugen mit lautem Donnern auf der Straße auf. Vali und Widar hechteten zur Seite und konnten sich noch rechtzeitig in eine kleine Gasse zwischen zwei Katen retten. Enma, Mænorõudt und Loki, die weiter hinten gingen musste lediglich ein paar Schritte nach hinten machen, um den nahenden Steinschlag zu entgehen. Friedhelm, Seraphine, Hakuryu und der Assassine sprangen und rollten sich nach vorne unter den todbringenden Steinen weg und verloren so den Sichtkontakt zu den Anderen.

 

„Verdammte Scheiße!“, fluchte Vali, der sich mit verstaubtem Gesicht an die Wand lehnte und sich seinen Fuß hielt auf dem ein großer Stein gefallen war. Sein Bruder sah ihn an, blickte dann auf den Schutthaufen, der sich vor ihnen in den Wege stellte und seufzte: „Sieht so aus, als müssten wir uns einen anderen Weg zu dem Knaben suchen.“

 

Auch die anderen Männer sahen sich ähnlichen Problemen konfrontiert, da der Turm sich perfekt auf der ganzen Breite der Straße niedergelassen hatte.

 

Die Frauen, Friedhelm und der Assassine sahen sich hingegen dem geflügelten und äußerst missgestimmten Dämonen gegenüber, der nicht so aussah, als hätte er schon die Lust verloren, die kleinen Menschen mit Gebäudeteilen zu zerquetschen.

 

 

 

Ohne weiter Zeit zu verschwenden setzten sie ihre geschundenen Beine eilends in Bewegung, um sich einen Weg durch die Trümmer zu bahnen und zu den anderen zu stoßen.

 

Derweil machten sich diese zum Kampf bereit, was sich jedoch als nicht so einfach erwies, da die diversen Mauerteile immer noch der Meinung waren, der Schwerkraft trotzen zu müssen und auf sie zuflogen. Im Kreis rennend schufen sie so ein Kolosseum im Miniaturformat.

 

Es brauchte nicht lange, dann hatten sich die vier aufgeteilt. Während Friedhelm den Koloss ablenkte, versuchten der Assassine und Hakuryu in seinen Schatten zu kommen. Seraphine hingegen verbarg sich im Schatten besonders großer Trümmer und legte auf ihren Gegner an. Mit tödlicher Präzision jagte sie einen Pfeil nach dem anderen auf den Dämon und traf ihn mehrere Male mit beeindruckender Wirkungslosigkeit an Kopf und Brust, wo die dünnen Holzschäfte  am dicken Schuppenpanzer zerbarsten. Zwar richteten diese keinerlei Verletzungen an, doch reichte es um seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Es dauerte keine zwei Sekunden, da hatte er den Schützen auch schon ausgemacht und warf einen mannshohen Trümmer, der sie nur knapp verfehlte.

 

Diesen Augenblick der Unaufmerksamkeit nutzte der Assassine um an der Fassade eines noch halbwegs intakten Gebäudes hochzuklettern und auf den Rücken der Bestie zu springen. Sobald er dessen Panzer berührte, stieß er mit seinen beiden Dolchen zu. Die dünnen Klingen bohrten sich bis zum Heft in die, an den Flügelknochen ungeschützte Haut.

 

Abermals abgelenkt und sich im Kreise drehend verlor er den Drachentöter aus den Augen, der die Gelegenheit sofort am Schopf packte. Er setzte zum Spurt an, machte einen Satz auf einen Trümmer, zog sich an den Resten eines Balkons herauf und setzte von dort auf das Ungeheuer über.

 

 

 

Zur gleichen Zeit mussten sich die anderen Hüter durch Trümmer, Flammen und kleine, aus dem Boden kriechende, geflügelte Dämonen kämpfen. „Hört das denn nie auf.“, beklagte sich Vali mürrisch, als er dem ihm am nächsten stehenden mit einem Hieb den Schädel spaltete. „Nicht, solange sein schwarzes Dämonenherz noch schlägt.“, sagte sein Bruder zwischen zwei Schlägen.

 

Enma und Mænorõudt und Loki waren ihrerseits bereits an den kleinen Ausgeburten der Hölle vorbeigekommen und erklommen grade die Reste eines zusammengestürzten und ausgebrannten Marktstandes und bekamen so einen Einblick auf das Schlachtfeld.

 

Es dauerte nur einige Minuten, da waren auch die beiden Asenbrüder am Rande der Arena angekommen in dessen Mitte der Dämon stand.

 

„Nimm das du verfluchter Drache!“, schrie Friedhelm und hieb mit seinem Schwert gegen den gepanzerten Rücken seines Zieles, verursachte aber nicht mal einen Kratzer.

 

Aufhorchend durch das Geschrei hinter ihm drehte er den Kopf und versuchte den Störenfried mit seinen Pranken davon zu schleudern, doch konnte er ihn nicht erreichen. Das brachte ihn scheinbar zur Raserei. Laut brüllend sprang er in die Luft, schlug mit den Flügeln und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Doch Friedhelm und Egon klammerten sich verbissen an den dicken Schuppen fest. So war das einzige, was der Dämon damit erreichte, war dass er unnötig Kraft verbrauchte und schließlich im Boden einbrach, als er auf eine Ruine trat. Sein linkes Bein verschwand völlig im Kellergeschoss der ausgebrannten Kate, sein rechter hatte sich in die Überreste gegraben und er selbst wand und drehte sich um sich wieder zu befreien. Doch vergebens. Umso mehr er sich wand, desto tiefer geriet er in die unsanfte Umarmung der Trümmer.

 

Kaum hatte der Unhold aufgehört sich zu winden, als er merkte, dass es ihn nur weiter hinab   trieb, griffen die Hüter zum finalen Schlag an. Von allen Richtungen stürmten sie auf ihren bewegungsunfähigen Feind und schlugen unablässig auf ihn ein.

 

Einige Sekundenbruchteile später traf dann ein Pfeil von Seraphine einen der wenigen, kleinen Schwachpunkte an der Stahlharten Haut des Dämons. Mit unheilvoller Präzision suchte sich das Geschoss einen weg in dessen Auge und bohrte sich tief in dessen Gehirn hinein. Doch fällte es ihren Gegner nicht, sondern machte ihn nur wieder wilder. Nun jedoch, auf einem Auge Blind und mit gestörten Gedankenströmen war es ihm nicht mehr möglich sich gegen seien Peiniger zu erwehren, geschweige denn aus seiner misslichen Lage noch zu entkommen. Nun, wo die rechte Seite vom Feind nicht mehr einzusehen war, ergriff Widar die Initiative, steckte sein Schwer in die Scheide zurück und nahm die Zwergenaxt vom Rücken. In vollem Lauf schwang er die große Axt und trieb ihre mit Runen versetze Schneide tief in des Feindes Kniekehle. Die magische Waffe ging durch die dünne Haut, Sehnen und Fleisch wie durch Butter und blieb in der Hälfte des Knochens stecken.

 

Durch den Pfeil verkrüppelt realisierte der Dämon den Treffer erst nach mehren Sekunden und verschaffte dem Asen so genug Zeit um mit seiner Axt wieder aus dessen Reichweite zu hechten. Im gleichen Moment, wie der Unhold ausholte, gab auch sein halb durchtrenntes Bein nach und er ging auf alle Viere.

 

Jetzt, wo es Friedhelm ein Leichtes war an des Drachen kopf zu kommen und der sich nicht mehr wand, nutze er die Gunst der Stunde und legte die wenigen Meter bis zu seinem Ziel zurück. Ohne zu zögern erhob er sogleich seine glimmende Klinge empor und trieb sie mit voller Wucht in dessen Nacken. Die an der Stelle befindlichen, dünneren Schuppen gaben ohne großen Widerstand nach und ließen den tödlichen Stahl passieren.

 

Ein schabendes Geräusch erklang, als die Spitze sich in dessen Wirbelsäule bohrte und sich dort verkantete. Von Schmerz, Wut und Angst angetrieben bäumte sich der Wüterich ein letztes Mal für den Versuch auf, seine Feinde zu zerquetschen, was ihm jedoch zum Verhängnis wurde. Friedhelm, der noch immer sein Schwert mit beiden Händen am Griff gepackt hatte und nun den Boden unter den Füßen verlor, rutschte jetzt der Erde entgegen. Der lange Hebel des Schwertes und das hohe Gewicht des Hünen beendeten so das wilde Treiben und streckten den Dämon nieder, als die Schneide am Wirbel hinab gleitete und sich durch das Rückenmark schnitt. Augenblicklich verstummten all seine Lebensgeister und der Blick wurde glasig. Friedhelm, der sich seiner Tat noch nicht bewusst war, ließ los und rollte sich hinter dem Gegner ab.

 

Ohne das Gewicht des Drachentöters wurde die Dämonenleiche frontlastig und senkte sich immer schneller werdend zu Boden.

 

 

 

Ein lautes Poltern, gefolgt von einer Erschütterung unter der viele der umstehenden Ruinen komplett zusammenfielen wallte durch die Nacht. Nun lag der einst so gefährliche Dämon leblos am Boden, zu Füßen der Hüter. „Mann, das gibt einen dicken Braten ab! Frag mich nur ob wir einen Grill finden, der groß genug ist, um ihn da drauf zu schmeißen.“; sprach Vali und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Widar schritt zum Kadaver hin, zog sich am Kopf hoch und zog das Schwert mit einem Ruck aus dem Fleisch. „Da werden wir aber einige Tage dran zu kauen haben. Das würde sogar mindestens eine Woche für das ganze Dorf hier reichen.“, sagte er während er die magisch glimmende Klinge betrachtete. „Das ist der größte Drache, den ich seit Ewigkeiten zu Gesicht bekommen hab.“, gab Friedhelm dazu und trat, zu den anderen, wobei er seine Beute weiter im Auge behielt, bis er am Kopf angekommen war. „Ein echt schönes Schwert habt Ihr da. Sieht nach einer echten Meisterarbeit aus. Wo hast du die her?“, frage Widar, während er die Waffe in den Händen drehte und sie weiter begutachtete. Schließlich sah er zu dessen Besitzer hinab und warf ihm sie zu, der sie gekonnt auffing. „ Die Klinge ist schon seit einiger Zeit im Besitz meiner Familie. Sie war so weit mir bekannt nie sonderlich besonders. Sie wurde lediglich vom Schmied meiner Familie regelmäßig behandelt.“

 

Einige Sekunden grübelte Widar über Friedhelms Worte nach, bis dieser erneut sprach: „Ah, vor einigen Tagen…als ich meinen Auftrag bekommen hab. Mein Auftraggeber nahm mir mein Schwert ab. Sie wollte es überholen und ein bisschen stärker machen. Ich hab mir nichts dabei gedacht. Einen Teil meines Honorars hat sie mir im Vorwege gezahlt und zudem etwas Gold zum versaufen.“ Unweigerlich musste er grinsen als er sich an den Abend erinnerte.

 

Die Umstehenden runzelten die Stirn, sagten jedoch nichts.

 

„Verstehe.“, hob Widar an. „Kam Euch das gar nicht merkwürdig vor? Und dann einfach eure Waffe einer fremden Person überlassen?“

 

Der Söldner kratzte sich an seinem blonden Kopf. „Nun ja, ich war zuerst etwas misstrauisch. Aber die Klinge ist schon so alt. Die Anzahlung die in dem Säckel war hätte für drei neue Schwerter gereicht.“

 

„Wie dem auch sei. Ich denke wir sollten uns jetzt erst einmal einen Platz zum Nächtigen suchen. Die eine oder andere Hütte wird wohl noch dicht sein und ich glaube nicht, dass die Bewohner vor Morgengrauen wieder da sein werden.“, sprach Vali und kratzte sich müde am Hals.

 

Gesagt, getan. Nur zwei Straßen entfernt zum Zentrum fanden sie eine intakte Hütte, in der sie alle Platz fanden und kaum hatten sie sich abgelegt, schliefen sie auch schon ein.

 

 

 

Die Sonne ging am Folgetag ungewöhnlich früh auf und so kam es, dass die Himmelscheibe schon hoch über dem Horizont schwebte und ihr wärmendes Licht bereits durch das Dorf Safita floss, als die Hüter wach wurden.

 

Erstaunlicherweise war der Drachentöter der erste, der auf und aus der Hütte getreten war. Noch bevor einer der anderen was bemerkte, geschweige denn was sagen konnte ging er zurück zum Platz um seine Beute bei Tageslicht zu begutachten.

 

Trotz der Müdigkeit und der Schmerzen, die er fast in jedem Teil seines Körpers spürte schwellte ihm die Brust und er legte ein selbstzufriedenes Lächeln aufs Gesicht.

 

 

 

„Was für ein Glücksfall“, dachte sich der Mann sich und schritt um den Leichnam.

 

Im Schein der prallen Mittagssonne funkelten die Schuppen in allen Farben, so wie ein Diamant. Das dachte sich auch der Krieger. Er zog sein Schwert, schob es unter eine Schuppe und versuchte sie mit drehen und stechen zu lösen, was ihm auch nach mehreren Ansätzen gelang. Darauf hin streckte er sein Schwert wieder weg und begutachtete die einzelne Schuppe, mit dergleichen er sich vorige Nacht abgemüht hatte. „Wie ein geschliffener Diamant.“, bestaunte er das zerbrechlich wirkende Gut und gedachte seiner Immunität gegen brachiale Schwertmacht.

 

Einige Augenblicke später kniete er neben dem Dämon, seinen Umhängebeutel offen neben sich liegen und dem Schwert in der Hand. Sobald er die ersten paar Schuppen gelöst hatte, waren die anderen, die nun mehr oder minder frei lagen ohne Schwierigkeiten raus zustechen. „Das gibt einen wunderbaren Panzer ab!“, schwärmte der Blonde und rieb sich insgeheim schon die Hände.

 

Derweil steckte Widar den Kopf nach draußen und blickte Richtung Platz wo der den Söldner vermutete. Er trat aus der Tür und Hakuryu folgte ihm auf dem Fuße. Es war zwar ganz offensichtlich, dass die Bestie nicht im Geringsten mit ihr verwandt war, dennoch fühlte sie sich betroffen, was der Drachentöter gesagt hatte.

 

An der Frischen Luft und von der wohligen Wärme der Sonne gestreichelt verflog auch die letzte Müdigkeit und sie beschlossen beide im Stillen noch mal zum Schlachtfeld zurückzukehren. Unerwartet durch das Gewusel aufgeweckt trat auch der Magyar ins Licht und begleitete die beiden bei dem Spaziergang.

 

Als sie die Hauptstraße betraten, die aus dem Dorf hinaus führte, sahen sie in der Ferne Menschen. Ganz offensichtlich die Bewohner, die nun, da der Schrecken offenbar zu ende war. Sie waren jedoch nicht die einzigen die das bemerkt hatten, denn inzwischen kreisten bereits die Geier und andere Raubvögel über dem Platz, wo all das schöne Fleisch vor sich hin verweste. Nur an den Dämonenkadaver trauten sie sich nicht ran.

 

 

 

Die drei so ungleichen Krieger traten an den riesigen verwesenden Fleischberg heran. „Unglaublich!“, stöhnte Mænorõudt und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. „Es ist kaum einen halben Tag tot und fängt schon dermaßen zu stinken an, dass man den Gestank schon sehen kann!“ Tatsächlich sah man kleine stinkende Schwaden vom Fleisch aufsteigen, welches nun ohne die Schuppen schutzlos der sengenden Zerstörungskraft der Sonne ausgesetzt war. Doch auch der restliche Körper begann schon darunter zu leiden. Jetzt, wo kein Leben mehr in dem Körper steckte, begann er unglaublich schnell zu verfallen, was von der Sonne nochmals beschleunigt wurde.

 

Das alles machte Friedhelm jedoch nichts aus, der bereits seinen Beutel bis oben hin mit Schuppen gefüllt hatte und nun alle anderen Taschen mit ihnen füllte, solang sie noch zu tauglich waren. Während der Magyar den Drachentöter bei seiner Ernte beobachtete traten Widar und der Drache ganz nah an den Kopf des Dämons heran. Der Ase ergriff dessen Kiefer, zog den Kopf zu sich heran und öffnete mit der anderen Hand dessen Auge, an dem man einen Drachen am einfachsten erkennen konnte.

 

Es gab keinen Zweifel. Es war zwar nicht mal mehr der geringste Funke von Leben enthalten, aber dieses Feuerrote Fleckenmuster war definitiv Ursprung reinsten Dämonenblutes.

 

Das sah auch Hakuryu, erwiderte dann Widars Blick und nickte, woraufhin sie erleichtert durchatmete.

 

Einen Liedschlag später fiel der Kopf unsanft auf den Boden zurück. „Macht doch nicht solch einen Krach.“, beschwerte sich sogleich der Blonde, der vor Schreck eine Schuppe fallen lies.

 

„Meint ihr nicht, dass ihr nun genug davon habt? Oder habt ihr vor damit euer Zimmer zu verkleiden?“, grinste Mænorõudt. „Die Dinger sind unbezahlbar. Es wäre eine unsagbare Verschwendung sie hier verrotten zu lassen!“, entgegnete der Mann empört. „Wenn das so ist…“, sprach Widar leise und schritt zur Hütte zurück, während ihm die anderen verwundert nachschauten. Noch größer wurden ihre Augen, als er kurze Zeit später mit seiner großen Axt zurückkam. „Was darf es denn sein, Brust oder Keule?“, grinsend fragte und seine Waffe über den Kopf hob. „Was?“

 

Doch noch ohne ein weiteres Wort abzuwarten ließ Widar seine Waffe niedersausen und trieb den Axtkopf in den schon lädierten Nacken des Dämons. Mit Leichtigkeit durchschlug er die schuppige Haut, das verwesende Fleisch und das Genick, sodass er erst im Sandboden zum Halten kam. Widar ließ sie dort und packte stattdessen den Kopf an den Hörnern und stemmte diesen empor. „Wollt ihr den auch als kleine Jagdtrophäe für eure Wohnstube haben?“

 

 

 

„Uh!“, entfuhr es Friedhelm, er stellte auf der Stelle sein Handeln ein und starrte mit runter gefallener Kinnlade auf den gewaltigen Schädel aus dem das schwarze Dämonenblut wie Honig floss. Als er wieder seine Fassung erlangte, trat er, unentwegt auf den Schädel starrend an diesen heran, bis der klebrige Lebenssaft nur wenige Fingerbreit vor seiner Nase zu Boden rann und dort zu einem kleinen See verschmolz.

 

„Natürlich, Blut!“, brachte Friedhelm euphorisch heraus. Die drei Hüter sahen ihn verdutzt an. „Ja, das ist Blut.“, gab Mænorõudt trocken zurück. „Nein, versteht ihr nicht? Nicht einfach nur Blut.“, sprach er, als würde er mit kleinen Kindern reden und schüttelte betroffen den Kopf. „Das ist Drachenblut. Wisst ihr denn nicht welche Eigenschaften man dieser Flüssigkeit nachsagt?“, sagte er nun selbst wie ein kleines Kind mit leuchtenden Augen und Blickte in die ausdruckslosen Gesichter. Ohne noch eine Antwort zu erwarten, redete er weiter. „Wer im Drachenblut badet, wird unverwundbar! Das ist noch viel besser als eine ganze Wagenladung Gold. Und dann würde ich auch nicht einmal die lästige Rüstung brauchen.“ Dabei schlug er mit der flachen hand auf seine zerschlissene und angebrannte Lederrüstung.

 

Bei den Worten entfuhr Hakuryu ein missbilligendes Schnauben und auch Mænorõudt konnte sich keinen Kommentar verkneifen. „Wenn das Zeug wirklich so fantastische Eigenschaften hätte, wären doch die Drachen nicht so schnell ausgestorben, oder?“, fragte er spöttisch und warf einen Blick zu ihrem letzten Drachen.

 

Widar ließ den Schädel sinken und sah den Drachentöter verständnislos an. „Ich glaube nicht, dass ihr wirklich in dieser Suppe baden wollt.“, verdarb er sogleich dessen Laune und zeigte auf das besagtes Wundermittel. Gerade in dem Moment hatte sich eine übermütige Ratte auf das kostenlose Mal gestürzt, was ihr zum Verhängnis wurde. Voller Freude, nach Tagen endlich wieder was zu Futtern gefunden zu haben, tapste der kleine Nager in die schwarze Pfütze und schnüffelte begierig. Erst als es für das Tier zu spät war erkannte es die Gefahr. Panisch fiepend und sich windend versuchte es aus dem Teufelszeug herauszukommen. Doch es wurde von einer unsichtbaren Macht geradewegs in die Schwärze gezogen. Blasen stiegen auf und platzen, wodurch sie einen Übelkeit erregenden Gestank freisetzten. Kaum war das Gas an die Luft gekommen, entfaltete es auch schon seine schaurige Wirkung. Dort, wo die Blasen geplatzt waren, fiel der Ratte augenblicklich das Fell aus. Es blieb allerdings nicht nur beim Fell. Sobald das letzte Haar gefallen war, begann das Fleisch sich aufzulösen und sich von den Knochen zu schälen, während sich die Ratte noch voller Schmerz am Boden wand und schrie. Angewidert trat Friedhelm einen großen Schritt zurück. Erst als das Tier endgültig tot und nur noch dessen Skelett auf den Blasen Zappelte wandten sie alle die Blicke ab.

 

„Nun?“, fragte Widar trocken. Der Worte beraubt und etwas blass schüttelte er Friedhelm nur den Kopf und schritt weiter von der unheimlichen Substanz weg.

 

„Hervorragend. Da wir das nun geklärt hätten, sollten wir uns langsam auf den Weg machen.“, sprach Widar, warf den Schädel zu Boden und kniete sich über ihn. Mit ein paar Handgriffen und Hilfe seines Schwertes riss er einige der mächtigen Reißzähne aus dem Mal und steckte sie ein. Daraufhin Holte er noch mal mit seiner Axt aus und schlug die zwei großen Hörner vom Schädel und steckte diese in den Gürtel. „Man kommt nicht jeden Tag an so hervorragendes Material.“

 

„Können wir das Biest denn einfach hier liegen lassen, wenn seine Überreste so unvorhersehbare Folgen hat?“, fragte Hakuryu besorgt, die sich wieder nach den Flüchtlingen umgeschaut hatte, die nun gefährlich nah gekommen waren.

 

„Nein, das können wir nicht. Wir müssen sie verbrennen!“, sprach Widar mit grimmiger Miene. Er überlegte kurz, flüsterte Friedhelm was ins Ohr und schritt dann schnellen Fußes zum zerstörten Gotteshaus. Kurz darauf, etwas verunsichert dreinschauend trat der Drachentöter vor den Kadaver, hob sein Schwert und trieb es bis zum Schaft in die Brust des Dämons. Anschließend drehte er die Klinge, bis er ein rundes Loch von der Größe eines Kinderkopfes hineingebohrt hatte und zog es wieder raus.

 

Ein paar Sekunden Zögern, dann schloss er die Augen und steckte seinen Arm bis zum Ellebogen rein. Dann, ein kurzer Ruck und er hatte das Herz des Dämons aus seinem schützenden Korb gerissen. Kaum war es den Körper entrissen, zerfiel dieser auch schon zu einer undefinierbaren Masse, die sich über den Boden verteilte. Das Schauspiel war gerade zu ende, da kam Widar auch schon mit einer Goldschale, mehreren Säckchen und einer Fackel zurück. Er kippte den Inhalt der Schale und eines Säckchens in die Reste und warf die Fackel hinterher. Augenblicklich ging alles in einem heißen Flammenmeer unter.

 

Ohne noch ein Wort zu sagen oder einen Blick zurück zu werfen, gingen die Vier schnell zu den anderen zurück, denn es galt keine Zeit mehr zu verlieren.

 

 

 

Als sie angekommen waren, traten ihnen ihre Kampfgefährten bereits gerüstet und mit bepackten Pferden entgegen. Sie wussten, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatten und ihre Zeit sehr begrenzt war.

 

Kurze Zeit später, ohne noch ein Wort über Vergangenes zu verlieren ritten die ungleichen Gestalten gen Westen. Ihr Ziel war die Hafenstadt Tartosa, die von den Kreuzfahrern gegründet wurde und sich gerade im Aufbau befand. Dort sollte es leicht sein, an ein Schiff zu kommen, das sie ins Herz Europas brachte.

 

Zum ihrem Glück waren das Wetter auf ihrer Seite, denn sie hatten nur noch wenig Proviant und Wasser dabei. Wenn sie die erbarmungslose Wüstensonne über ihren Köpfen brennen hätten, wären sie gezwungen gewesen einen Umweg von einer Tagesreise nach Süden zu tätigen, wo sich eine große Oase befand, an der die Karawanen oft rast machten.

 

Bei diesen Verhältnissen und ohne Hindernisse oder Überfälle würden sie ihr Ziel bereits am Abend des selbigen Tages erreichen.

 

 

 

Am Abend an der Mittelmeerküste, neunzig Kilometer südlich der von Kreuzfahrern besetzen Hafenstadt Latakia.

 

Seit den frühen Morgenstunden ankerte die Sanctus Victoria nun schon an einem der drei Anlegestege. Außer ihr lag noch ein kleiner Einmaster vor Anker. Ein Kriegsschiff der Kreuzfahrer das im Kreuzzug so viel Schaden davongetragen hat, dass es nun nicht mehr zur heimischen Küste zurückkehren konnte und hier auf die Überführung nach Latakia wartete.

 

 

 

An Bord des Transportschiffes, von dem den ganzen Tag über Handelsgüter, Baustoffe und Waffen entladen wurden waren außer der üblichen Bordmannschaft noch zwei etwas unpassende Personen. Die eine, etwas größer, in einen schwarzen Umhang gehüllt, die andere, eher klein und zierlich in einen purpurroten Mantel gehüllt, standen sie dort an der Reling und beobachteten das geschäftige Treiben an Land.

 

 

 

Nachdem Guillaume de Machaut 1323 in die Dienste des Herzogs Johann von Luxemburg eintrat und ihn auf vielen Reisen und Kreuzzügen begleitete, kam es, dass er sich eines Tages, dieser Reisen überdrüssig, in einem kleinen Französischen Dorf wieder fand.

 

Es war ein frischer Frühlingsabend und es der Duft von frischen Grün lag in der Luft.

 

Gerade, als Machaut an einer kleinen Steinhütte vorbeischlenderte stach ihm der intensive Geruch von Rosen in die Nase und er wandte sich um. Aus dem Inneren hörte er lautes Rufen und Streiten. Als er näher heran trat um zu lauschen, flog die Tür auf und eine junge Frau stürmte raus und an ihm vorbei. Ihre hastigen und unkoordinierten Schritte, die noch von ihrem Kleid beeinträchtigt wurden brachten sie jedoch nicht in die verhoffte Freiheit, sondern trieben sie nur allzu bald in die Hände einer der Wachen, die sie mit offenen Armen empfing und sie packte.

 

„Was hat sie verbrochen?“, fragte der junge Mann neugierig. Einer der Wachen wies ihn nur zurück und sagte unwirsch. „Tretet zurück und kommt der Hexe nicht zu nah!“

 

 

 

Die junge Alcira erwachte am frühen Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durch ihr Fenster fielen und sie streckte sich ausgiebig. Es juckte ihr bereits wieder in den Fingern und so konnte sie es kaum erwarten, ihre geliebte Geige wieder in die Hände zu nehmen. So streifte sie sich ihr weißes Nachthemd noch im Gehen über den Kopf und trat an die Wasserschale. Nachdem sie die letzte Müdigkeit aus dem Gesicht gewaschen hatte, hörte sie bereits die Leute draußen auf dem Marktplatz miteinander reden. Eilends schritt sie zu ihrer Truhe, zog ihr schwarz-rotes Kleid heraus und zog es sich über. Sie schnürte es noch fest, da trat sie schon an ihr Fenster und sah hinaus.

 

Mitten auf dem Marktplatz hatte sich eine Traube gebildet, die teilweise wild gestikulierend, aufgeregt miteinander sprechen.

 

Ohne jedoch weiter darauf zu achten ging sie zu ihrem kleinen Tischchen neben ihrem Bett, auf dem ihre Geige lag und ergriff sie. Sobald sie die Finger um dessen Hals geschlossen hatte, durchströmte sie ein Gefühl der Befriedigung und des Glücks wie ein heißer Strom an Energie. Behutsam legte sie den Bogen auf die Saiten und stimmte eine kleine Melodie an.

 

 

 

Unterdessen, während Alcira auf ihrer Geige spielte und von ihr unbemerkt standen die Bewohner des Dorfes noch immer auf dem Platz und redeten über sie.

 

Zwar war es ihr schon seit längerem Bewusst, dass man im Dorf über sie sprach, was ihr außerordentlich gefiel. Doch war ihr nicht klar, dass bei weitem nicht alles sonderlich schmeichelhaft war. Ihr früh entdecktes musikalisches Feingefühl machte sie schon bald zu einer kleinen Berühmtheit in der Gegend und so kam es das die Leute aus dem umliegenden Regionen angereist kamen, um ihren Klängen zu lauschen. Sie schien ihre Zuhörer mit ihrer Musik geradezu zu verzaubern. Das zumindest wurde den etwas skeptischeren Priestern fälschlicherweise Bewusst. So ist sie nach einigen Jahren rasch zu dem Beinamen, die Teufelsgeigerin gekommen.

 

Ihr Spiel legte ihr die Männerwelt zu Füßen, bezauberte diese, trieb die Frauen in heillose Eifersucht und erzürnte die Geistlichkeit.

 

Da war es nicht verwunderlich, dass man sich rasch zusammenschloss, um sich der lästigen Göre zu entledigen. Ein Komplott wurde geschmiedet, Gold wechselte den Besitzer und bestimmte somit des Mädchens Schicksal.

 

 

 

Und nun war es soweit. Am vorherigen Tage besiegelten sie ihren Tod.

 

Der Tag begann wie jeder andere zuvor auch und sie spielte am Nachmittag wieder eins ihrer betörenden Stücke. Dieses trieb dem Anschein nach einen ihrer Verehrer in den Wahnsinn und er begann seltsames von sich zu geben, fing an, zum Satan höchst selbst zu sprechen. Unmittelbar darauf erschien einer der Priester, der sich sogleich, überzeugend erschrocken, kreuzigte und ein kleines Gebet an den Herren richtete.

 

Kurz darauf erschienen auch schon drei Wachen, die den Teufelsanbeter packten und, mit dem Priester als Nachhut in die Kirche schleppten.

 

Das bekam Alcira, die so in ihr Spielen vertieft war und auch einige, die davon gebannt waren, nicht mit. Die anderen jedoch tuschelten erregt und der Zweifel an der Geigerin keimte auf. Man lies sich jedoch nichts anmerken.

 

Am nächsten Tag, ganz in der Früh versammelten sich dann die Bewohner in der Kirche und hörten den Worten des Vertreter Gottes gebannt zu.

 

Leicht aufgebraust tischte er den Leichtgläubigen dann die Lüge auf.

 

Sie habe in ihren frühen Kindertagen einen Packt mit dem Teufel geschlossen, der ihr im Austausch für ihre Seele ein Teil seiner Macht verlieh. Diese Kraft sollte sie dazu befähigen, ihre einfachen Geigenklänge zu magischen Fesseln zu machen, den Hörer in ihren Bann und somit in die Hände Satans zu spielen.

 

Es brauchte nicht lange, da hatte der fanatische Mann Gottes die Dörfler wo er sie haben wollte. Erfüllt mit Angst und Hass erfüllt starrten sie in die Runde und fragten sich, was man nun tun könne.

 

Der Priester wusste jedoch sofort Rat und er hob beschwichtigend die Arme. „Ruhe bitte, beruhigt euch, meine Lieben. Es gibt keinen Grund zur Furcht. Ich weiß, ihr seid alle gottesfürchtig und folgt treu seinen Gesetzen. Der Allmächtige hält seine Hände schützend über jene, die seiner Treu sind. Ihr habt also nichts zu befürchten. Sie jedoch, die sie den Bund mit dem Teufel eingegangen ist und sich von unserem Herren abgewandt hat, hat keine Gnade zu erwarten. Sie ist nur wie jeder andere Gottlose in der Welt, ein Ketzer. Und es gibt nur ein Mittel gegen die Ketzerei und jene, die ihr verfallen sind.“ Er machte eine viel sagende Pause und schaute in die immer noch verunsicherten Gesichter, wobei er die Arme noch immer empor regte. „Sie mag noch jung sein, doch ist sie eine Ketzerin und muss als solche behandelt werden. Auf sie wartet nur der Tod auf dem Scheiterhaufen!“ Den letzten Satz sprach er mit besonderem Nachdruck und riss dabei seine Augen weit auf. „Wir dürfen nicht zulassen, dass sie unser friedliches Dorf in Ungnade wirft und uns damit alle Unheil bringt. Sie muss sterben, für unser aller Wohl.“

 

 

 

 

 

Ein unwohles Gefühl machte sich in Machauts Magengegend breit und auf das Gefühl hin schritt er der Menschenmenge langsam nach. Er wusste nicht warum, aber irgendwie spürte er, dass eine besondere Bindung zwischen ihnen Beiden bestand.

 

Obwohl sich das Mädchen unter Geschrei und Geheul heftig wehrte und sich zu befreien suchte hielten die zwei Wachen sie in einem eisernen Klammergriff fest, was es ihr unmöglich machte zu entkommen. Als ihr schließlich die Kraft ausging, erschlaffte ihr Körper und sie fing nun an zu Betteln und zu Flehen, doch ihre beiden Wächter hielten sie weiterhin mit ungerührter Miene bei ihren Armen.

 

 

 

Als das Dreiergespann schließlich mit Machaut im Schlepptau auf dem großen Klosterplatz angekommen war, warteten dort schon fast das ganze Dorf, zwei weitere Geistliche, ein halbes Duzend Wachmänner und ein hoch aufragender Scheiterhaufen.

 

„Nun ist dein Ende gekommen, Ketzer!“, erschallte es aus der Menge.

 

Bei dem Anblick und ihrem Gewahr gewordenen Schicksal erhielt sie erneut hysterische Kraft und riss sich los. Hastig duckte sie sich unter den Fangarmen der Wachen durch und rannte zurück, ohne wirklich zusehen, wohin und so lief sie unversehens in Machauts Arme.

 

 

 

Nachdem Alcira ihn unsanft und unbeabsichtigt umarmt hatte tat er es ihr gleich und starrte auf sie nieder. So starrten sie sich einige Sekunden gegenseitig an ohne was zu sagen oder auch nur einen Muskel zu rühren. Die Zeit schien wie still zu stehen.

 

Bis der Priester erfreut seine Stimmer erhob. „Gut gemacht, mein Sohn. Haltet dieses Teufelsweib fest, es darf seiner Strafe nicht entkommen. Der Gelobte reagierte jedoch nicht und starrte weiter in die unergründlichen Augen dieser teuflischen Geigerin.

 

Unterdessen trat der Priester, flankiert von seinen beiden Wachen in der Absicht an die Musiker heran, das Mädchen erneut zu ergreifen. Als sie jedoch auf zwei Meter herangekommen waren, zog der Fremdling sein Schwert und hielt es dem Geistlichen direkt unter die Nase, sodass dieser das ranzige Öl auf der Klinge riechen konnte.

 

Sofort machten die Wachen einen Schritt nach vorn und waren im Begriff ihre Waffen zu ziehen, doch Machaut machte ihnen mit einem Blick und einer viel sagenden Geste klar, das das eine unkluge Endscheidung sei, die sie bereuen würden.

 

Den Arm um sein Mädchen geschlungen und die Spitze seines Stahls weiterhin auf den Priester gerichtet schritt er rücklings den Weg hinab, den sie gekommen waren.

 

Erst, als sie um eine Biege traten und den Platz nicht mehr sehen konnten, brüllte der aufgebrachte Mann los, man solle die Gottlosen verfolgen und zur Strecke bringen. Noch nie hatte man ihn so gedemütigt. Mit rot angelaufenem Kopf , die Hände zu Fäusten geballt, sodass die Knöchel weiß hervortraten, einer Miene, die nicht von Wohlwollen erfüllt war, sah er den bewaffneten Männern nach und stellte sich bereits vor, wie sie die beiden Gotteslästerer niederstrecken und ihre Innereien auf dem Weg verteilen würden.

 

 

 

Kaum war der Platz außer Sicht, da hörten sie den Verrückten von dort voller Wut brüllen. Hastig steckte Machaut sein Schwert zurück in die Scheide, nahm Alcira, die immer noch zittrig auf den Beinen war bei der Hand und rannte mit ihr auf direktem Weg aus dem Dorf heraus.

 

 

 

Als sie an Alciras Haus ankamen, blieb sie abrupt stehen und starrte zu ihrem Zimmer hinauf, wo noch ihre Geige lag. Machaut, dem der Blick nicht entgangen war, nickte ihr knapp zu und folgte ihr auf dem Fuße. Während sie nun ihre Geige und ihre wichtigsten Habseligkeiten packte, betrachtete Machaut ein kleines Bild, das in einer Nische hing und ihm seltsam vertraut vorkam. Darauf waren mehrere Menschen zu sehen, die eng beieinander standen und einen, irgendwie bedrückten Eindruck machten. Gesicht für Gesicht sah er sich an und musterte sie eingehend, blieb bei einem Mann mittleren Alters hängen und trat näher an ihn heran. Seine Gesichtszüge kamen ihm so vertraut vor. Irgendwie familiär.

 

In diesem Augenblick trat Alcira mit ihren Habseeligkeiten neben ihn. „Das ist ein Gemälde meiner Sippschaft. Und das ist mein Vater.“; fügte sie hinzu, als sie bemerkte, wen er so gebannt anstarrte.

 

 

 

„Das konnte doch unmöglich sein.“, dachte sich Machaut, als er auf die Jahreszahl starrte und erkannte, wo das Gemälde gemalt wurde. „Das konnte unmöglich wahr sein. Doch das war es.“ Nun war ihm klar, woran ihn dieser Mann erinnert hatte. Er erinnerte ihn an ihn selbst. Die Nase, das Kinn. Es waren die seinen, die seines Vaters! Und sie… „Du… du bist meine Schwester.“, sprach er fassungslos.

 

 

 

Eine halbe Stunde später waren die beiden Geschwister auf der Ladefläche eines Heukarrens versteckt und auf dem Weg zur nächstgelegenen Stadt die, so hofften sie eine Möglichkeit bot, über den Seeweg in sichere Gefilde zu kommen um von dort in sein Geburtsdorf bei Reims zu gelangen.

 

Am selbigen Abend erreichten sie schließlich die Stadt die zu ihrem Glück auch einen kleinen Hafen besaß. Im Trockendock war ein gerade ein großes Schiff aufgebart, das trotz seiner Nacktheit schon so manchen Geist beeindrucken konnte. Man konnte sich lebhaft vorstellen wie es in seiner Fertigstellung majestätisch durch die Wellen glitt, jedem Sturm und jedem Feind zur See trotze. Doch das lag noch in weiter Ferne und es war klar, dass die beiden dabei nicht beiwohnen würden. Ihr Augenmerk viel eher auf einen kleinen Einmaster unter französischer Flagge, welcher, noch neben einem anderen Schiff, einem Zweimaster, der unter britischer Fahne segelte und den Namen „Sanctus Victoria“ trug, gerade mit großen Transportkisten und Fässern beladen wurde. Bei einem Gespräch des Kapitäns mit ein paar Aristokratischen Kaufleuten hatten sie gehört, dass dieses Schiff ganz in der Nähe Reims anlegen würde, perfekt!

 

Die beiden Machauts nutzen einen unbeobachteten Moment und schlüpften in eine große, noch nicht vernagelte Kiste und schlossen sie rasch. Nur wenige Minuten später spürten sie, wie ihr Versteck in die Luft gehoben wurde und in einen in den Laderaum eines Schiffs gehoben wurde. Sie hatten es geschafft.

 

Wenige Stunden, nachdem sie es sich in ihrer Kiste bequem gemacht hatten, legte das kleine Transportschiff, die „Céleste Liberté“ ab, jedoch ohne die beiden Schlafenden. Ihre Kiste wurde nicht, wie gedacht in die „Liberté“, sondern in die „Victoria“ geladen, deren Ziel das arabische Reich war.

 

 

 

Die Sonne erhob sich über den Horizont und spiegelte sich in der Ruhigen See als gelblicher Teppich wider. Der aufgehenden Sonne entgegen, glitt die „Victoria“ mit vollen Segeln südlich an der Küste Siziliens in Sichtweite vorbei, welche von den beiden blinden Passagieren ungläubig angestarrt wurde. Es dauerte einige Augenblicke, bis ihnen Gewahr wurde, dass sie sich von ihrer Heimat entfernten und sie sie allzu bald nicht mehr zu Gesicht bekommen würden.

 

 

 

„Was machen wir jetzt nur? Wie kommen wir wieder nach Hause?“, fragte Alcira mit Verzweiflung in der Stimme. Doch noch bevor ihr Bruder ihr auf die Frage antworten konnte, ging die Luke zum Frachtraum auf und in dieser stand ein stämmiger, breitschultriger Matrose, der die blinden Passagiere mit argwöhnischen Blicken anstarrte.

 

Seine anfängliche verwirrte Miene verwandelte sich nach wenigen Augenblicken in ein hämisches Lächeln und er machte einen Schritt in den Raum rein. Er schloss die Luke und sprach dann: „Was haben wir denn hier? Etwa blinde Passagiere?“

 

Die Geschwister wussten nichts darauf zu entgegnen und standen nur weiter stumm da und starrten den Seemann an, während sich dieser ihnen weiter näherte.

 

Dabei haftete sein Blick ununterbrochen auf Alcira. Es war jedoch nicht auszumachen, ob sein Interesse ihrer verhüllten Brust oder ihrer Geige, die sie fest umklammerte galt.

 

 

 

Nur eine Armlänge entfernt hielt er schließlich inne und stemmte die Fäuste in die Hüften.

 

„Was machen wir mit euch Beiden?“ Er sah von Machaut zu Alcira und zurück. Ohne eine Antwort abzuwarten sprach er weiter. „Wisst ihr, der Kapitän schätzt es gar nicht, wenn sich Fremde auf sein Schiff schleichen. Wenn er davon erführe, ließe er euch sicher über Bord gehen.“ Er lies den letzten Satz im Raum stehen und las die Reaktion an den Gesichtern ab.

 

Da beide weiter schwiegen, fuhr er fort. „Aber ich bin mir sicher wir können uns arrangieren.“ Und ein überlegenes Lächeln lag ihm im Gesicht.

 

Die beiden in Not geratenen war das ganze nicht geheuer, aber es würde sicher besser sein als mit den Untieren der Meere zurück nach Hause zu schwimmen. „Dann lass mal hören.“, sprach Machaut mit fester Stimme. Der Seemann grinste nun breit. „Frauen haben wie Ihr sicher wisst auf solchen Schiffen nichts verloren. Allerdings, wenn sie den Männern zu gewissen Diensten steht, wird der Kapitän sicher über euren Frevel hinwegsehen und euch nicht zu den Fischen schicken.“ Erschrocken starrte Alcira erst den Seemann, dann ihren Bruder flehend an. Der wiegte die Situation jedoch noch aus, auch wenn ihm das sehr missfiel. Schließlich obsiegte jedoch sein Stolz und seine Liebe zu seiner Schwester und sprach mit Bestimmtheit: „Auf keinen Fall werde ich meine kleine Schwester in die Hände solcher Männer lassen!“

 

Das Grinsen erstarb und wich einer wütenden Fratze. „Das war sehr dumm von dir!“ Der Seemann trat auf sie zu und zückte sein Messer, warf einen Blick auf das Mädchen und leckte sich genüsslich die Lippen.

 

Machaut stieß seine Schwester nach hinten und wich währenddessen den Klingenstößen aus, biss er gegen eine Kiste stieß. Panisch blickte er sich nach einer Waffe um, fand aber nichts in seiner Reichweite, was ihm als solchen dienen konnte. „Jetzt ist es aus.“, dachte der junge Mann.

 

Doch im selben Moment gab es ein lautes krachen, der Matrose ging in die Knie und lies dabei sein Messer fallen. Über ihm stand Alcira und hielt ihre Geige wie einen Schläger über den Mann. Dieser stand jedoch unbeeindruckt auf, stieß sie in die Kisten und brüllte. „Das machst du nicht noch einmal, du verdammtes Miststück!“

 

Kaum hatten sich die beiden versehen, hatte er auch schon sein Messer wieder in der Hand und Machaut in die andere Seite des Frachtraumes geschleudert, der daraufhin das Bewusstsein verlor.

 

 

 

Als der junge Mann wieder erwacht war senkte sich die Sonne schon wieder dem Horizont entgegen. Noch immer glitt das Schiff sanft über das Meer und Ruhe erfüllte das Deck.

 

Machaut rieb sich den schmerzenden Kopf und sah sich um. Niemand war da. Nichts zu sehen von dem Matrosen und auch nicht von seiner Schwester. Ihm schwante Böses.

 

 

 

Ein Blick durch die Luke verriet ihm, dass sie noch immer auf der hohen See, außer Sicht des Festlandes waren und somit keine Chance bestand ohne Boot zu entkommen.

 

Plötzlich hörte er Stimmen. Sie kamen vom Oberdeck und missfielen ihm sehr. Einen Spalt weit die Ladeluke geöffnet, gab den Blick auf eine Traube Seemänner frei, die Achtern um etwas herum standen. Aus der Menschenmasse heraus erklangen wundervolle, geradezu Sinnesraubende Klänge, die nicht von dieser Welt zu stammen schienen.

 

Es war Alcira, die auf ihrer Geige spielte und ihre Verehrer in ihren teuflischen Bann schlug.

 

Ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit bewusst, schlüpfte der Bruder heraus verbarg sich hinter einem der Masten, wo er eine Weile verharrte. Bis seine Schwester ihn bemerkte und ihn zu sich winkte.

 

„Was ist passiert?“, fragte er verwirrt. „Es ist alles in Ordnung.“, antwortete seine Schwester strahlend. „Wir dürfen hier bleiben. Ich konnte die netten Männer überzeugen.“

 

Noch immer verwirrt starrte er erst sie, dann die noch immer gebannten Seeleute an. Dann lächelte er erleichtert.

 

 

 

Es wurde Abend und die Besatzung und ihre Bordmusiker begaben sich in die Kombüse für das Abendbrot. Jeder freute sich, die beiden zu sehen, da sie ihre, sonst so trostlose Fahrt mit Heiterkeit und Frohsinn schmückten. Es wurde gelacht, gesoffen, gespielt und gefeiert bis in die späten Abendstunden. Erst der Steuermann unterbrach das treiben und mahnte die Männer zur Ordnung. Kurz darauf verschwanden die Diensthabenden auf Deck um ihrer Wache nachzugehen und der Rest in den Kojen. Auch die Geschwister folgten ihnen ohne große Umschweife und schon bald war das Schiff von Ruhe erfüllt.

 

 

 

Die Mannschaft erwachte sehr früh am nächsten Morgen, obwohl sie nur sehr wenig Schlaf gefunden hatten. Diejenigen, die an diesem Tage keinen Dienst hatten, waren gleich nach dem Frühstück zum Bug des Schiffen Marschiert und hatten sich dort erwartend niedergelassen.

 

Sie mussten nicht lange warten, da kam auch schon ihr Liebchen dazu, die sie begierig anstarrten.

 

Kaum hatte sie den Bogen über die Saiten gezogen, fielen die Männer auch schon wieder in ihren Bann. Lediglich ihr Bruder und der Steuermann schienen davon ungerührt zu sein und so musste jener die Männer ständig an ihre Arbeit erinnern, was ihn sehr schnell zum kochen brachte. Von der Reling aus betrachtete Machaut den Wettergegerbten Mann, während er den Klängen seiner Schwester lauschte. Seine Haut war von unzähligen Narben zerfurcht, sein Gesicht war leicht eingefallen und seine Augen waren stechend. Die Männer an Bord gaben ihn den Spitznamen, „Teufelskerl“.

 

Immer wieder sah er zu der Traube um das Mädchen herüber und schaute dabei immer grimmiger drein, bis sich sein Blick und der Guillaumes trafen und seine Miene einen verbitterten Ton annahm und versteinerte.

 

Mit einem unwohlen Gefühl im Bauch verschwand der junge Mann wieder unter Deck und widmete sich mit den Geigenklängen seinen Unterlagen.

 

Es Dämmerte bereits, als er seinen Blick davon wieder erhob und stutzte. Die Zeit war wie im Fluge vergangen. Müde rieb er sich die Augen und fiel auch schon in einen tiefen, unruhigen Schlaf.

 

 

 

Die „Sanctus Victoria“ glitt gemächlich über das schwarze Meer, die Passagiere in ihrem Rumpf fröhlich vor sich hin singend und saufend. Sie waren nun schon drei Tage unterwegs und wurden mit dem besten Wetter gesegnet, das man sich auf See wünschen konnte.

 

Am vierten Tag jedoch gerieten sie unversehens in einen heftigen Sturm, der wie aus dem Nichts erschienen war. Die aufgepeitschten Wellen warfen das stolze Schiff hin und her und rüttelten seine Besatzung gründlich durch.

 

Machaut und seine Begleiterin, die bis eben noch gemütlich in ihren Hängematten geschlummert hatten wurden nun unsanft aus ihnen herausgerissen. „Was zum Teufel?“ Eine weitere Welle hatte das Schiff erfasst und drückte es stark nach Steuerbord, woraufhin die beiden Musiker zu Boden gerissen wurden.

 

Der anfängliche Sturm entwickelte sich schnell in einen tobenden Orkan, der das Schiff mit Blitzen beschoss und es auseinender zu reißen drohte. Im nu hatte sich dir Sturmfront zu einer tiefen schwarzen Decke zusammengezogen und verdunkelte den Himmel, sodass der Tag pechschwarz war und man nicht mal die Hand vor Augen erkennen konnte. Lediglich die vereinzelt baumelnden Laternen, die verzweifelt im Seegang umherschaukelten leuchteten als kleine Sonnen im Nichts der Schwärze.

 

 

 

Die gigantischen Strudel aus Schwärze, die wie aus dem Nichts überall auf der Welt erschienen waren verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. Zumindest dem Anschein nach. Sie waren noch immer da. Nur in einer anderen Zeit. Genau so wie jene Unglückseeligen, die in ihnen gefangen sind.

 

Als sich also der Orkan legte, der Himmel wieder klar und die See wieder ruhig wurde, befand sich das britische Schiff, die „Sanctus Victoria“ etwa hundert Meilen südlich der Insel Cyrus, Im Jahre 1100. Das Unwetter hatte der Besatzung ordentlich zugesetzt, das Schiff ist glücklicherweise glimpflich davon gekommen. Lediglich die Segel waren etwas lädiert und die Schiffsladung war durch den Frachtraum geflogen.

 

Gemächlich glitt es wieder bei leichtem Wind der östlichen Küste entgegen, als wäre nichts passiert. Erst nach einigen Stunden erwachten die ersten Männer aus ihrer Bewusstlosigkeit.

 

Lange dauerte es bis sie ihre Orientierung wieder fanden und noch mal so lange bis ihnen klar war, was passiert war. Viele der Matrosen schienen zudem wie ausgewechselt, oder ganz geistesabwesend.

 

 

 

Der junge Machaut erhob langsam den schmerzenden Kopf, den er sich an der Tischkante angeschlagen hatte, während er versuchte sich in der Finsternis in Sicherheit zu bringen. Als er den Blick durch den Raum warf, erspähte er einige der Matrosen, die er vor dem Sturm gesehen hatte und auch seine Schwester, die noch ohnmächtig neben ihm lag. Ein grossteil der Seemänner war jedoch spurlos verschwunden. Und auch eine spätere Schiffsinspektion sollte ihren Aufenthaltsort nicht ans Licht bringen. Sie waren, ebenso wie der Steuermann wie von der wütenden See verschlungen.

 

 

 

Wenige Stunden später, als der Tag zu dämmern begann konnten sie die Küste des östlichen Reiches sehen. Als schließlich die Nacht einbrach warfen sie den Anker und der Kapitän, den die Musiker bisher noch nie gesehen hatten, schickte die Matrosen stumm auf die Koje.

 

Denn sobald die Sonne wieder ihr Licht auf die See warf, sollte der nächstgelegene Hafen angesteuert werden.

 

 

 

Die Helden Der Custos Gladii  ritten den Hügel hinab und kämpften sich durch enge Straßen, in denen teilweise noch hektisches Treiben herrschte, immer die Schiffsmasten im Blick behaltend.

 

Als sie den Hafen erreicht hatten, sattelten sie ab und begutachteten die Schiffe. Im ersten Moment war klar, dass, so gern sie das prächtige Kriegsschiff auch nehmen wollten, darauf verzichten mussten. Es erweckte nicht gerade den Eindruck, als würde es bei rauer See allzu lange zusammenhalten. Also steuerten sie auf das einzig verbleibende Schiff zu, welches allerdings auch schon bessere Tage gesehen zu haben schien.

 

 

 

Ohne groß von den Hafenarbeitern beachtet zu werden betraten sie mit den Pferden den Steg.

 

Sofort wurde ihnen klar, dass etwas nicht mit rechten Dingen zu tun haben konnte. Sie alle spürten den Einfluss von unheimlich böser Macht. Sie war zwar nicht greifbar spürbar, aber es hatte einen passiven Beigeschmack. Skeptisch, aber ohne Rückhalt schafften sie die Pferde und ihr Gepäck ans hinterste Ende des Frachtraumes und banden sie fest.

 

Auf dem Weg zurück zum Deck ließen sie die Blicke über die anderen Güter schweifen. Unter den üblichen Kisten, in denen Stoffe, Keramik und andere übliche Frachtgüter waren, waren auch wenige, die nicht ins Bild passten. Unbekannte Güter, die nicht in diese Zeit zu gehören schienen. Zwischen einer der Kisten entdeckten sie dann auch ein Pergament, dass sie zwar nicht lesen konnten, aber die Jahreszahl 1323 entziffern konnten.

 

 

 

Nur wenige Minuten, nachdem die Custos Gladii wieder auf Deck getreten waren, legte das Schiff auch schon ab. Die vollen Segel gestrafft vom Wind gelangten sie rasch aufs offene Meer und verloren zusehends die Küste aus den Augen.

 

Derweil hockten sich die Sonderbaren Passagiere in einer angelegenen Ecke hin und zogen einen Becher mit Würfeln hervor, wobei sie immer die beiden Vermummten argwöhnisch beäugten.

 

 

 

Einige Tage später, nach etlichen Seemeilen und einem halben Duzend geleerter Weinfässer kam endlich wieder Land in Sicht. Während nun Asen und Drachentöter noch immer an einer Partie Glückshaus saßen und Seraphine mit grünem Gesicht über der Reling hing lauschten die anderen Hüter aus der Ferne den sanften Klängen der Geigerin, die auch sie in den Bann geschlagen zu haben schien. Erst als es aus dem Krähennest „Land in Sicht.“ erschallte, fuhren sie alle auf. Es war die Küste Iraklios, eine Insel Griechenlands.

 

Da sich das Wetter plötzlich wiedererwartend geändert hatte, sah sich der Bootsmann gezwungen, die sichere Küste anzusteuern, was ihn merklich nicht schmeckte. Diese Stimmung schien sogar jeder auf dem Schiff zu teilen. Sowohl die Hüter, als auch die beiden Musikanten waren sehr darauf erpicht, dass europäische Festland zu erreichen.

 

So legte sich die Victoria in die Wellen und wandte sich der Küste zu. Als die ersten Menschen zu erkennen war, ging der Befehl raus, die Segel einzuholen und die Distanz zum Hafen durch Schwung und Wellengang zu verringern.

 

Das Schiff legte am Kai an, Taue wurden ausgeworfen und vertäut. Sobald das Boot gesichert war, wurde die Planke ausgelegt und die Seeleute gingen von Bord, steuerten das nächste Wirtshaus an und verschwanden dort.

 

 

 

Wie die Besatzung machten sich auch Hüter und das Geschwisterpaar auf den Weg um sich den Sturm abwartend die Beine zu vertreten und nach Möglichkeit die Vorräte aufzustocken.

 

Da das Wetter jedoch nicht das Beste war, hielt sich das Angebot auf dem, bei gutem Wetter wohl sehr belebten Marktplatz sehr in Grenzen. Also steuerten sie, wie auch die Seeleute vor ihnen, ein Wirtshaus an, um sich ordentlich einen hinter die Binde kippen zu können.

 

 

 

Das Wirtshaus war brechend voll. Lärmende, angetrunkene Seemänner, argwöhnische und genervte Anwohner und ein Lumpenpack drängten sich um Tische und Tresen in dem eng gewordenen Raum. Noch an der Tür und in die feuchtwarme, mit allen möglichen und unmöglichen Gerüchen erfüllten Raum starrend, überlegte sich der weibliche Anteil der Hüter noch, ob er nicht gleich wieder aus der Tür treten sollte. Da der Sturm jedoch an Tür und Fensterläden rüttelte und das Dorf nicht so aussah, als würde es gehobener Wirtshäuser besitzen, als dieses hier, blieben sie schließlich und begaben sich an den Tresen.

 

Kurz darauf suchten sie sich mit einem Fass Wein, Humpen und was zu Essen einen Platz, wo sie sich niederlassen konnten und stießen an.

 

Umso reicher nun der Alkohol floss, desto entspannter wurde die Stimmung und so kamen sie schnell ins Gespräch mit den Machauts. Sie erzählten von ihrer unfreiwilligen Kreuzfahrt und ihrer etwas heiklen Situation. Woraufhin am Ende des Tages einstimmig beschlossen wurde, zusammen weiter zu reisen.

 

 

 

Am späten Nachmittag des nächsten Tages hatte sich die Natur bereits wieder beruhigt, das Meer lag glatt wie ein Spiegel an die Küste geschmiegt, der Himmel strahlte in einem kräftigen Blau und die Sonne strahlte hell und warm.

 

Verkatert und missmutig stiegen die Seemänner wieder an Bord und sie legten ab. So hatten sie bis zum Anlegen an ihren Zielhafen in Venezia einige Tage später eine völlig ereignislose Fahrt, die sie sich mit Spielen und Saufen vertrieben.

 

 

 

In Venedig angekommen waren sie alle froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ganz besonders Seraphine, die, trotz der sehr ruhigen Fahrt, die ganze Zeit über sehr bleich war und sich immer in der Nähe der Reling aufgehalten hatte.

 

 

 

Ohne sich lange in der schönen, von Kanälen durchzogenen Stadt aufzuhalten, noch zu wissen, welches Jahr sie jetzt nun schrieben machten sie sich in die Wildnis auf. Unterwegs sammelten sie noch Proviant und andere nützliche Dinge die sie fanden, nahmen sich eine kleine, an Pferde gespannte Pritsche und ritten davon.

 

Die beiden Asenbrüder zog es ganz hoch in den Norden, wo ihre mächtigen Schwerter, in Stein gebannt und von Asentreuen gehütet wurden. Bis sie dort angekommen waren, würde Sol die Erde bereits zehnmal umrundet haben, doch das war ihnen egal. Denn bei dem Chaos, das derzeit in Zeit und Raum herrschte, brachte es ohnehin nichts, sich zu beeilen.

 

 

 

Etwa zwei Tage später, als sie kurz vor der Stadt Merano waren um dort die weiteren Schritte zu planen, gerieten sie in einen von Blitzen und Donnergrollen erfüllten Schneesturm, der so schnell über sie hereingebrochen war, dass sie sich nicht mehr in Sicherheit bringen konnten. So wurden die Schicksalsritter im Nu von den Naturgewalten niedergezwungen und in alle Windrichtungen und Zeiten verstreut.

 

 

 

Viele Jahrhunderte früher erwachten die Asenbrüder aus ihrem Kälteschlaf. Obwohl es ein heißer Sommertag war und der Wind fast still stand, waren sie von Schnee bedeckt und froren jämmerlich.

 

Der Zeitenstrudel hatte sie in das Jahr 985 befördert und weit in den Norden. Sie waren, was ihnen jedoch lange verborgen bleiben sollte, am Ufer des Rheins, nur wenige Stunden Fußmarsch von der Domstadt Köln entfernt.

 

 

 

Als Enma erwachte, nahm er den Geruch des Frühlings wahr und spürte etwas alt Vertrautes. Sobald er die Sonne den weit entfernten Gipfel des Fuji-san emporsteigen sah, wusste er auch warum. Er befand sich wenige Kilometer westlich der Stadt Naniwa-kyō, das in der Moderne Ōsaka genant wird. Als er sich dessen Gewahr wurde, kamen ihm alte, fast schon vergessene Gefühle und Erinnerungen hoch.

 

Damals, oder besser gesagt, genau zu dieser Zeit, als er als durch die asiatischen Landstriche zog, hatte es ihm diese Stadt besonders angetan. Viel mehr jedoch eine junge Menschenfrau, die damals durch sein Handeln gestorben war. Kurz entschlossen machte sich Enma auf, nach seiner Angehimmelten zu suchen.

 

 

 

Über ein halbes Jahrtausend später kamen die Geschwister Machaut und der Assasine Egon von Eben auf einem abgeernteten Kornfeld, irgendwo auf dem Westeuropäischen Kontinent zu sich. Weit und breit war nichts als ockerfarbene Ebene zu erblicken. Weder Berge noch Wälder waren irgendwo auszumachen. „Wo sind wir, Bruder?“ Verwirrt, da sie gerade noch zu zehnt auf einem gut befestigten, von Bäumen und Wiesen gesäumten Weg waren, konnte der nur mit den Schultern zucken. „Auch mir ist dieser Landstrich völlig unbekannt.“, warf Egon ungefragt ein. „Antwort werden wir nur erhalten, wenn wir uns auf den Weg machen und eine Siedlung finden.“

 

So ging das ungleiche Trio der Sonne entgegen, die hoch über ihnen vom Himmel brannte.

 

 

 

Hakuryu, Mænorõudt, Friedhelm und Merlin fanden sich in einem dunklen, von Pflanzensträngen, Lianen und Ästen vernetzten, feuchtwarmen Wald wieder, der vor lauter unbekannten Tieren nur so wimmelte.

 

Kaum einen Meter weit sehend tasteten sie ihre Umgebung vorsichtig ab, bevor sie sich erhoben, oder auch nur einen Mucks von sich gaben.

 

„Hat einer von euch eine Idee wo zum Teufel wir uns hier befinden, oder wie wir hier hergekommen sind?“, fragte Mænorõudt sichtlich verärgert. Hakuryu, deren Gesicht im Zwielicht schuppig aussah, schüttelte den Kopf. „Das letzte, was ich gesehen hab, war ein grelles Licht. An mehr kann ich mich nicht erinnern. „Sehr seltsam. Ich saß bis eben noch in meine Bücher vertieft in Alexandria, als ich einen lauten Knall vernahm und den Boden unter den Füßen verlor.“, gab Merlin grübelnd von sich und betrachtete den schnell schmelzenden Schnee auf den anderen drei Hütern, ohne eine weitere Frage in den Raum zu werfen.

 

„Passiert euch so was öfter?“, fragte Friedhelm und wischte sich den Schneematsch aus dem Gesicht. „Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.“, sprach Merlin und überging die Frage.

 

 

 

Weit oben im Götterreich, in goldenen Lichtschein getaucht fielen Loki, Seraphine und, zu aller Drei Überraschung, ihr Zwilling Alexiela aus dem Nichts in ein Wolkenberg.

 

Nacheinander schoben sich deren Köpfe aus dem flauschigen Weiß und schauten hinauf. Um sie herum erstreckte sich das weite Land Asgards. Jedoch nicht so, wie die Asenbrüder es verlassen hatten. Die Wiesen glühten grün, der Himmel war in ein leuchtendes Orange getaucht und die Burg reckte sich noch in die höchsten Wolken hinein. „Wo sind wir?“, fragten Seraphine und Alexiela wie aus einem Mund. „Daheim.“, antwortete Loki und grinste.

 

Erschrocken wand sich Seraphine um und starrte ihre Schwester einige Augenblicke ungläubig an. „Schwester!“, schrie sie dann plötzlich aus vollen Kräften, entstieg der Wolkenmasse und viel ihr in die Arme. Alexiela und Loki starrten sich und Seraphine paralysiert an, unmöglich ein weiteres Wort zu sagen, oder sich zu rühren, bis Seraphine ihre Umarmung löste.

 

 

 

Orientierungslos machten sich die Asenbrüder auf ihren Instinkt vertrauend auf den Weg, den Fluss aufwärts entlang, mit der Gewissheit, irgendwann auf eine Siedlung zu treffen.

 

Es vergingen etliche Stunden während die beiden Krieger den Fluss entlang schlenderten und weite, menschenleere Landstriche an ihnen vorbeizogen. „Ziemlich öde Gegend hier, findest du nicht auch, Bruder?“, fragte Vali gelangweilt während er einen Stein immer weiter vor sich her trat. Widar blickte ihn aus den Augenwinkeln an und sprach: „Ich bin ganz froh mal nicht mitten in einem Schlachtengetümmel aufzuwachen. Wer weiß was uns auf dem Weg noch erwartet.“ Vali holte aus und pfefferte den Stein weit hinaus auf den Fluss. „Irgend eine Ahnung wo wir gelandet sind?“ Sein Bruder schüttelte den Kopf. „Irgendwo, im Nirgendwo.“ Plötzlich blieb er stehen und hob die Hand um seinen Bruder als Geste, auch zu warten. „Aber ich glaube, wir werden es bald wissen.“, sprach er mit der Hand flussaufwärts deutend.

 

 

 

 

 

Saga of Eric Blóðöx

 

 

 

Anno 960 wurde er als erster und einziger Sohn in einem kleinen Dorf, nahe der Küste geboren. Die tanzenden roten Funken und der Klang von Hammerschlägen auf Metall waren seine täglichen Begleiter, denn er wuchs in der Schmiede seines Vaters auf. So steigerte sich sein Verlangen, je mehr Monde vergingen, ein eigenes Schwert zu besitzen.
Zur Wintersonnenwende Anno 973 kam der Tag an dem ihr Dorf von einer Horde Barbaren überfallen und gebranntschatzt wurde. Schwer verletzt, die Brust von einem Pfeil durchbohrt schleppte sich sein Vater mit letzter Kraft zu seiner Esse. Mit ächzen und knarren öffnete er den Deckel einer großen alten Holztruhe, die in einer dunklen Ecke ihrer Schmiede schon seit langer Zeit ruhte und von Eric bisher nie beachtet wurde. Nie zuvor hatte er ein solch vollkommenes und wunderbares Schwert gesehen das in ihr zum Vorschein kam. Sein Vater überreichte ihm dieses Schwert und sprach mit letzter Kraft zu ihm: „Mein Sohn, deine Mutter starb vor einem Jahr und nun ist meine Zeit gekommen. Soll dieses Schwert dir ein treuer Weggefährte sein. Ziehe hinaus in die Welt und finde dein Glück.“ Daraufhin legte sich ein Nebel über seine Augen und er sackte langsam dahinscheidend zu Boden.

 

So packte er dann sein Bündel und sein neues Schwert und machte sich auf, die Welt kennen zu lernen. Sein Weg führte ihn in nördliche Gefilde und er überstand so manches Abenteuer. In einer Waldlichtung nahe Hedeby lag ein Recke tot im hohen Gras, neben ihm, an einen Baum gebunden stand ein schwarzes Ross. Weit und breit war keine Menschenseele auszumachen. Kurzerhand beschloss er sein Schuhwerk zu schonen und schwang sich auf den Rücken der Pferdedame, um mit ihr sein Glück zu suchen. Schnell kam er voran und bald sollte er eine Siedlung erreichen, die den Namen Ribe trug. Hier lernte er eine Hand voll Männer kennen, die sich Eric Porvaldsson anschließen wollten.

 

„Eric Porvaldsson. Wer war dieser Mann?“ Er hatte noch nie von ihm gehört, doch die Skalden die ihm dann zu Ohren kamen hörten sich viel versprechend an. So tauschte er sein treues Pferd gegen eine Überfahrt auf einem der Langboote die nach Island fuhren ein.

 

Dort angekommen lernte er ihn schließlich kennen, den Lehrmeister der ihm zeigte, wie er ein Schwert führen musste um im Kampf zu bestehen und zu siegen. Eric Porvaldsson, der aufgrund seines roten Haupt- und Barthaares und, nicht zuletzt, weil "Blut an seinen Händen klebte" der Rote genannt wurde. Sie erlebten viele Abenteuer miteinander und wurden enge Vertraute. So war er nun vom Sohn eines sächsischen Schmiedes zu einem Wikinger geworden. Eines Tages sollte er mit einem ihrer Langschiffe aufbrechen um in den Dörfern der Küste Handel zu treiben, doch ein starker Sturm brachte sie weit ab von ihrem angestammten  Kurs. Viele Tage und Nächte vergingen doch kein Land war in Sicht. Etliche der Seemänner an Bord waren schon zu Hel gefahren, da alles aufgezehrt war und Hunger und Durst über die Mannschaft hergefallen war.

 

Irgendwann überkam es dann auch den jungen Krieger und es wurde dunkel um ihn herum.

 

Als er seine Augen wieder öffnete, lag er in einem Langhaus. Oben auf einem der Holzbalken erblickte er eine Eule. „Wo war ich hier? Walhalla hatte ich mir anders vorgestellt.“ Doch er war nicht tot, vielmehr war er scheinbar der einzige Überlebende,  und nahe dem Heim des Eulenvolk- Jarls gestrandet. Welcher ihn am Strand gefunden und somit sein Leben gerettet hatte. Aus Dankbarkeit, aber auch, da er nun weder Familie hatte, noch wusste, wo er nun war, oder wo er hin sollte, beschloss er bei ihm und seiner Sippe zu bleiben und ihm Treu ergeben als Huskarl zu dienen.

 

Hier beginnt nun die Saga unter dem grün weißen Banner der Eulen.

 

Unzählige Monde war er mit den anderen Kriegern unter dem Banner der Eulen durch die Welt gezogen, hat Handel getrieben, Kämpfe und Saufgelage überstanden, gelacht und gefeiert. Bis zum jenem, verhängnisvollen  Tage wo ihr Jarl nach einer Schlacht schwer erkrankte. Ein rostiger Speer hatte ihn in der Seite getroffen und sein Kettenhemd gesprengt. Die Wunde war weder tief, noch hatte sie schwere Schäden angerichtet, doch verunreinigte sie das Blut und die Wunde entzündete sich schnell. Da sie weder einen Heiler noch eine Kräuterfrau im Heim hatten, konnten sie nicht mehr tun als sie mit Wasser auszuspülen und zu verbinden. Es half jedoch alles nichts. Am Ende des Tages hatte unser Jarl hohes Fieber, lag stark schwitzend in seinem Bett und stöhnte immer wieder vor Schmerzen.

 

Sie versuchten noch ihn wieder zu genesen, konnten ihn jedoch nicht mal sein Leiden lindern, bis er schließlich in Ohnmacht fiel, wo er blieb, bis sich die Valkyren seiner annahmen und ihn nach Wallhall führten. Am selben Abend betteten sie ihn auf sein Boot und bestatteten ihn wie für einen Jarl üblich war.

 

Nur sollte die Trauerfeier nicht von Dauer sein, denn die Barbaren, gegen die sie erst vor ein paar Tagen gekämpft hatten waren zurück und erwischten sie völlig unvorbereitet. Das halbe Dorf metzelten sie ohne Gegenwehr nieder, Frauen und Kinder auf der Flucht und die Alten. Nur wenige schafften es noch sich zu rüsten und zu den Waffen zu greifen, bevor die Angreifer das Dorf in Brand gesteckt hatten. Als Eric erkannte, dass nichts mehr zu retten war, die überlebenden Frauen und die Schätze geraubt und die letzten Männer die die Flucht ergriffen, nahm auch er mit dem wenigen was ihm blieb den Weg in den Schutz der Wälder.

 

 

 

Viele Tage des Wanderns später erreichte er mit knurrendem Magen und trockener Kehle das Ufer eines Flusses, an dem er sich sogleich niederließ. In großen, hastigen Zügen flößte er sich das Kühle Wasser in den Rachen und atmete erleichtert tief durch. Als sich sein Blick nun wieder klärte und er ins Wasser starrte, erblickte er die Fische und spürte seinen Hunger nun in voller Härte. Zwar hatte er im Wald ein paar Beeren und Pilze gesammelt und gegessen, aber nach was sein Magen verlangte, was etwas lebendigeres, Fleisch!

 

Schnell, aus einem Ast geschnitzten Speer hatte er sich am Ufer auf die Lauer gelegt und wartete auf den richtigen Augenblick zuzustoßen.

 

Dann, ein Satz, ein hastiger Stoß und der Fisch hin zappelnd in der Luft, am Speer aufgespießt. Im Freudentaumel und voller Vorfreude pflückte er seine Beute von der Spitze, ließ sie fallen und machte sich daran, den rohen Fisch zu verzehren.

 

Eine gefühlte Ewigkeit später, nachdem Eric noch ein paar weitere Fische gefangen und gegessen hatte, bemerkte er plötzlich, das sich ihm zwei Männer dazugesellt hatten und ihn wohl schon eine Weile bewertend anschauten.

 

 

 

Die Kirschbäume standen in voller Blüte, die Sonne stand hoch am Himmel und die Straßen waren überfüllt mit farbenfrohen Menschen. Die Vorbereitungen für das Kirschblütenfest waren in vollem Gange, doch das Spektakel interessierte Enma herzlich wenig. Ihn zog es weiter hinein in die Slums der Stadt, in die engeren Gassen.

 

Er wusste genau, wo er hin musste, welche Straßen und Schlupfwinkel er nehmen musste um am schnellsten zu seinem Ziel zu kommen. Es war etliche Jahre her, seitdem er das letzte Mal hier war, doch er konnte sich erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.

 

Schließlich erreichte er eine zweistöckige, breite Hütte, mit einer großen Terrasse und mehreren kleinen Balkonen. Die ganze Zeit von allen Menschen ungesehen und unbemerkt trat er auf das Gebäude zu und erklomm einen der Balkone, dessen Tür offen stand und aus dessen Öffnung leise Stimmen drangen.

 

Von dem Balkon aus sah er einen Mann und mehrere Frauen, von denen er eine sofort erkannte. Ihr Vorname war Madoka, ihren Familiennamen war jedoch niemand bekannt, da sie ein Findelkind war und von einem kinderlosen Paar als Neugeborenes in einem nahen Wald gefunden wurde und von ihnen großgezogen wurde.

 

Da ihre Zieheltern allerdings vor etwa fünf Jahren von plündernden Kriegern überfallen und umgebracht wurden, musste sich die nun sechsundzwanzigjährige Frau eine niedere Arbeit suchen und verdingte sich seither als Geisha. Da sie immerzu in ihrem Schneeweißen Kimono aufgetreten ist, hat man ihr sehr schnell den Beinamen: Geisha no tenshi gegeben.

 

Sie war sehr begabt und talentiert in dem, was sie tat und verdrehte so der Männerwelt und sogar dem Herrn der Unterwelt schnell den Kopf und war selbst von vielen Ehemännern sehr begehrt, zum Leidwesen ihrer Ehefrauen.

 

So war es nicht verwunderlich, dass sie bei denen nicht sonderlich beliebt war. Zudem tuschelten sie hinter vorgehaltener Hand über sie, Nannten sie ein Miststück, oder sogar Dämon. Tatsächlich war es so, dass einigen Männern, mit denen sie partiell unfreiwillig zu tun hatte, teilweise äußerst unschöne und mysteriöse Dinge widerfahren waren.

 

Madoka lies den Anschein erwecken, von alledem nichts mitzubekommen, tat dies aber sehr wohl, machte sich aber nichts weiter daraus, um mit Herz und Seele bei ihrer Arbeit zu sein.

 

 

 

Inzwischen waren die Frauen, andere Geishas aus dem Zimmer getreten um sich für ihre Vorstellung fertig zu machen. Ihnen auf dem Fuße folgend trat der Mann, der wohl der Leiter dieses Etablissements war, aus dem Zimmer, nicht aber, ohne ihr noch einen begehrenden Blick zuzuwerfen. Es waren kaum ein paar Sekunden vergangen, nachdem sich die Tür schloss, als sie auch schon wieder auf glitt. Herein trat ein beleibter, mit Schmuck behängter, Mann mittleren Alters. Kaum war er eingetreten, schob er die Tür wieder hinter sich zu und lächelte die Frau vor sich freudig an. Sie allerdings schien nicht sonderlich erfreut, verzog jedoch keine Miene und sagte leise: „Willkommen.“ Und verbeugte sich.

 

 

 

Auf Enmas Stirn zuckte eine Ader und er ballte die Fäuste, während er grimmig starrend langsam auf dem Mann zuschritt, der leise Worte zuraunte und seine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte.

 

 

 

Nach vielen Stunden des tristen Fußmarsches, durch die erbarmungslose Hitze der Sonne angetrieben hatten die Spielleute und der Assasine einen kleinen Wald erreicht. Erschöpft und müde ließen sich die Drei in den Schatten der Bäume sinken und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Die Kühle, die der Schatten bot war den Dreien wie ein Segen und sie beschlossen, ein wenig länger zu verweilen. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie schon nach kurzer Zeit alle an einen Baum gelehnt, einschliefen. Sie fielen in einen so tiefen Schlaf, dass sie nicht einmal bemerkten, dass sich ihnen nach einiger Zeit, nachdem sich die Sonne bereits gesenkt und die Umgebung in ein sattes Blutrot getaucht hatte, eine Gruppe ungewöhnlicher Gestalten näherte und sie tief in den Wald verschleppten

 

 

 

Von geschmolzenem Schnee und der feuchtwarmen Luft nass geschwitzten Kleidern bahnten sich die vier Hüter einen Weg durch das Dickicht, vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzend, da der Boden mit Stolperfallen übersäht war.

 

Um sie herum raschelte es, Pflanzen die Umgebung bewegte sich und irgendwo in der Ferne quakte ein unbekannter Vogel. „Verdammt unheimlich, wenn man nichts sieht.“, meinte Friedhelm und stieg über eine, weit aus dem Boden kommende Wurzel.

 

„Ob wir jemals wieder hier herauskommen?“, überlegte Hakuryu. „Wenn nur einer von uns fliegen könnte.“, beklagte sich Friedhelm und die anderen beiden Hüter sahen instinktiv ihren flugbehinderten Drachen an. Die wiederum lies unmerklich die Schultern ein wenig hängen.

 

Hoch über ihnen begann es plötzlich und ohne Vorwarnung an zu Knallen an. Durch die engen Baumwipfel, die irgendwo weit, weit über ihnen in den Himmel stachen, war nichts zu sehen. Es schien lediglich ab und zu ein bisschen heller durchs Blätterdach. Wenige Augenblicke später wurden die vier Abenteurer erneut durchnässt, diesmal direkt von oben. In dicken, warmen Tropfen ergoss sich der Himmel auf sie nieder.

 

„Na herrlich. Vom Regen in die Traufe!“, schnaubte der Magyar und schob sich eine schleimige Liane aus dem Gesicht. „Sieh es positiv. So können wir wenigstens ein bisschen mehr sehen.“, gab der Drache zurück. „Hast du nichts, mit dem du uns das ganze ein bisschen erträglicher machen kannst, Zauberer?“, fragte er Merlin. Der zuckte seinerseits mit den Schultern. „Ich wüsste nicht wie. Zudem scheine ich hier keinerlei Macht zu haben. Irgendwas ist seltsam an diesem Ort.“ Dann, ein Poltern, ein Knacken, daraufhin ein Aufschrei und ein dumpfer Schlag. „Verdammte Inzucht. Mir stinkt dieser scheiß Ort! Ich sehe nicht mal meine eigenen Füße, meine Kleider kleben mir am Körper wie eine zweite haut und ich habe kein Bier. Kann es denn noch schlimmer werden?“

 

Wie auf diese Frage antwortend erhellte sich schlagartig die Umgebung und blendete alle Vier, gefolgt von einer Explosion. Von der Wucht nach hinten geworfen lagen die Hüter im Schlamm und hielten sich noch die Hände vor die Gesichter, als sie plötzlich etwas Spitzes und Schneidendes an ihren Körpern spürten.

 

 

 

In einiger Entfernung reckte sich das Reich der Asen, die gewaltige Burg Asgard stolz in die Höhe und vor ihr, in prächtigen Farben leuchtend, die Regenbogenbrücke Bifröst. Lokis Augen verengten sich zu schlitzen, als er den Krieger erblickte, der wachsam den Eingang des Asenreiches behütete. Auch Heimdall beäugte seinen Widersacher mit unerfreuten Blicken und legte sogleich die rechte Hand an sein Schwert. Mit der anderen betastete er unbewusst sein Gjallarhorn, das an seiner Schulter hing. „Du hier? Wer hat dich denn aus deiner Grube befreit?“, schnauzte er Loki an und festigte den Griff um seine Waffe. „Du solltest es doch am besten wissen. Als könnten mich ein paar simple Ketten auf Dauer irgendwo festhalten.“, gab er seinerseits spöttisch zurück. Seraphine und Alexiela, die sich das alles teilnahmslos mit anschauten und wenige Meter hinter Loki standen, traten nun weiter vor, sodass Heimdall ihrer gewahr wurde. „Und wer seid ihr?“, fragte Heimdall argwöhnisch, aber ohne jede Härte in der Stimme. „Wir sind…“, fing Seraphine an, aber ihre Schwester unterbrach sie: „Gesandte. Wir sind von unserem Herrn mit einer Nachricht für euren Allvater hergeschickt worden. Der Brückenwächter hob eine Braue, machte einen Schritt zur Seite, behielt sie alle drei jedoch weiter scharf im Auge und behielt den festen Griff um sein Schwert bei.

 

 

 

Der junge Wikinger erhob sich langsam und betaste sein Schwertgehänge. Ungerührt standen die beiden Unbekannten weiter bewegungslos da und starrten ihn an.

 

Der festen Überzeugung seiend, dass diese beiden ihm nichts Gutes wollten, machte ein zwei Schritte zurück und zog sein Schwert aus der Scheide, woraufhin ein belustigtes Schnauben von den Beiden ausging. Unbeeindruckt, mit versteinerten Mienen traten sie näher, die Arme völlig entspannt am Körper runter baumelnd und die Augen auf Eric fixiert. „Sieht ein bisschen schwächlich und dürr aus, findest du nicht auch, Bruder?“, fragte einer der bulligen Männer, nachdem sie anderthalb Armlängen vor Eric stehen geblieben waren.

 

Nach einigem Wettstarren und ausharren sprach der stämmigere der beiden Krieger: „Kannst du uns sagen, wo wir uns hier befinden?“ Etwas überrascht, das dieser Mann auf einmal redete und zudem er noch seine Sprache sprach, wusste er erst nichts zu antworten.

 

Diese Frage hatte er sich, nachdem er Schiffbruch erlitten hatte, auch gefragt, später aber einfach wieder vergessen, da es ihm bei den Eulen so gut ergangen war. Bei dem Gedanken an die Eulen machte sich sofort Trauer und Wut in seinem Geiste breit und hastig versuchte er diese Störenden Gefühle abzuschütteln. „Nun?“, fragte einer der Krieger. „Ich weiß es nicht.“, fand Eric seine Stimme wieder. „Ich weiß nur, dass wir uns einige Tage Fußmarsch von der Küste befinden.“ Der Rote verschränkte die Arme vor der Brust und schaute in der Ferne umher. „Kannst du uns wenigstens sagen, wo das nächste Dorf ist?“

 

„Ich kenne mich in dieser Gegend nicht so gut aus. Den Fluss einige Tage aufwärts ist…war ein Dorf, in dem ich für kurze Zeit gelebt hatte.“, sagte Eric und brach bei den Gedanken an all die Toten ab. Seine Gegenüber hoben fragend die Brauen und starrten ihn wissbegierig an. Kurz darauf erzählte er ihnen, was geschehen war.

 

„Na dann…“, begann er wieder, nachdem Eric geendet hatte und sie sich gemeinsam auf den Weg Richtung Küste machten. „Werden die Krieger, die euch überfallen haben irgendwo in der Nähe auch ihr Dorf haben. Dort werden wir sicherlich was finden, das wir gebrauchen können.“, fuhr er fort und nickte seinem Bruder viel sagend zu, dem ein Grinsen im Gesicht stand, das voller Vorfreude war. Zuerst steuerten die drei jedoch das Dorf des Eulenvolkes an. Ohne eine Fährte war es eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen, wenn sie auf gut Glück das dem Barbarendorf suchen würden. Zudem war es gut möglich, dass die Barbaren nicht alles geplündert hatten, oder dass sie noch den einen oder anderen Überlebenden des Dorfes aufgabeln würden.

 

 

 

Der Fürst der Unterwelt war allgemein hin als recht gelassener und gleichgültiger Zeitgenosse bekannt, aber in dieser, für einen Gott untypischen Situation war nichts dergleichen davon zu erkennen. Lediglich seiner Beherrschung war es zu verdanken, dass er für die Sterblichen nicht sichtbar wurde, jedoch war er äußerst fühlbar und diese Macht bekam der ungebetene Gast jetzt voll zu spüren. „Puh, es wird ziemlich frisch hier drinnen. Ich mache mal den Balkon zu.“, sagte der Bonze und schritt fröstelnd auf die Schiebetür und den unsichtbaren Enma zu.

 

 

 

Im Zwielicht, vom Fackelschein und dem Rattern eines Holzkarrens geweckt wachten die drei Gefangenen in einem engen Käfig auf. Benommen und orientierungslos rieben sie sich die Augen und blickten umher. Sie konnten kaum einen Steinwurf weit sehen, links und rechts von ihnen standen die Bäume dicht an dicht und ließen nur einen schmalen Pfad für sie über, auf dem der Gefangenentransport entlang rollte. Um sie herum, vor und hinter dem Wagen aufgereiht begleiteten sie eine Gruppe seltsam wirkender Gestalten. Allesamt vermummt und in dunkelrote Umhänge gehüllt schritten sie gleichmäßig und unverständliches Zeug murmelnd nebeneinander her. Ohne miteinander zu reden, die Gefangenen zu beachten oder sonst etwas Menschliches von sich geben führten sie so den Zug immer tiefer in den Wald hinein, der von Mal zu Mal immer seltsamere Formen anzunehmen schien. Einmal glaubte Alcira sogar, einen Baum sich winden sehen.

 

Als sie einen der Wachen ansprach, die jedoch keinerlei Regung zeigte, wurde sie wütend und warf einen ihrer Schuhe nach ihm und am Kopf traf. Statt aufzuschreien, sich den Kopf zu halten oder aus dem Gleichgewicht zu kommen schritt dieser jedoch ungerührt weiter, als wäre nichts gewesen. Lediglich die Kapuze war für einen Moment verrutscht, sodass die drei einen flüchtigen Blick in dessen Gesicht werfen konnten. Erkennen konnten sie jedoch nicht viel. Sie hatten nur für einen Atemzug das Gefühl, dass er sie mit rot glühenden Augen feindselig anfunkelte, woraufhin sie entsetzt zurückwichen. „Was ist nur mit denen los?“, fragte der Bruder geschockt. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es sich hier um Menschen handelt.“, sagte der Assasine dazu. „Auch bin ich mir sicher, dass sie uns nicht zu einer Feier einladen wollen. Wir müssen zusehen, dass wir hier irgendwie rauskommen. Andernfalls glaube ich nicht, dass wir diese Nacht überleben werden.“ Zusammengekauert blickte Alcira ihren Bruder und den Assasinen hilfesuchend an. „Aber wie sollen wir das anstellen? Sie haben uns alles abgenommen. Die Waffen, Ausrüstung, Verpflegung…Ja sogar unsere Instrumente.“

 

All ihr Besitztum hatte man achtlos in einen Sack geworfen, den man an den Rücken eines der Ochsen gebunden hatte, die den Karren zogen. „Das wird alles andere als einfach. Selbst wenn wir unsere Waffen hätten, wären wir deren Überzahl nicht gewachsen. Über kurz oder lang würden sie uns überwältigen und uns dann sicher nicht noch einmal dazu kommen lassen.“, gab Egon zu bedenken. „Wir müssen einfach auf einen günstigen Zeitpunkt warten und dann fliehen. Auf Hilfe brauchen wir hier wohl nicht zu hoffen.“ Zustimmend nickte der Assasine dem Franzosen zu, hielt dann aber sogleich den Finger an den Mund um zu bedeuten, dass sie schweigen sollten, da sich einer der Kapuzenmänner auf Hörweite näherte.

 

 

 

Als sich der Schock, das Fiepen in den Ohren und die Blindheit gelegt hatten, sahen sie sich von einer Schar, an die Flora farblich angepasster, halbnackter Männer, mit Speeren, Streitkolben und Pfeil und Bogen bewaffnet umstellt.

 

„Ich fürchte, wir sind hier nicht willkommen.“, sagte der Magyar trocken und schob mit den Fingern eine Speerspitze vorsichtig ein bisschen von seinem Gesicht weg. Erneut erschallte hoch oben ein Knallen und Toben, als würden die Wolken höchst selbst eine Schlacht austragen. Friedhelm richtete sich soweit es möglich war auf  und schaute verwirrt lächelnd in die Runde. „Eh… wir kommen in …Frieden?“ Einer der Eingeborenen stocherte mit seinem Speer in dessen Richtung und gab etwas in seiner Sprache von sich, was keiner von ihnen verstand, was die Männer nicht unbedingt zu erfreuen schien. Er wiederholte es mit Nachdruck in der Stimme und piekte nun den Drachentöter in die Seite. „EY!“, entfuhr es ihm, stieß die Spitze zur Seite und war im Begriff sich zu erheben.

 

Erst erschrocken, dann erregt kamen sie näher und richteten ihre Waffen auf die Gesichter und machten klar deutlich, dass sie nicht zögern würden, sie zu töten.

 

„Ich verstehe zwar kaum ein Wort, aber ich glaube, sie haben uns unmissverständlich klargemacht, dass wir aufstehen sollen.“, sprach Merlin in nüchternem Ton. „Bist du sicher? Ist es nicht eher so, dass sie uns dann eher töten?“; fragte Friedhelm besorgt, der sich die Seite hielt. Erneut, diesmal aber aus einem anderen Mund, erhoben ihre Wächter das Wort. Dieses Mal jedoch in einer anderen Sprache. Jedenfalls konnte der Zauberer diesmal einen Teil verstehen. Zumindest soweit, dass er sich bestätigt sah. „Wir sollten uns erheben und den Herren ganz unauffällig zu ihrem Dorf folgen.“, gab er dann an seine Begleiter weiter.

 

Langsam standen sie auf, die Hände leicht erhoben und gingen anschließend, von einer Schar bemalter Krieger eingekreist weiter durch den dichten Tropenwald.

 

 

 

Als sich die Sonne langsam zur Ruhe begab und der Mond sich darauf vorbereitete, ihren Platz einzunehmen, erreichten sie den Rand eines kleinen Wäldchens. Zu ihrem Glück, denn just in diesem Moment brach die Wolkendecke auf und es begann zu regnen, nur wenige Augenblicke nachdem sie sich unter die schützenden Arme einer großen Eiche gestellt hatten begann es zu dem Regenguss auch noch zu Gewittern. Blitze schossen vom Himmel herab, ein tiefes Grollen fuhr durch die Luft und der Regen hatte binnen weniger Sekunden alles durchweicht. „Scheiße verdammt!“, entfuhr es Vali und strich sich eine Strähne, die ihm im Gesicht klebte weg. Die Wassermassen mit jedem Moment mehr und schon bald konnte selbst die stolze Eiche nicht mehr die Wassermassen aufhalten und so durchnässte es die drei bald bis auf die Haut. Kurz entschlossen rannten sie Tiefer in den Wald hinein, wo zu ihrem Glück eine kleine Höhle fanden. Es war vielmehr eine Delle, in der Wand eines Plateaus, aber es reichte aus, dass sie sich darunter hinlegen konnten, ohne weiter nass zu werden.

 

Über die Zeit zogen immer mehr schwarze Wolken auf, das Gewitter nahm apokalyptische Ausmaße an und der Wind fegte einem Axthieb gleich durch die Luft. Er war so beißend, dass er wie Messer durch die Felle schnitt und selbst den Asen die Gänsehaut auf die Körper trieb. So blieb ihnen nichts weiter übrig, als sich eng zusammenzukauern und den Sturm auszuschlafen.

 

 

 

Die Spannung war inzwischen greifbar und auf dem Fußboden hatte sich seichter Nebel gebildet. Enma war noch im letzten Moment zur Seite getreten, bevor der Mann ihn berührt hätte, was unweigerlich zum Tode geführt hätte. Er merkte, dass es ihm sehr schwer fiel, sich zu beherrschen und das was er da tat gegen all seine Prinzipien verstieß, aber es war ihm egal. Er wusste nur, dass er ihn töten würde, sollte er ihr noch einmal zu nahe treten. So, wie er es schon öfter getan hatte. Mit einem leisen Klack glitt die Balkontür zu und der Mann kehrte zu Madoka zurück. „Ich muss mich jetzt für die Vorstellung fertig machen. Ich bitte sie höflichst zu gehen.“, sprach sie mit gesenktem Blick, damit er nicht sah, wie angeekelt sie von dem Gedanken war, noch eine weitere Minute mit dem Kerl in einem Raum zu sein.

 

„Natürlich. Ich will ja nicht, dass du zu spät kommst.“, sagte er und grinste. Daraufhin ging er aus der Tür und machte sich auf den Weg zu den anderen Gästen.

 

Erleichtert holte Madoka tief Luft und auch Enma atmete auf.

 

Er sah ihr noch einen Augenblick zu, dann schritt er ebenfalls hinab und gesellte sich zu den anderen, völlig in die Vergangenheit versunken.

 

Endlich, nach langem Warten kam die hübsche junge Frau die Stufen herab. Sie war kaum mehr wieder zu erkennen. In ihren weißen Kimono gewickelt, die Haare hochgesteckt und geschminkt wirkte sie beinahe wie eine Puppe. Die Gäste waren hin und weg, genauso wie der Herr der Toten und dann begann das Schauspiel.

 

Als es nach einer gefühlten Ewigkeit geendet hatte war es für einige Sekunden totenstill, man hätte eine Feder du Boden fallen hören können, dann brach das Publikum in Jubel und Beifall aus, unter dem die  „Geisha no tenshi“ die Bühne wieder verlies. Hastig und ohne die Männer zu beachten, die auf sie warteten ging sie zurück auf ihr Zimmer, sie fühlte sich schwindelig und kraftlos, mit dem Gefühl beheftet, dem Tod ganz nahe zu sein.

 

Oben angekommen und die Tür verschlossen zog sie hastig den Kimono aus um sich Luft zu verschaffen. Mit dem Unterkimono ging sie anschließend zum Balkon, öffnete ihn und trat hinaus. Sie sah den Männern nach, die jetzt das Etablissement verließen und sich in alle Winde zerstreuten. „Du warst großartig!“, hörte sie die schmierige Stimme und erkannte ihn sofort, ohne sich umdrehen zu müssen. Als hätte sie nichts gehört starrte sie weiter in die Freiheit und summte leise eine Melodie aus ihrer Kindheit vor sich hin.

 

„Na komm schon….“, sprach er weiter und kam auf sie zu und grinste freudig. „Lasst mich bitte alleine. Ich fühle mich nicht wohl.“, sagte sie wahrheitsgemäß und drehte sich um.

 

Sein Lächeln verblasste, machte einer gespielten Sorge platzt und kam weiter langsam auf sie zu. „Ich wüsste da vielleicht was, was dir helfen würde, dich besser zu fühlen.“, sprach er Unheil verheißend. „Ich möchte mich einfach nur hinlegen und etwas ausruhen. Bitte geht wieder.“, widersprach Madoka und drehte sich wieder um, was ihn nicht zu stören schien. Er kam ganz nah an sie heran und legte ihr die Hand auf die Schulter, wobei er den Daumen unter ihren Kimono einhakte. Plötzlich fegte ein eiskalter Wind durch den Raum und die Tür zum Zimmer glitt auf. Erschrocken wandte sich der Schwerenöter um, schaute dann verdutzt, da er niemanden sah. Auch auf dem Flur war niemand. Siegessicher verriegelte er dann die Tür und marschierte mit großen Schritten wieder zu Madoka, die sich nicht weiter gerührt hatte. Kaum hatte er wieder die hand an ihrer Schulter und begann sie freizulegen, da spürte sie wieder diese Ohnmacht und jenes unheilvolle Gefühl, dass sie jedes Mal hatte, wenn sie es mit seinesgleichen zutun hatte, die danach auf seltsame Weise zu Tode gekommen waren. Auch ihr Peiniger fühlte sich nun unbehaglich. Er fror schlagartig und ihm lief der Schweiß über die Stirn. „Na komm schon, Liebes. Mach die Tür zu und leg dich endlich hin.“, befahl er nun mit harschem Ton. Madoka drehte sich um, wollte was erwidern, doch da riss er sie schon herum und zerrte an ihrem Unterkleid. Sie fiel mit einem Aufschrei zu Boden, nicht in der Lage sich zu wehren. Der Schmerz und das Gefühl auf der Schwelle des Todes zu laufen blockierten ihr die Möglichkeit auch nur einen Muskel zu rühren und sie sah sich schon geschändet. Doch just in diesem Moment, wo sie es schon bildlich vor sich sah, ging ihr Peiniger plötzlich in die Knie und keuchte. Der Schweiß rann ihm nun in Sturzbächen hinab und zitterte wie Espenlaub. „Was ist nur los?“, krächzte er und schaute mit verschwommenem Blick auf. Blitzartig riss er dann die Augen auf, schrie laut und fiel nach hinten, woraufhin er rückwärts zum Balkon kroch. Madoka schaute verwirrt drein, konnte sich aber immer noch nicht bewegen oder um Hilfe rufen, lediglich dasitzen und zusehen.

 

Erst nach etwa einer Minute sah sie auf einmal einen Schatten neben sich erscheinen, der sich langsam und gemächlich auf dem Mann zu bewegte. Sie sah ihn, wer immer es war nur aus dem Augenwinkel, konnte aber durch ihren verschwommenen Blick nichts, außer die Silhouette erkennen. Der Rest ging sehr schnell und es kam ihr sehr unwirklich vor, bevor sie in Ohnmacht fiel. Das letzte was sie sah und hörte war, dass, wer immer es auch war, den Mann packte, hochriss, ihm etwas unverständliches zuflüsterte, woraufhin er mit angstverzerrtem Gesicht zu wimmern begann, bis er vom Balkon in die Tiefe stürzte, und starb, noch bevor er unten aufschlug.

 

Als Madoka die Augen wieder aufschlug, Fand sie sich in ihrem Futon wieder. Sie hatte einen nassen Lappen auf der Stirn und war, so weit sie das sehen konnte allein.

 

Sie richtete sich auf und sah durch ihr Fenster nach Draußen. Es war später Abend und das Kirschblütenfest hatte begonnen. Wieder mit klarem Kopf und erstarkten Gliedern stand sie auf. Sie hatte schrecklichen Durst und griff nach ihrer Teetasse, die jedoch leer war. Kurz entschlossen zog sie sich ihren weißen Ausgehkimono an und stieg die Treppe hinab. Unten angekommen hörte sie dann die Stimmen ihrer Freundinnen. Sie wollte gerade eintreten, da hörte sie was sie sagten. Sie nahm nur Gesprächsfetzen auf, einzelne Worte, doch die reichten, dass sie zurückwich und auf die Hintertür zuging. „Hexe“ und „Dämon“ waren nur ein paar der harmloseren Begriffe die gefallen waren. Sie schnappte sich ihre Sandalen und ging hinaus, ohne zu wissen, wo sie überhaupt hin wollte. Sie bog um die Ecke und fand sich plötzlich unter ihrem Balkon wieder, wo noch gut zu erkennen war, wo der Mann aufgeprallt war. Ein Stich, ein Schlag spürte sie im Kopf und schaute hinauf, als sie merkte, dass man sie beobachte. Im ersten Augenblick war sie ganz sicher einen Schatten auf dem Balkon gesehen zuhaben. Nach einem Liedschlag war da jedoch nichts mehr. „Ich bin wohl noch etwas benommen.“, beruhigte sie sich selbst und beschloss sich das Feuerwerk vom Hügel hinter dem Marktplatz aus anzuschauen. Trotz der Feierlichkeiten, der Freude und des Sake gab es nur ein Thema. Unbehaglich drückte sie sich in den Schatten an den Menschen vorbei und zu der kleinen Brücke am Fluss, an der sie als Kind immer gespielt hatte. Sie schaute hinunter, sah die Kirschblüten auf der leuchtenden Wasseroberfläche im Strom davon treiben und wünschte sich in diesem Moment, sich genau wie diese wunderschönen Blüten einfach sorglos treiben zu lassen. Eine Stimme riss sie wieder aus ihrer Traumwelt und sie sah eine Gruppe Frauen auf sie zukommen. Hastig drehte sie sich weg und stellte sich in den Schatten eines Baumes. Ohne sie zu bemerken zogen sie an ihr vorbei und tratschten munter weiter.

 

Madoka machte sich weiter auf den Weg zu ihrem Hügel als sie sich grade alleine und ungestört fühlte, da fuhr sie erneut hoch. „Warte, Madoka!“, hörte sie eine Stimme ihren Namen rufen. Sie wand sich um und sah einen jungen attraktiven Mann auf sich zukommen. Sie kannte ihn. Er war ein Stammkunde und war reich und begehrt und war wie fast jeder in sie vernarrt. Auch die anderen Frauen mussten ihn gehört haben, denn sie blieben stehen und blickten zurück. Kaum war er bis auf wenige Meter an sie herangetreten, da durchfuhr sie erneut das Gefühl des Unbehagens und sie musste sich an der Brüstung abstützen um nicht einzuknicken. Kurz darauf ging auch der Schönling keuchend in die Knie und röchelte. „Wer bist du?“, wobei er in die Leere zu starren schien. Entsetzt blickte Madoka auf, als sie eine leise Stimme hörte, die aus dem Nichts zu kommen schien. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren zu sehen, bis ihr der Schmerz, einem Blitz gleich durch den Kopf fuhr und sie einbrach. Erneut der Ohnmacht fast anheim gefallen schaute sie auf und sah nun, wer da sprach. Sie sah abermals eine schwarze Silhouette, konnte diesmal jedoch auch ein paar Details wahrnehmen. Der Schwarze kniete sich nun neben sein Opfer nieder und raunte ihm ein paar Worte zu, woraufhin der junge Mann entsetzt die Augen aufriss und zusammenbrach.

 

Unfähig ein Wort oder gar einen Schrei hervorzubringen, geschweige denn aufzustehen und wegzulaufen, hockte sie nur da und starrte ihn, wer oder was er auch immer war angsterfüllt an. Plötzlich durchzog ein Schrei die Nacht und beendete die Feierlichkeiten abgrubt. Ebenso schnell verschwand auch der Schwarze Mann und lies den zusammengebrochenen jungen Mann und die, der Ohnmacht nahen Geisha zurück.

 

Wie von einem Bann befreit hatte Madoka auf einmal ihre Kraft wieder gefunden und stürzte ohne sich noch einmal umzublicken davon. Nach kurzer Zeit erreichte sie den Hügel am Waldrand. Dort setzte sie sich unter einen alten Ginkobaum, unter dem, wie ihre Zieheltern ihr erzählen, sie sie gefunden hatten.

 

Unterdessen kümmerte man sich um den bewusstlosen Mann, während eine schwarze Gestalt daneben auf der Brücke stand und Richtung Wald starrte.

 

Madoka vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie war aufgelöst, den Tränen nahe und wusste nicht mehr weiter. „Warum passiert mir das nur immer wieder? Was habe ich denn getan, dass ich so viel Unglück verbreite?“, schluchzte sie in ihre Hände hinein.

 

Wie um ihre Fragen zu beantworten näherte sich die Gruppe Frauen wieder, mit einem ganz klaren Ziel. Sie waren dieses Miststücks leid. Seitdem sie als Geisha anfing, hatte sie immerzu ihre Ehemänner um den Verstand gebracht und sie verführt. Sie waren geradezu besessen. Sie waren sich sicher, sie war eine Hexe, oder ein Jokai, der mit den Herzen der Männer spielte, ihnen die Seelen stahl und sie schließlich damit umbrachte. Egal was sie war, sie musste sterben und zwar noch heute Nacht. Die Witwen und unglücklichen Ehefrauen kamen geschlossen auf sie zu und kreisten dein Hügel ein, auf dem die gebrochene Geisha hockte.

 

Madoka musste nicht erst fragen, um zu erkennen, dass sie ihr nichts Gutes wollten und sie sie nicht lebend würden gehen lassen. Kurzerhand packte sie ihre Sandalen und versuchte zu flüchten. Sie hatte keine Ahnung wohin. In die Stadt zurück war ausgeschlossen. Osaka, wo sie, seit sie denken konnte lebte, war für sie nun zu einer Sperrzone geworden. Ihr würde wieder ein harter Neuanfang bevorstehen. Doch sie wusste, dass sie stark genug war um auch das zu schaffen. Sofern sie denn lebend aus Osaka fliehen konnte.

 

Sie rannte, flog fast zum Fluss, steuerte die Brücke an und war schon erleichtert, als sie ihre Verfolgerinnen weit hinter sich sah.

 

Doch plötzlich prallte sie mit jemandem zusammen. Ein halbes Duzend weiterer wütender Frauen mit Küchenmessern bewaffnet hatten die Brücke überquert, sie auf halbem Weg abgefangen und hielten sie nun fest. „Haben wir dich endlich, du Schlampe!“, keifte die ältere Frau die sie fest am Arm gepackt hatte. „Du hast zum letzten Mal unsere Männer geraubt. Madoka versuchte sich loszureißen, trat um sich und kratze, doch es half alles nichts. Kurz darauf waren die anderen Frauen angekommen und sie wusste, dass es zu ende war, ohne Fluchtmöglichkeit. Mit Tränen in den Augen blickte sie noch einmal in den Fluss, sah das Lichtspiel einer Rakete darin und spürte dann einen heißen, stechenden Schmerz. „Warum? Warum ich?“, ging ihr die schmerzliche Frage immer und immer wieder durch den Kopf. Darauf folgten etliche weitere, bis sie nach kurzer Zeit keinen Schmerz mehr fühlte. Nur die Schwere ihres Kimonos und den kühlen Wind der ihr seicht ums Gesicht blies.

 

Das nächste, das sie spürte war, dass sie den Boden unter den Füßen verlor und rücklings in den Fluss stürzte. Das einzige was sie jetzt noch sah, waren die Sterne und das Lichtspiel des Feuerwerks, das unvermindert weiterging. Aus der Ferne, wie durch eine dicke Wand hörte sie dann die höhnischen Stimmen ihrer Mörderinnen, die zweifelsohne noch neben ihr waren und ihr beim Sterben zusehen wollten. „Pah, seht sie euch an, dieses Miststück.“ „Das hat sie nun davon.“ „Sieht sie nicht aus, wie ein blutgetränkter Engel?“ „Kein Wunder, dass unsere Männer alle auf diesen Dämon hereingefallen sind!“ „Chimidoro no tenshi“ Das war das Letzte, was noch in ihrem Kopf widerhallte, als sie nur noch Rauschen vernahm und ihr Blick verblasste, während sie in ihrem blutgetränkten und mit Kirschblüten verklebten Kimono zur Brücke hinunter trieb, auf der eine einsame schwarze Gestalt stand, die sie mit funkelnden Augen anstarrte. Dann wurde es Schwarz um sie und ihr ganzer Körper wurde Taub. „Dich werde ich nicht hinabziehen!“, hörte sie eine dumpfe Männerstimme in ihrem Kopf aufschallen. Danach wurde ihr Körper ganz leicht und sie fühlte sich in die Luft gehoben, bevor sie in die Schwärze des Nichts hinab fiel.

 

 

 

Als die drei feucht und frierend erwachten hatte sich das Unwetter gelegt, die Sonne war aufgegangen und es war warm. Noch klamm machten sie sich auf den Weg, gingen aus dem Wald und traten an den Fluss. Dort setzten sie sich nieder, löschten ihren Durst, erfrischten sich und wuschen sich den Dreck aus dem Gesicht. Als sie plötzlich Stimmen vernahmen. Irgendwo den Fluss hinauf, vielleicht hinter einem der Hügel schien sich eine Gruppe Männer lautstark über etwas zu amüsieren. Hastig rannten sie zurück zu den Bäumen und schlichen sich im Schatten der Bäume näher an die Stimmen ran. Den Stimmen nach zu urteilen handelte es sich mindestens um zwei duzend Männer, was sie vermuten lies, dass es sich entweder um Plünderer oder ein Kundschaftertrupp handelte. Auf jeden Fall war Vorsicht geboten.

 

Langsam schlichen die drei Krieger voran, bis sie von einer erhöhten Position auf die Männer hinabschauen konnten und ihrem Gespräch lauschen. Schnell erkannten sie jedoch, dass es sich nicht nur um einen kleinen Trupp handelte. Es war lediglich ein Wachposten. Weiter Nördlich auf einem breiten flachen Hügel rastete ein großes Heer, an die dreihundert Mann stark und bis unter die Zähne bewaffnet.

 

„Endlich mal wieder eine Herausforderung.“, schnaubte Vali, nachdem sie sich zurückgezogen hatten. „Wir werden sie nicht angreifen, dafür sind wir weder ausreichend gerüstet, noch haben wir zeit für so was.“, widersprach sein Bruder und bedeutete ihnen, weiter nach Osten zu ziehen.

 

Nach einem halben Tagesmarsch ereichten sie schließlich ein kleines Dorf an der Küste, mit vielen Fischerbooten und Drachenschiffen. „Ich denke, hier sind wir richtig“, sagte Widar selbstzufrieden und schaute seine Begleiter an. Eric hingegen stutzte und sah sich um. „Das kann doch nicht sein, das ist unmöglich.“ Verwundert sahen ihm die beiden Asen nach, als der junge Krieger sichtlich verwirrt durch das Dorf lief.

 

Am Abend, als der Jarl mit ein paar Männern vom Jagen zurückkehrte, erkannten sie dann auch warum. Sie waren im Dorf des Eulenvolkes. Jener Stamm in dem Eric gelebt und was schließlich von den Barbaren überfallen worden war. Jene Barbaren, die sie erst vor kurzem belauscht hatten.

 

Beim Essen berichteten die beiden Gäste, die Eric mitgebracht hatte, was sie beobachtet und gehört hatten, worauf sich des Jarls Miene immer weiter verfinsterte.

 

„Das sind schlechte Neuigkeiten Freunde, aber wir werden sie in die Flucht schlagen und anschließend ihr Dorf vernichten. Sie haben es schon so oft versucht und wir haben sie jedes Mal mit blutigen Nasen abziehen lassen.

 

Vali blickte sich skeptisch im Dorf um. „Ich vage zu bezweifeln, dass ihr der Streitmacht gewachsen seit. Ich schätze, sie sind euch drei zu eins überlegen. Sie werden Eure Männer in die Zange nehmen oder hinter euren Rücken das Dorf angreifen.“

 

Der Jarl wirkte jetzt etwas verärgert. „Ihr mögt ein Freund des Jungen sein, aber warum sollte ich euch glauben? Wir haben es bisher immer mit Leichtigkeit geschafft und ich vertraue voll und ganz auf das Wort meiner Späher.“ Da schritt Widar ein, da die Situation zu eskalieren schien. „Warum sollten wir euch beschwindeln? Wir würden keine Vorteile daraus ziehen, immerhin geht uns dieser Konflikt nichts an. Wir sind nur auf der Suche nach einem Boot. Wenn ihr uns eins überlasst, werden wir euch im Kampfe mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ Des Jarls Gesicht entspannte sich, wirkte aber immer noch skeptisch. „Nun, was schlagt ihr denn vor?“ Widar nahm einen großen Schluck Met aus seinem Humpen und knallte ihn auf den Tisch. „Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Verbarrikadieren wir uns, werden sie uns mit Haus und Hof verbrennen und wenn wir auf offenem Feld kämpfen kesseln sie uns ein.“

 

„Das ist nicht das, was ich hören wollte“, sprach der Jarl zornig, nachdem Widar nun wieder nachdenklich schwieg. „Ist Euch einer eurer Nachbarn noch was schuldig? In dem Fall wäre es uns ein leichtes den Feind aufzureiben.“, gab Vali sein Wort dazu.

 

Als der Mond über der See hell leuchtete ritt ein Bote in Windeseile die Küste entlang um die Nachbarn um Verstärkung zu bitten. Derweil klügelten die Asen einen Schlachtplan aus, stellten mit den Jägern um das ganze Dorf Fallen auf und befestigten die Wälle.

 

Nach vielen schweißtreibenden Stunden, Blasen und Erschöpfung hatten sie es dann geschafft aus dem Dorf eine schwer einzunehmende Festungsanlage zu machen.

 

„Prächtig!“, sprach Vali erschöpft aber mit Stolzgeschwellter Brust und betrachtete ihr Werk. „Ihr habt wirklich ganze Arbeit geleistet, wie können wir euch dafür nur entgelten?“, fragte der Jarl beeindruckt. Widar schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagte mit einem müden Lächeln: „Abwarten. Noch haben wir die Schlacht vor uns. Wenn wir den Feind vernichtet haben können wir uns gerne beglückwünschen.“

 

Derweil versammelten sich die Krieger auf dem Hauptplatz, um zu hören, was die Fremden noch für Überraschungen parat hatten.

 

Der Platz war gerammelt voll und die beiden Brüder hatten es schwierig, sich bei der Masse Gehör zu verschaffen, denn die Männer waren erschöpft und längst nicht mehr nüchtern.

 

Als Widar nun gerade sein Wort erhob, um zu der Masse zu sprechen, ertönte das Rufhorn des Wachpostens an der Küstenverteidigung. Nach kurzen Augenblicken der Verwirrung und der Panik erkannte man, dass die Verstärkung aus der Nachbarschaft eingetroffen war, die man mit offenen Armen und einem gefüllten Humpen Met begrüßte.

 

 

 

Nach schier unendlich langer und schmerzhaft unbequemer Fahrt erreichte die Gruppe mit ihren Gefangenen endlich ihr Ziel. Sie waren auf einer kreisrunden Lichtung angekommen. In dieser waren aus jeweils drei riesigen Felsquadern eine Art Tor errichtet und kreisförmig um ein steinernes Podest aufgestellt worden. Auf diesem stand ein alter Mann mit langem grauen Bart und tiefen Furchen im Gesicht, was ihn ebenfalls steinern erscheinen lies.

 

Zu seinen Füßen, in den weichen Erdboden eingeritzt prangte ein großes, mit roter Flüssigkeit gefülltes Pentagramm.

 

Wie gebannt starrten die drei Geschundenen zu dem Greis hinauf, während man sie aus ihrem Käfig holte und voneinander trennte. Jeweils von zwei Kapuzenträgern flankiert standen sie unter einem der Steintore und bekamen Fußfesseln angelegt. Derweil musterte der alte Mann die Gefesselten und blickte immer wieder gen Himmel, dann sprach er mit heißerer Stimme, was die drei jedoch nicht verstanden.

 

Daraufhin Bewegte sich in einem der anderen Tore was. Erst jetzt hatten sie die beiden Gestalten bemerkt, die ebenfalls im Steinkreis standen. Es waren zwei, in Plattenpanzer gehüllte Ritter, mit pechschwarzen Waffenröcken und einer Barbuta mit einem schwarzen Haarschopf auf. Die beiden Ritter traten, vermutlich auf dessen Geheiß an den Greis heran. Leise murmelnd und ab und an auf die Gefangenen deutend standen sie vor dem Podest und verdeckten so den Blick auf den Druiden.

 

„Was haben die nur vor?“, fragte Alcira vor Kälte zitternd. Der Assassine zog vorsichtig an seinen Ketten, während er die Wachen im Auge behielt. „Für mich sieht es ganz nach dunkler Magie aus, aber was auch immer es auch ist, es wird uns sicher nicht gefallen.“

 

„Wie sind wir nur in diese Verfluchte Situation geraten?“, fragte Machaut mit Angst und Wut erfüllt etwas zu laut. Kaum hatte er den Mund geschlossen, hatte er auch schon einen Schwertknauf im Magen, worauf er ächzend in die Knie ging. „Verfluchter Bastard!“, stöhnte er und spuckte seinem Peiniger vor die Füße. Dieser wollte erneut ausholen, doch ein lautes Bellen lies ihn zusammenfahren. Einer der gepanzerten Männer war an sie herangetreten und beugte sich etwas zu dem Gefangenen hinab, der ihn mit Wutfunkelnden Augen anstarrte.

 

Machaut hob den Kopf und versuchte angestrengt, das Gesicht hinter dem Helm zu erkennen, doch alles was er in dem „T“ sah, war Schwärze.

 

Der Ritter erhob sich mit einem höhnischen Schnauben und wand sich leise redend wieder seinem Gefährten zu. „Die Jungs sind mir irgendwie unheimlich.“, sprach Machaut erschaudert, aber so leise, dass nur Egon es hören konnte.

 

Im nächsten Augenblick erhob der Eremit seine Arme und regte einen kleinen goldenen Gegenstand in die Höhe. Wie, als hätte man einen Schalter umgelegt verfinsterte sich der Himmel und Blitze zuckten von oben hernieder. Die Kugel, die sich im Inneren des Goldkästchens befand begann sofort an zu leuchten und es nahm von Sekunde zu Sekunde an Intensität zu. Als es den Punkt erreichte, an dem der bloße Anblick wie Messerstiche in den Augen schmerzten, explodierte die Energie in einer Welle aus Licht und Druck, löschte alle Fackeln, brachte die Bäume zum ächzen und hinterließ schließlich nur noch Dunkelheit

 

 und Stille.

 

„Arg!“, entfuhr es Machaut, nachdem er aus seiner Ohnmacht erwacht war und den Drang verspürte, sich die Augen zu reiben, in denen weiße Flecken auf der schwarzen Nacht schwammen. „Sie sind weg.“, sprach seine Schwester verwundert und blickte sich um.

 

„Was? Wie lange bin ich weggetreten?“ Der Assassine wand sich in seinen Fesseln und versuchte an seinen Dietrich zu kommen. „Nicht lange. Es können höchstens zwei Minuten vergangen sein.“ „Unmöglich. Sie können doch nicht einfach so spurlos verschwunden sein.“ Machaut war entrüstet. Er fühlte sich persönlich beleidigt. „Es ist aber so.“, entgegnete der Assassine. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Alcira. „Von hier verschwinden und das am besten, bevor diese Spinner wieder auftauchen.“, sagte Egon der sich verbog, um an sein Werkzeug zu gelangen. Machaut riss an seinen Ketten und brüllte vor Wut. „Diese verfluchten Bastarde. Die können uns doch nicht hier einfach so angekettet zurücklassen!“

 

Wie auf seinen Ruf reagierend, raschelte es am anderen Ende des Steinkreises im Dickicht und eine kleine, gebeugte Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit ins fahle Mondlicht.

 

 

 

Die Sonne stand leuchtend am Himmel, huschte von Wolke zu Wolke und lies die Landschaft in mattem Lichte dahinsiechen. Die Luft war dick, feucht und blies unangenehm schneidend im Gesicht.

 

Die Krieger des Eulenvolkes und ihre Mitstreiter hatten schon günstigere Verhältnisse zum Kämpfen gehabt, doch waren es bei weitem nicht die Schlechtestes und sie waren gut gerüstet  und für den Streit bereit. Verkatert, aber grimmig und voller Vorfreude auf die bevorstehende Schlacht. Der Aufmerksame konnte auch schon den Gegner in der Ferne Klappern, Klirren und Rufen hören.

 

„Männer, Krieger, Brüder, die Zeit ist da. Zeigen wir diesen dreckigen Hundesöhnen wie wahre Krieger kämpfen und befördern wir sie direkt in die kalten Hände der Hel!“, rief Vali und stach mit seinem Schwert in die Luft.

 

Wenige Momente später waren alle gerüstet und starrten mit grimmigen Mienen auf den Wald, aus dem die Klänge ihrer Feinde drangen.

 

Als dann der erste Helm im seichten Licht glänzte, ertönten die Kriegshörner und das Gebrüll hob an, das erst abgeebbt war, nachdem sich die feindliche Streitmacht vor der Waldlinie aufgereiht hatte.

 

Ein kurzes Schweigen, wütendes Starren beider Seiten, dann erhob einer der alten Krieger der  Eulen das Wort.“ Dort treffe ich dann meinen Vater...dort treffe ich meine Mutter, meine Schwestern und meine Brüder“ Die anderen Krieger vielen in den Sprechgesang mit ein, bis das gesamte ein einziger Chor war. „Dort treffe ich dann, all jene Menschen meiner Ahnenreihe, von Beginn an.“ Der Chor wurde lauter und auch Vali und Widar stimmten mit ein. „Sie rufen bereits nach mir. Sie bitten mich meinen Platz zwischen ihnen einzunehmen. Hinter den Toren von Walhalla, wo die tapferen Männer, für alle Ewigkeit…leben!“.

 

Kaum war das letzte Wort ausgesprochen erschallte ein markerschütternder Kampfesschrei und die Massen aus Leder, Stahl und Muskeln schoben sich wie zwei unaufhaltsame Flutwellen aufeinander zu.

 

 

 

Als die Himmelsscheibe sich wieder dem Erdboden näherte und das blutgetränkte Schlachtfeld in rotes Dämmerlicht tauchte war die Schlacht bereits zu ende, die Verwundeten waren ins Dorf gebracht und die überlebenden Feinde niedergestreckt. Lediglich einen Mann lies man ziehen, auf das er die Kunde der Niederlage an sein Dorf tragen konnte und die Überlegenheit des Eulenvolkes bewies.

 

Während nun Vali und Widar auf die Felder aus Toten starrten und die Plünderer dabei beobachteten, wie sie den Gefallenen Rüstung und Waffen abnahmen, kam der Jarl der Eulen auf sie zu. „Ich danke euch vielmals, dass ihr uns geholfen habt. Ohne euch hätten wir das nicht  so gut überstanden.“, sprach er und reichte den Asen jeweils einen großen Humpen Dünnbier. Sie nahmen dankend an und tranken einen mächtigen Schluck. „Wie vereinbart überlasse ich euch eins unserer Boote. Aber sagt, wollt ihr nicht noch die eine Nacht bleiben, mit uns feiern, saufen und euch mit einer der Frauen vergnügen?“

 

Die beiden Helden blickten zum Dorf herüber, schauten auf die Verwundeten, und die trauernden Witwen und sahen dann dem Jarl wieder in die Augen. „Es ist zwar ein verlockendes Angebot und so sehr wir den Met und die Frauen lieben, müssen wir dem Leider entsagen.“, sprach Widar ernüchternd. „Aber wir haben noch eine Aufgabe zu erfüllen, die keinen weiteren Aufschub duldet.“

 

Enttäuscht aber verständnisvoll geleitete er seine beiden Gäste zum Ufer, wo die Schiffe lagen, von denen eins bereits mit Proviant belanden wurde.

 

„Ihr seid in unserem Dorf  jederzeit herzlich willkommen.“, verabschiedete er die Asen nachdem sie an Bord gestiegen waren und ihren Mitstreitern einen letzten Gruß sandten. Dann verschwanden sie langsam im dämmrigen Nebel des Abends und ruderten ihrem Schicksal entgegen.

 

 

 

Nach einem ernüchternd kurzen Fußmarsch erreichten die Hüter, getrieben von ihren Gastgebern das Ende des Dschungels und sahen sich auf einer großen, von Fackeln und hochgestapelten Scheiterhaufen erleuchteten Ebene wieder auf denen man seltsame Steingebilde errichtet hatte. Das auffälligste von ihnen, welches wie ein kleines Haus aussah, das man auf einen Berg gesetzt hatte, den man aus Langeweile in eine Riesige Treppe verwandelt hatte. Ihnen war zwar nicht klar, wofür die Bauten gut waren, aber sie erkannten, dass diese Gesellschaft trotz ihres Äußeren alles andere als arm war. Denn fast auf jedem der Gebäude war Gold zu sehen. Edle Verzierungen und Götzen die im Feuerschein leuchteten und tanzten.

 

„Wir sitzen mächtig in der Klemme.“, sprach Mænorõudt ernüchternd und beäugte die auf ihn gerichteten Speere, nachdem er sich umgesehen hatte und mit Schrecken die Körper auf den Flammen verbrennen sah. All diese Männer hatte man gefesselt und bei lebendigem Leibe verbrannt, während sich das Eisen in der Hitze fest um sie legte. Im nächsten Augenblick sahen sie einen prunkvoll geschmückten und mit einem langen bunten Überwurf gekleideten Mann auf sich zukommen, der von zwei in Gold gerüsteten Wachen flankiert war. „Ich mag meine Haut so weiß und weich, wie sie jetzt ist, danke.“, sprach Friedhelm, der sich von seiner Wache Richtung Feuer gedrängt fühlte.
„Keine Sorge, euch wird nichts geschehen. Noch nicht.“, ertönte plötzlich eine Stimme mit seltsamen Akzent. Gesprochen hatte ein halbnackter Mann, der jedoch nicht wie die anderen Bewohner eher primitiv gekleidet war, sondern seine Lenden mit gewebtem Stoff verhüllte. Es war ganz offensichtlich ihr Dolmetscher, der vorher den Soldaten als Übersetzer gedient hatte, ihn aber jetzt nicht mehr brauchten.

 

„Das freut uns zu hören.“, antwortete Merlin, aber mit hörbarer Skepsis. „Darf ich fragen, mit wem wir die Ehre haben?“; fragte Mænorõudt höflich an den Herrscher gerichtet. Dieser machte eine Geste mit den Armen und sprach in seiner unverständlichen Sprache, während der Mann hastig alles übersetzte. „Nun, mein Name ist Gonzalo Guerrero und dieser werte Mann ist der Herrscher dieses prächtigen Landstriches, Yucatán.

 

„Und bevor wir weitere Höflichkeiten austauschen, kann ich nur für euch hoffen, dass ihr nicht wegen des Goldes hier seid…so wie die Herren da hinten.“, sprach er und deutete auf die Feuer. Die Hüter blickten auf die Unglücklichen, schauten dann zum Herrscher und sahen schließlich wieder auf ihren Übersetzer. „Wir können euch versichern, dass wir nicht wegen des schnöden Metals hier sind. Der Mann übersetzte, worauf sich sofort das Gesicht des mächtigen Mannes aufhellte.

 

„Unser Herrscher heißt euch willkommen in seinem Reich.“ Nach einer kleinen Musterung und einer Weile der Überlegung sprach er weiter. „Ihr seht stark und gewandt aus und erweckt den Anschein, als wäret ihr gut im Streite. Wollt ihr uns nicht im Kampf gegen die raubenden Spanier unterstützen?“

 

 

 

Die Spannung, die in der Luft lag, klang auch in den steinernen Hallen Asgards nicht ab. Im Gegenteil. Die anderen Asen und Einherjer, die sich in den Hallen aufhielten starrten Loki mit skeptischen und hasserfüllten Blicken nach. Durch die schier endlosen Gänge hindurch schienen die Blicke ihnen zu folgen und zu durchbohren, nur darauf wartend, einen Grund zu bekommen, über die drei herzufallen.

 

Doch erreichten die Drei die großen Tore zu Odins Halle ohne Vorkommnisse und die Flügel öffneten sich ihnen knarrend. Am Ende der Halle, hoch auf seinem Thron Hlidskialf saß Odin und schaute nachdenklich drein, während zwei wild aussende Männer mit langen, verzottelten Haaren und struppigen Bärten auf ihn einredeteten. Ohne von den drei Männern beachtet zu werden, Traten Loki und die gefallenen Engel in die Halle Valaskjalf ein.

 

Als die Gäste die Mitte der Halle erreicht hatten und sie sich in der silbernen Decke spiegelten, sah der Asenvater auf und seine Krieger folgten seinem Blick.

 

Erst jetzt erkannten Loki und Seraphine die beiden bulligen Männer. Es waren Vali und Widar, die mit ihrem Vater gesprochen hatten.

 

Sie beide schauten überrascht auf ihre Gefährten. „Wie kommt ihr hier her?“; fragte Vali. „War sie nicht tot?“, fragte Widar verwundert auf Alexiela deutend.

 

Odin stand auf und schritt zu seinen Gästen hinunter. „Nun, was für eine Botschaft bringt ihr mir von euren Herrn?“, fragte er und lächelte.

 

„Es ist eine Katastrophe!“, fing Seraphine an. „Unser Herr ist verrückt geworden. Er hat seine ganzen getreuen Engel abschlachten lassen und seine Erzengel verwüsten die Menschenwelt!“

 

Vali, Widar und Seraphine starrten Alexiela ungläubig an. „Was?“, entfuhr es den dreien wie aus einem Mund. „Ich dachte das Böse hat ihn…wird ihn und sein Reich vernichten?!“

 

Das ist auch so. Er ist nicht mehr er selbst. Seit jenem verhängnisvollen Tag, als die Menschen seinen Sohn Jesus umgebracht hatten.“

 

„Verstehe. Er ist doch menschlicher als er zugeben und uns allen Glauben machen wollte.“, sagte Odin nachdenklich und ohne eine Spur der Überraschung.

 

 

 

 

 

„Wer ist da? Helfen Sie uns!“, rief Alcira der Gestalt entgegen. Bei ihren Worten schien der Neuankömmling jedoch in Rage zu geraten und lies ein unmenschliches Knurren und Jaulen von sich hören und humpelte hastig auf die drei zu, während dich hinter ihm weitere Körper aus der Finsternis auftauchten. Als Alcira nun die groteske Fratze des Dings sah, fing sie an wie am Spies zu schreien. Denn was da auf sie zukam, war kein Mensch. Zumindest jetzt nicht mehr. Ihre Haut war grünlich, rissig und an etlichen Stellen aufgeplatzt, wo sich die Maden herauswanden. „Verflucht, was sind das für Dinger?“

 

Egon hatte es endlich geschafft an seine Tasche zukommen und befreite sich. „Lebende Tote, nichts wie weg hier!“, mit wenigen Handgriffen hatte er auch die Geschwister befreit und packte sie bei den Händen. „Los! Bevor sie uns einkreisen können.“ Immer mehr Untote kamen zum Vorschein und quälten sich auf die drei Gefangenen zu.

 

Im Eiltempo hasteten die Umzingelten auf eine kleine Plattform zu, auf der die Vermummten ihre Ausrüstung achtlos liegengelassen hatten. Mit einer schnellen Bewegung warf der Assasine sich den Sack elegant über die Schulter und hechtete an einer Monstrosität vorbei, die es auf ihn abgesehen hatte. Voller Furcht und ohne einen Blick auf die Überzahl zurückzuwerfen führten sie ihre Füße auf einen schmalen, von Fackeln spärlich ausgeleuchteten Pfad, der sie zurück in den trügerischen Schutz der Bäume führte.

 

Eine gefühlte Ewigkeit lang folgten sie den Lichtern, bis die Wegmarkierungen abrupt endeten und sie auf einen kahlen Platz zwischen den Bäumen zurückließen. Erst jetzt wagten sie einen Blick zurück und erkannten erleichtert, dass sie dem unheiligen Toten entkommen waren. Zumindest vorerst.

 

Obwohl sich keinerlei Schatten regten und außer dem Rauschen des Windes kein weiterer Laut zu vernehmen war, war den Dreien bewusst, dass sie noch lange nicht außer Gefahr waren. Während die Geschwister nun tief Luft holten um wieder zu Atem zu kommen, entleerte ihr vermummter Begleiter derweil den Sack und verstaute seine Waffen wieder dorthin, wo sie hingehörten. Als er schließlich den letzen Lederriemen zusammengezogen hatte und das letzte Wurfmesser in seiner Halterung steckte, warf er auch Machaut sein Schwert zu und reichte dessen Schwester ihr Bündel.

 

„Wo sollen wir nun hin?“, fragte Machaut, der gerade seinen Schwertgurt anlegte.

 

„Wir sitzen in der Falle, oder?“, fragte seine Schwester voller Panik und drehte sich unablässig im Kreis. Auch der Assasine blickte sich missmutig um und starrte gen Himmel.

 

„Der einzige Weg hier raus ist der Weg zurück. Wir müssen uns also durch die Bäume und das Gestrüpp durchschlagen, oder uns durch die Horden von Untoten kämpfen.“

 

Noch ehe die Eingeschlossenen weitere Möglichkeiten in Erwägung ziehen konnten, brandeten ihnen das grauenerregende Grollen und die gequälten Schreie ihrer Verfolger entgegen. „Sie kommen.“, sagte Machaut mit staubtrockener Kehle und zog sein Schwert.

 

Die ersten lang gezogenen Schatten krochen schwankend auf sie zu und tanzten miteinander auf dem lehmigen Boden.

 

Voller Kampfbereitschaft, angetrieben von Furcht und Verzweiflung schritten die Beiden Männer dem Tod entgegen, während Alcira noch immer wie erstarrt dastand und ihr Bündel in Händen hielt und auf das Grauen blickte. Doch dann, als der Erste Leichnam im Fackelschein zu erkennen war, erwachte sie aus ihrer Trance, öffnete ihren Beutel und zog ihre Geige heraus und setze den Bogen an. Eine Warme Stimme in ihrem Inneren trieb sie an und führte ihren Arm, der den Bogen führte. Sie stimmte eine Melodie an, die Machaut bekannt vorkam, schon mal gehört hatte, aber nicht sagen konnte, wann. Er hatte das Gefühl, sich in den Klängen zu verlieren, doch im nächsten Augenblick war er wieder klar und fühlte sich stärker als jemals zuvor. Auch der Assassine wirkte entschlossener und seine Muskeln spannten sich.

 

Dann entbrannte der Kampf, wenn man es denn so nennen konnte. Es war viel mehr eine Abschlachtung, auch wenn die unterlegenen immer wieder aufstanden, bis ihnen der Kopf abgeschlagen wurde, oder der Gliedmaßen beraubt sich über den Boden wanden.

 

Als die ersten Körper bereits reglos am Boden lagen und den beiden Kämpfern bereits die Anstrengung ins Gesicht geschrieben stand, hörten sie auf einmal aus der Ferne ein rollendes Donnern, das sich nach einigen Sekunden als Pferdehufe herausstellten.

 

Von jenseits der Bäume näherte sich eine Prozession Reiter, die wohl von Alciras betörendem Geigenspiel angezogen wurden.

 

Von der Hoffnung beseelt, Beistand und Rettung zu erfahren  kämpften die Hüter verbissen weiter, durchschlugen Knochen und trennten Fleisch, bis sie die ersten Lichtscheine durch das Dickicht stachen sahen. Wenige Augenblicke später ertönten das Knacken von Astwerk und das Schnauben der Rösser mit ihren bewaffneten Reitern.

 

Drei Liedschläge später brachen die ersten Beiden Tiere durch das Gestrüpp, ritten um die junge Frau herum, stürmten an den beiden erschöpften Männern vorbei und stürzten ihre Klingen in die verrotteten Leiber der Angreifer. Im nächsten Augenblick brachen zwei weitere Ritter aus der Dunkelheit und warfen sich ebenfalls, ohne die Verteidiger eines Blickes zu würdigen gegen den Feind.

 

Mit beachtlicher Kraft und Gewandtheit rollte der Tod über die Horde und hinterließ nur Zerstückeltes Fleisch und zerstampfte Knochen.

 

Kaum waren die Reiter in den Schatten hinter den Untoten verschwunden, machten sie auch schon wieder Kehrt, ritten zurück und machten die letzten noch stehenden Feinde nieder und brachten ihre Rösser direkt vor Egon und Machaut zum stehen.

 

Machaut wollte gerade die Hand zum Gruß und Dank erheben, als er die markanten Rüstungen wieder erkannte. Es waren die gleichen, welche die Ritter in dem okkulten Steinkreis trugen. Abwehrend hob er sein Schwert und schritt unwillkürlich ein paar Meter zurück, wobei er seine Gegenüber keinen Moment aus den Augen ließ und der Assassine tat es ihm gleich.

 

Ohne jedoch auf das abwehrende Gebaren der zwei Männer einzugehen schwang sich der Dritte der Vier Ritter von seinem Ross und trat vor seine Kameraden, die weiterhin reglos auf ihren Tieren saßen. Als er anderthalb Armlängen vor den Verteidigern stand und sein Antlitz nun vom durchbrechenden Mond angeleuchtet wurde, was die bronzenen Gravuren in seiner Rüstung zum schimmern brachte, hob er die Arme und nahm sich dem Helm vom Kopf, woraufhin sein langes braunes Haar wehend über seine Schultern fiel.

 

Im ersten Augenblick hatten die beiden Hüter den Eindruck, ihr Gegenüber würde sie abschätzend mustern, doch nach kurzem erkannten sie, dass er an ihnen vorbei sah und Alcira interessiert betrachtete, die sich einen halben Steinwurf weit hinter ihren Beschützern an ihre Geige klammerte. Kaum hatte ihr Bruder das bemerkt, erhob er drohend das Schwert und machte einen Schritt auf den jungen Mann zu. „Wag es ja nicht…“ Doch kaum hatte er Wort und Schwert erhoben, sprang ein weiterer Ritter vom Pferd und zog seine Klinge.

 

Bevor dieser jedoch noch weiter was unternehmen konnte, hob sein Herr den rechten Arm, um ihm Einhalt zu gebieten. „Es wird keine weitere Gewalt von Nöten sein in dieser Nacht.“

 

Immer noch misstrauisch senkte Machaut auch seine Waffe, starrte ihren vermeintlichen Retter jedoch weiterhin durchbohrend an. „Wer bist du und was willst du von uns?“, fragte nun Egon, der sich aus seiner angespannten Haltung gelöst hat. „Und warum habt ihr uns zuvor an die Steine gekettet?“ Der Beschuldigte schaute erst verwirrt drein, plötzlich verfinsterte sich jedoch seine Miene, als er begriff. „Ich fürchte, es liegt eine Verwechslung vor.“, begann er, zog sich seinen Handschuh aus und fuhr sich durchs Haar. „Ich bin Graf Raphaël-Maxime de Saint-Christol. Bitte erzählt mir, was hier geschehen ist.“

 

Kurzerhand berichteten, was mit ihnen geschehen war, nachdem sie unter dem Bäumen eingeschlafen waren. Als ihre Erzählung endete, legte sich die Stirn des Grafen in tiefe Falten und sein Blick spiegelte große Besorgnis wieder. „Die Ritter, die ihr erwähntet, sie gehören nicht zu meiner Dienerschaft. Sie sind Abtrünnige, die sich dem Bösen verschrieben haben und dem Satanskult angehören. Sie treiben schon seit langem ihr Unwesen, entgehen aber immer einer Gefangennahme. Dass sie nun schon Macht über die Toten erlangt haben ist unglaublich und zwingt uns zum schnellen Handeln.“

 

Kurzerhand schickte er seine Begleiter los, in die umliegenden Dörfer zu reiten und dort die Soldaten zu mobilisieren.

 

Kaum waren seine Getreuen verschwunden, setzte er sich seinen Helm wieder auf und schwang sich zurück auf sein Pferd. Im Schritttempo ritt er den fackelbeschienenen Pfad entlang und bedeutete den drei Hütern mit einem Wink, ihm zu folgen.

 

 

 

Nach wenigen Stunden, die ihnen wie Tage vorkamen in der stockdunklen Nacht, kamen sie am Chateau des Grafen an, wo man sie bereits mit einer warmen Mahlzeit und was zu trinken erwartete. Während einer der schlaftrunkenen Knechte das Pferd seines Herren in seinen Stall brachte und es versorgte, führte der Ritter seine Gäste in kleines Haus, das nur aus einem großen Zimmer bestand, in dessen Kamin ein wärmendes Feuer prasselte.

 

Die Hüter machten es sich auf die Einladung hin auf den Schemeln um den Tisch gemütlich und labten sich gierig an dem Mal, das man ihnen bot. Seine Gäste beobachtend schritt der, noch immer in seiner Rüstung steckende Mann um den Tisch und vor den Kamin.

 

Jetzt, wo wir in Sicherheit sind, können wir ungestört reden.“, fing er an und überhörte das laute Schmatzen und Schlürfen der scheinbar Ausgehungerten. Die jedoch taten sich weiter an ihrem Essen gütlich, ohne sich sonderlich von ihrem Gastgeber stören zu lassen. Lediglich Alcira schaute gelegentlich kurz zu ihrem Retter auf, wobei ihr Blick keinerlei Behaglichkeit ausstrahlte. Ihren Blick erwidernd, sprach er weiter und schaute sie dabei durchdringend an.

 

Jetzt würde mich doch schon interessieren wer ihr seid, woher ihr kommt und was ihr hier wollt.“, fragte er ohne die zuvor mitschwebende Freundlichkeit. Seine Worte waren harsch und gebietend. Erschrocken und überrumpelt von seiner plötzlichen Stränge hoben sie alle ihre Köpfe, stoppten das Kauen und Schmatzen und starrten ihn unsicher an. Erst nach einigen Augenblicken schluckten sie schwer das Essen hinunter und sahen sich fragend an.

 

Da ihnen nichts anderes übrig zu bleiben schien, stellten sie sich ihm vor, was ihn, was sie sofort merkten, nicht sonderlich interessierte. Vielmehr merkten sie, dass er an dem Umstand interessiert war, wie sie in diese Lage gekommen waren. Also versuchten sie ihm eine glaubwürdige Geschichte aufzutischen, da ihnen klar war, dass er die Wahrheit niemals glauben würde. Sie konnten es ja selbst kaum glauben.

 

Nachdem ihr Märchen geendet hatte, Blickte der Graf allen Drei nacheinander in die Gesichter und blickte dann in die Flammen. Er schien ihre Geschichte zu glauben. Zumindest schien er zufrieden. Erleichtert und Satt nahmen sie sich noch große Schlucke des guten Weines und bedankten sich. Müde und er schöpft wollten die Hüter nun aus der Tür treten und sich ein Schlafplätzchen im Heu suchen, doch ihr Gönner kam ihnen zuvor.

 

Abermals bedeutete er, ihnen zu folgen und so führte er sie zu seiner Villa, wo sie erneut von einer Schar Bediensteter in Empfang genommen wurden. Man führte sie in kleine behagliche Zimmer, denen es an Luxus und Bequemlichkeit nicht mangelte. Kaum waren sie in ihren Zimmern und auf die weichen Betten gefallen, schliefen sie auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

 

Der Graf hingegen setzte sich in seiner Stube auf einen roten Lederbezogenen Sessel, der vor dem Kamin stand und ließ sich von seinen Dienern das Gepäck seiner Gäste bringen.

 

Neugierig schaute er auf die außergewöhnlichen Waffen des Assassinen und betrachtete die Musikinstrumente der Geschwister voller Begeisterung. Als er sich jedoch die Geige nahm, um sie näher in Augenschein nehmen zu können, ließ er sie abrupt auf den Tisch zurückfallen, als wäre sie glühend. Ein seltsames Gefühl hatte ihn wie ein Blitz durchschlagen, als er das hölzerne Musikinstrument berührt hatte. Ein Gefühl dass er kannte und schon mal gespürt hatte. Damals hatte es nichts Gutes zu bedeuten und hatte damit geendet, dass ein großer Teil seiner Soldaten tot am Boden lagen. Der Teufel war zurück.

 

Mit Blick auf das verwunschene Instrument und die Gedanken auf die Vergangenheit gerichtet, in der alles gut und seine Familie noch am leben war, fasste er den Entschluss, dass er am nächsten Morgen noch einmal mit der jungen Frau sprechen musste. Und zwar allein, ohne ihre Begleiter. Er wusste noch nicht wie, aber ihm würde schon was einfallen, wie er sie trennen konnte.

 

 

 

Am folgenden Morgen erwachte Alcira plötzlich, als sie ein Geräusch zu hören glaubte.

 

Mit Schlaf in den Augen richtete sie sich in ihrem Bett auf und blickte sich im Zimmer um.

 

Sie war so müde gewesen, dass sie kaum etwas vom Zimmer wahrgenommen hatte. Umso überraschter war sie, ob dem Komfort in dem Gästezimmer erblickte.

 

Ihr Blick blieb an einem Portrait eines Mannes haften, der Ähnlichkeit mit ihrem Gastgeber hatte. Es musste wohl sein verstorbener Vater gewesen sein. Sie wollte ihre Augen gerade wieder abwenden und sich wieder hinlegen, als sie etwas Seltsames sah.

 

Sie schaute genauer hin. Hatten sich die Augen gerade bewegt? Sie warf die Decke zur Seite, schlüpfte in ihre Schuhe und stellte sich direkt vor das Bild.

 

War es nur Einbildung gewesen? Langsam hob sie den Arm und betastete das Abbild des alten Herrschers und berührte die bemalte Leinwand. Es war ein ganz normales Gemälde.

 

Jetzt, wo sie schon mal auf war, konnte sie sich auch frischmachen und zu ihren Begleitern gehen. Zumal sich ein herrlicher Duft von frisch gebackenem Brot im Zimmer ausbreitete.

 

Noch bevor sie jedoch die Tür erreichte, öffnete sie sich und eine Dienerin des Grafen streckte den Kopf durch die Tür. „Guten Morgen, gnädige Frau. Sind sie fertig? Der Herr wünscht sie zu sehen.“

 

Überrascht schaute sie die Frau an, die erwartungsvoll zurückblickte. „Ja“, antwortete sie zögerlich. „Ich komme.“ „Sehr schön, der Graf wird erfreut sein.

 

Die Magd führte Alcira den Flur entlang und zu des Grafen Privatgemächern. „Treten sie ein, er erwartet sie.“ ,sprach die Magd und verschwand mit einer Verbeugung in der Küche. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und einem Kloß im Hals drückte sie die Klinke runter und öffnete die Tür.

 

„Ah, gnädiges Fräulein.“ ,begrüßte der Herr sie freundlich. „Ich hoffe doch sehr, sie haben gut geschlafen?“ „Ja, das habe ich, vielen Dank.“ ,antwortete sie wahrheitsgemäß und deutete eine schüchterne Verbeugung an. „Nun mal nicht so förmlich und setzen sie sich. Sie müssen sicher Hunger haben nach ihrer langen Reise. Langen sie ruhig zu, es ist genug da.“ bot er ihr mit einer einladenden Geste, auf einen Stuhl an seiner Tafel deutend an und lächelte sanft.

 

Zögerlich, nicht wissend, wie sie seine freundliche Einladung deuten sollte, folgte sie seiner und riss sich ein Stück vom Brotlaib ab. Als sie hinein biss öffneten sich ihre Augen vor Begeisterung. Es war warm, weich wie eine Wolke und hatte ein leicht würzigen Geschmack.

 

Der Graf lächelte. „Wie ich sehe, mundet es ihnen. Nur zu, sie müssen sich nicht zurückhalten.“ ,sprach er, als er ihren gierigen Blick über die Speisen streifen sah. Ohne sich weiter bitten zu lassen, nahm sie sich von Allem etwas. Als sie in ein Stück Käse biss, blickte sie auf und schaute ihren Gönner fragend an, der sich über sie zu amüsieren schien. „Es freut mich sehr zu sehen, dass ihnen unsere Erzeugnisse derart gut schmecken.“ ,sprach er erfreut und biss in einen Apfel.

 

Erst jetzt, wo sich Alcira allmählich den Bauch vollgeschlagen hatte und sich ein Gefühl der Sättigung eingestellt hatte, bemerkte sie, dass etwas nicht stimmt, jemand fehlte. Sie war nicht alleine hier und der Graf hat bisher kein Wort über sie verloren.

 

„Wo sind mein Bruder und unser Begleiter?“ ,fragte sie beklommen und legte ihr Käsestück vor sich ab. Fast fürchtete sie schon, dass man sie klammheimlich beseitigt hatte, damit sie dann dem Grafen schutzlos ausgeliefert sein würde. Einen Augenblick lang zögerte ihr Gegenüber und Alcira sah sich schon in ihrer Befürchtung bestätigt, als sie etwas in seinen Augen sah, was sie glaubte zu erkennen und war schon im Begriff aufzuspringen, als er doch antwortete. „Man hat mir zugetragen, dass sie noch immer tief und fest schlafen. Mir scheint, als hätte die gestrige Nacht sehr an ihren Kräften gezerrt. Aber keine Sorge, meine Diener werden sich bei Bedarf um sie kümmern.“ ,antwortete er und nahm einen Schluck aus seinem Glas, welches mit Blutroter, klarer Flüssigkeit gefüllt war. „Aber reden wir doch ein wenig mehr über Euch! Ich habe in der Nacht ihr Spiel vernommen. Wo haben sie so zu spielen gelernt?“ ,fragte er wissbegierig, wobei sein Tonfall stark an Freundlichkeit einbüßte und stark fordernd wirkte. Abermals blickte sie ihn betreten an. „Ich weiß es nicht.“ ,begann sie zögerlich. „Mein Ziehvater hat mich unterrichtet, bis er starb. Den Rest hab ich mir bei den   Gauklern abgeguckt oder selbst beigebracht.“

 

Der Graf zog eine Augenbraue fast unmerklich nach oben. „So?“, war des Grafen Reaktion. „Erstaunlich. Ihr scheint eine verborgene Gabe zu haben. Um so gut zu spielen brauchen die meisten Barden viele Jahre und selbst dann bringen sie es nicht halb so beeindruckend und fesselnd rüber, wie Ihr es in der gestrigen Nacht getan habt.

 

Alcira fühlte sich geschmeichelt und stolz, dennoch lies sie sich nichts anmerken, als er einen weiteren Schluck nahm und weitersprach. „Und die Geige? Woher habt ihr die? Sie scheint mir doch sehr speziell und aufwendig zu sein.“, sagte er, wobei er das Wort speziell besonders betonte. „Ich habe sie von meiner Mutter geerbt. Mein Großvater war ein herausragender Luthier, der am Hofe des Königs gearbeitet hat und er hat die Violine für sie angefertigt.“

 

„Hm, verstehe.“ ,kam es nachdenklich aus des Grafen Mund, während er den Apfel in seiner Hand drehte und ihn betrachtete. „Würdet Ihr mir den Gefallen tun und mir was vorspielen? Das Lied von gestern Nacht vielleicht?“

 

Erst stutzte Alcira, dann hellte sich ihr Gesicht vor Freude auf und ihre Wangen liefen rosa an. Sie hatte noch nie so vor einem richtigen Publikum gespielt, geschweige denn vor einem Adligen. „Es wäre mir eine Ehre!“

 

Kaum hatte sie zugestimmt, da klatschte der Graf zweimal in die Hände, die Türen öffneten sich und ein Diener trat mir der Geige auf einem Samtkissen liegend herein. „Bitte sehr.“

 

 

 

Noch bevor sich ihre Finger um den Hals ihres geliebten Instrumentes geschlossen hatten, verspürte sie eine Erleichterung und ein unbeschreibliches Gefühl der Sicherheit. Als sie den Bogen zärtlich über die Saiten zog und der erste von vielen langgezogenen Tönen aus dem grazilen Instrument entsprang, fühlte sich die junge Frau in einen Kokon gehüllt, der sie mit seiner schützenden Schale umschloss und einen Raum schuf, der sie vor jeglichem Unheil bewahrte.

 

Sie spielte und spielte sich in Ekstase, wurde schneller und wieder langsamer, ohne auch nur einmal der Unsicherheit zu verfallen oder einen Ton verfehlte. Ihr Spiel war die perfekte Harmonie, die dem Paradies selbst entsprungen sein könnte und ihr Zuhörer war von dem gebannt, was er sah und hörte. Während des Spiels verloren sowohl der Graf, als auch Alcira völlig das Zeitgefühl und hingen gemeinsam im unheimlichen Bann der Melodie.

 

 

 

Das Lied endete und nahm seinen Bann mit sich. Alcira senkte ihre Geige und schaute stolz und erfüllt mit Glück auf den Grafen, der noch immer wie erstarrt in seinem Stuhl saß und scheinbar durch sie hindurch ins Leere blickte. Erst nach ein paar Sekunden kehrte sein Geist zurück an seinen Angestammten Platz und der junge Mann applaudierte begeistert. „ Wundervoll, beeindruckend, einfach nur fantastisch! Aber ich hatte auch nichts anderes von Ihnen erwartet.“ ,sprudelte es aus ihm heraus, wobei sich seine Worte des Lobs fast schon überschlugen. Dann stand er auf, trat vor seine Gauklerin, ging vor ihr in die Knie und gab ihr einen zarten Kuss auf den Handrücken. „Wollt Ihr nicht hier bleiben und an meinem Hof für mich als Barde spielen? Ihr bekommt von mir auch alles was ihr braucht.“

 

Das Mädchen war verlegen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ein verlockendes Angebot, aber sie wollte ihren Bruder auch nicht gleich wieder verlieren, von dem sie erst seit so wenigen Tagen wusste. „Ich ...brauche ein wenig Bedenkzeit.“ ,brachte sie schließlich hervor und wandte sich ab. „Aber natürlich. Ihr braucht nichts zu überstürzen.“

 

Freudestrahlend sah er der Frau nach, bis sie sich bedankte und die Tür beim Verlassen des Raumes wieder hinter sich schloss. Sofort fiel seine Freude aus seinem Gesicht und gab den Blick auf missmutige und nachdenkliche Züge frei, wobei er das verzierte Kreuz unter seinem Kragen die ganze Zeit zwischen den Fingern hin und her drehte. So wie sein Kreuz schwankte  auch er, zwischen Gefühl und Glauben. Denn nun war Gewissheit, was zuvor nur Vermutung gewesen war.

 

Im nächsten Moment trat ein, ganz in Schwarz gehüllter, älterer Mann durch eine Geheimtür hinein. „Lasst unsere Gäste nicht aus den Augen, aber verhaltet euch unauffällig. Sie dürfen mein Land auf keinen Fall verlassen!“ „Jawohl, mein Herr.“, Der Mann verbeugte sich und verschwand genau so schnell wie er gekommen war.

 

„Das ist eine interessante Wendung.“ ,sprach der Graf zu sich selbst auf das Kruzifix blickend und verließ ebenfalls den Raum.

 

 

 

Alcira saß auf einem Stuhl am Fenster, ihre Geige auf dem Schoß und völlig aufgewühlt.

 

Neben der quälenden Entscheidung wirbelte noch etwas anderes in ihrem Geist umher. Eine Stimme, die eindringlich dazu aufforderte, das Anwesen und das Land sofort zu verlassen. Aber nicht nicht warum sie das sollte.

 

Sie wurde je aus ihren Gedanken gerissen, als die Tür aufging und eine Stimme durch den Raum flog. „Schwester.“ Ihr Bruder kam herein und trat an ihre Seite. „Komm, wir müssen weiterziehen.“ Sie schaute zu ihm auf und schlagartig verflog der Nebel um ihren Geist.

 

Ihr Entschluss stand bereits fest. Sie würde gehen, sofort und allein.

 

Gemeinsam schlenderten die Geschwister den Korridor entlang und trafen am Eingangsportal auf den Assassinen. „Seid ihr bereit zum Aufbruch?“Sie nickten und er stieß das Tor auf.

 

„Ihr wollt uns schon verlassen?“ ,trug der Wind an ihre Ohren. Sie drehten sich um, doch bevor einer der Männer was erwidern konnte, sagte Alcira: „Nein, wir wollen uns nur die Beine vertreten und ein bisschen die Gegend erkunden.“ „Ah, verstehe. Ich kann euch doch begleiten oder einen meiner Diener mit euch schicken, dass ihr eine Führung bekämt.“ Erwartungsvoll spähten die beiden Hüter vom Grafen zu ihrer Begleiterin, die auch prompt antwortete. „Das wird nicht nötig sein, wir würden lieber eine Weile ungestört sein. Mach Euch also wegen uns keine Umstände.“

 

Verständnisvoll nickte er mit dem Kopf und verabschiedete sich, bevor er im nächsten Seitengang verschwand.

 

 

 

Das Dreiergespann verließ das Gut des Grafen, mit seiner Villa im Rücken und einem mulmigen Gefühl. Den beiden Männern war das Schauspiel sehr suspekt  vorgekommen, doch beschlossen sie, Nichts zu sagen. Sie warfen sich nur gelegentlich vielsagende Blicke zu. Und da auch die junge Frau ganz in sich gekehrt  war und mit leerem Blick vor sich hin schwieg, beließen sie es dabei. Erstmal ging es daran, das Land zu verlassen und einen Weg zu finden zu den Anderen zu gelangen.

 

 

 

Von den Dreien unbemerkt folgte eine Gruppe von Gestalten ihnen, von Schatten zu Schatten huschend. Sie waren ihnen vom Anwesen ihres Herren gefolgt, mit dem Auftrag, sie an der Abreise zu hindern. Es war egal, was mit den Männern passierte, aber das Mädchen und die Geige mussten unversehrt bleiben. Zumindest vorerst.

 

 

 

Nach einer Weile des Schweigens erreichten sie schließlich die ersten Ausläufer eines Dorfes, das still und friedlich an einem Bach lag. Der Frieden starb jedoch, noch ehe sie es betreten hatten. Wütendes Rufen, panische Schreie und Gepolter drangen ihnen entgegen.

 

Kaum drauf aufmerksam geworden, beschleunigten die Männer ihre Schritte, den Griff bereit an der Waffe und eilten den Weg entlang, ohne weiter auf Alcira zu achten.

 

Bei den ersten Häusern kamen ihnen auch schon zwei Männer entgegen, blutverschmiert und gehetzt.

 

 

 

„Dämonen!“ „Monster!“ und weitere unverständlich Wörter quollen aus deren angstverzerrten Mündern hervor, als sie die nahenden Kämpfer erblickten, die mit gezogenen Waffen auf sie zu kamen. Mit umherirrenden Augen suchten sie nach Hilfe bettelnd ihre Blicke, doch die zwei Männer rauschten ohne weitere Beachtung an ihnen worbei und auf die Quelle des Unheils zu.

 

Es dauerte auch nicht lange, da kamen den Beiden weitere Menschen entgegen, dicht gefolgt von unwirklichen Kreaturen, die aussahen, als wären sie direkt aus dem Höllenschlund entwachsen. Einige noch menschenähnlich, mit etweigen Auswüchsen, bis hin zu Wesen, halb Mensch halb Tier und welchen, die weit ab jedweden beschreibbaren Aussehens entsprachen.

 

„Ach du heiliger Sandflo.“, entfuhr es dem sonst so besonnenen Wüstenkrieger und seine Klingen schossen nach vorne. „Aus welchem Gülleloch sind die den entstiegen?“

 

Von der Klinge in die Kehle getroffen ging der Schweinedämon quickend zu Boden und verteilte sein bläuliches Blut über die Straße. Angewiedert machte Machaut einen Satz zur Seite, um nicht in die klebrige, stinkende Flüssigkeit zu treten und lies sein Schwert einen weiten Bogen fahren, welcher sich durch zwei Bäuche bahnte, woraufhin Gedärme und Blut sich dem Boden zuwandten. Auch der nächste, pelzige Dämon fand ein schnelles Ende , als die Klinge auf dem Rückweg dessen Kopf von seinen Schultern trennte und ihn davonschleuderte.

 

An der ersten Kreuzung blieben Machaut und Egon schließlich stehen, wobei noch ein weiteres Scheusal fiel und sahen besahen sich die Lage. Die Dämonen, die nun nach dem raschen Tod ihrer Kameraden auf die Töödlichkeit der dummen Menschen aufmerksam wurden, verlangsamte sie ihre Schritte, bis sie wenige Meter vor ihen zum Stehen kamen.

 

„Kein Wunder, dass die Leute fliehen, ich würde jetzt hier auch nicht mehr wohnen wollen.“,sagte der Assassine als die letzten Überlebenden an ihnen vorbeihasteten.

 

„Der Ort mag wirklich schon bessere Zeiten erlebt haben.“,gab Machaut hinzu und wischte das klebrige Sekrekt an der Leiche vor sich von der Klinge.

 

 

 

Alcira, die sich weiter im Hintergrund hielt und immer wieder in die entsetzten Augen der Flüchtinge sah, umklammerte den Hals ihrer Geige und schlich am Wegesrand entlang auf die abgelegenen Hütten des Dorfes zu. Ihr Ziel waren Die Stallungen am Rande des Dorfes, wo die Pferde gepflegt und die Kutschen repariert wurden.

 

Zu ihrem Blück war es hier menschenleer und auch die Ausgeburten aus der Hölle verschlig es nicht hier her. Erst, als sie den heubedeckten Boden unter den Füßen, den Geruch von Pferdemist in der Nase hatte und das unruhige Schnauben der Tiere hörte, vernahm sie auch ein leisen Stöhnen, welches aus dem hinteren Teil des Gebäudes zu lommen schien. Sie wollte zwar nicht nachsehen, aus Furcht ihr würde im nächsten Moment ein Monster an die Kehle springen, aber sie hatte keine Wahl, da sie dort auch das Zaumzeug für die Pferde vermutete.

 

Auf dem Boden sah sie einen jungen Mann, ver gekrümmt am Boden lag, sich die Brust hielt und Blut spuckte. Als sie näher trat und er sie bemerkte, drehte er sich auf de Rücken und blickte sie mit  nassen Augen an. Es war der Stallbursche, der sich um die Pflege der Pferde kümmert. Gerade, als der Ausbruch anfing, hatte der Junge eiem Pferd die Hufe ausgekratzt. Die Schreie und die fast Greifbare Aura der Dämonen hatten das Pferd so erschreckt, dass es ausgetreten haben muss und ihm den Brustkorb zertrümmerte. Ihm war nicht mehr zu helfen.

 

Bei jedem Atemzug liit er schreckliche Schmerzen und und zitterte, während er mit den glasigen Augen durch das Mädchen hindurchzusehen schien. „Ein leises „Hilf mir“ und den linken Arm bittend entgegenstecken war das einzige was er noch konnte, bevor ein weiter Schwall Schmerz ihn in Ohnmacht fallen ließ.

 

Doch auch Alcira fühlte sich Taub und nicht fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Instinkt riet ihr, zurück zu gehen, hilfe zu holen und ihren Freunden beizustehen. Doch eine bekannte Stimme in ihrem Innersten hielt ihr Herz in einem Klammergriff. Ihr Blick schweifte über den Todgeweihten, das Zaumzeug und die aufgebrachten Pferde. „Lass ihn liegen und verschwinde von hier, wenn du nicht wie er enden willst.“, raunte ihr die Stimme zu. „Sattel das Pferd und reite nach Osten.“

 

Es erschauderte sie und sie schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund, als wolle sie die Stimme abschütteln, doch bewirkte das nur, das ihr schwindelig wurde und die Presenz sich wieder in ihre Tiefen zurück zog.

 

Auf wackeligen Beinen Schritt sie an dem Bewusstlosen vorbei, griff nach einem Sattel und schaute in die Ferne, wo sie ihren Bruder vermutete, „Ich darf keine Zeit verlieren.“,murrmelte sie in sich hinein und ging entschlosssenen Schrittes zu den Pferden, als sie plötzlich was am Knöchel packte. Erstarrt vor Schreck blickte sie hinab und sah, wie der Stallbursche sie flehenden Blickes festhielt und wieder ein leises „Hilfe“ wimmerte.

 

Mitleidig schaute sie ihm ins Gesicht, formte mit dem Mund „Tut mir Leid“, ohne das eine Silbe ihre Lippen verließ und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Nur um sie im nächsten wieder aufzureißen, ihn wütend anzustarren und zu schreien. „Lass mich sofort los, du dreckiger Bastard!“, worauf sie mehrere Male mit ihrem freien Fuß ausholte und ihn hart gegen Kopf und Brust trat, bis der Körper erschlaffte und den letzten Lebensfunken ausgehaucht hatte.

 

Schwer keuchend, ausser sich und mit zerzausten Haaren stand sie vor dem hilflosen Jungen, den sie umgebracht hatte. Hass, Trauer und Euphorie mischten sich in ihr und das machte ihr für einen Moment Angst, als sich wieder die Stimme meldete. „Gutes Mädchen...Nun Auf!“

 

Alcira drehte sich auf dem Absatz um eilte zum ersten Box und öffnete sie. Der weiße Hengst darin war verängstigt und wich vor ihrem bösen Wesen zurück, bis er mit dem Hinterteil an die Rückwand stieß. Sie näherte sich entschlossen, die Augen tief in die des Pferdes vergraben, sodass es wie gebannt war und keinen Ausbruchversuch unternehmen konnte.

 

Ein paar Handgriffe später war das Pferd gesattelt und aus dem Stall geführt. Dann sprang die Täufelsgeigerin leichtfüßig auf und ritt nach Osten, die Dämonen und ihre Freunde hinter sich lassend, mit ihrer Geige als einziges Gut im Gepäck. Nicht ahnend, dass neugierige Blicke sie aus dem Schatten beobachteten und ihr folgten.

 

 

 

Alcira sollte aber nicht so weit kommen. In einiger Entfernung konnte sie eine hastig errichtete Wehranlage erkennen, die die Kreaturen am Vormarsch hindern sollte. Also lenkte sie ihr Tier in die Bäume, um dier Sperre und unangenehmen Fragen zu auszuweichen.

 

Sie fühlte sich schon in Sicherheit als sie den Verteidigungsposten hinter sich wusste und trieb das Pferd weiter an. Als ihre Gedanken wieder bei ihrem Bruder waren und sie inständig hoffte, dass er wohlauf war, verlor sie den Halt, als das Pferd unverhofft in eine Grube fiel und sie abwarf. Hart schlug sie zwischen den Wurzeln auf und ihre Geige rutschte auf dem feuchte Boden davon. Bevor sie sich jedoch aufrappeln konnte und ihr Instrument wieder sicher zu versstauen, knackte es hinter ihr und ein beklemmendes Gefühl machte sich breit.

 

„Ihr wollt schon gehen, gnädiges Fräulein? Während Eure Begleiter da Draußen für das Folk ihre Köpfe hinhalten? Das ist nicht die feine Art.“ Alcira schluckte schwer, als sie die Stimme er kannte und kam auf die Knie. Sie wusste nichts auf die Anschuldigung zu entgegnen und so suchte sich vergeblich nach einem Ausweg aus der Misere, doch von hier gab es keine Fluchtmöglichkeit. Das Pferd, das vor ihr in der Grube mit gebrochenen Beinen lag, vor Schmerzen schrie und sich hilflos umherwandt konnte man auch nur noch von seinem Leid erlösen.

 

„Es betrübt mich sehr, dass ihr Euch nicht einmal verabschieden wolltet. Man könnte fast meinen, Ihr wüsstet meine Gastfreundschaft nicht zu schätzen.“ Mit gespielter Betrübtheit trat der Graf aus den Schatten, eine Hand am Griff seines Rapiers, die andere an der Stirn.

 

Ausser ihm schälten sich noch weiter Gestalten aus dem Dunkeln. Allesamt gerüstet und mit gezogenen Waffen. „Was habt ihr mit mir vor?“, brachte sie verstört hervor. „Ich will nur hier weg von alledem. Ich will nicht kämpfen müssen!“

 

Der Graf trat vor sie und lachte verächtlich. „Ist das so? Aber einen Wehrlosen Jungen töten, das liegt euch?“ Er beugte sich zu ihr runter und umfasste ihr Kinn. „Ja, ich habe meine Augen überall!“,setzte er hinzu, auf ihren entsetzten Blick antwortend. Im nächsten Moment krachte es auch schon, als ihr mit einem Knüppel auf den Hinterkopf geschlagen wurde. Noch halb bei Bewusstsein spürte sie, wie ihr Hand- und Fußgelenke gefesselt wurden und einer der Männer sie sich über die Schulter warf. Ein anderer Soldat erschlug derweil das leidende Tier mit der Hellebarde, was den Graf zu tiefst zu grämen schien. „Das war der Beste Hengst im Stall. Ich hoffe das war es wert.“ Dann wandte er sich an die Wachen. „wie steht es um die beiden Störenfriede?“

 

Der Wachhauptmann warf den Blick auf ein Schriftstück. „Sie halten die Dämonen in Schach, während wir die Dorfbewohner rausholen.“ Befriedigt legte er vor seinem Gesicht die Hände zusammen. „Hervorragend! Es könnte garnicht besser laufen. Achtet nur weiter darauf, dass sie beschäftigt sind, aber helft ihnen nicht zu sehr. Ich will nicht, dass sie lebendig zurück kehren!“

 

„Jawohl, Herr. Wir werden uns um sie kümmern.“, entgegnete er und lief davon. Anschließend verlor auch Alcira vollends das Bewusstsein und sie versank in der Finsternis.